eleven

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Matthew rückte noch einmal seinen Hemdkragen zurecht und betrachtete sich in dem spiegelnden Glas von Olivias Haustür. Nun hatte er plötzlich das Gefühl, als würde seine Herz so laut schlagen, dass es noch drei Straßen weiter zu hören war.

Außerdem machte Maddison ihm Sorgen. Er hatte sie mit Courtney alleine gelassen und gesagt, dass er mit Arbeitskollegen etwas Trinken gehen würde, doch sie schöpfte sicher mal wieder Verdacht. Und er wusste, wenn sie herausfinden würde, dass er sich heimlich mit einer anderen Frau traf, dann würde sie sicher überhaupt nicht erfreut sein.

Als seine Hand gerade zur Klingel wanderte, entdeckte er mit Schrecken, dass er seinen Ehering noch trug. Schnell nahm er ihn ab und ließ ihn in seine Hosentasche gleiten. Man musste ja nichts überstürzen.

Er betrachtete den Strauß aus hellblauem und zartlilanem Flieder in seiner anderen Hand und klingelte schließlich. Rosen waren ihm einfach zu langweilig gewesen. Noch einmal übte er ein freundliches Lächeln in der Spiegelung der Tür, bis diese schließlich nach innen aufging.

Olivia war wunderschön und sehr zu seinem Bedauern erinnerte sie ihn plötzlich schmerzhaft an die Frau, die er einst geheiratet hatte. Schnell verdrängte er diese Gedanken.

Olivia trug einen grauen Faltenrock aus festem Stoff, dazu ein zartes Spitzenoberteil und Chucks.

"Hey!"

Ihr Lächeln erreichte ihre Augen kaum, sie wirkte zerbrechlich. Kein Wunder, Matthew hatte von dem Vorfall mit ihrem Bruder gehört.

"Hallo Olivia, die sind für dich", antwortete er und streckte ihr unvermittelt die Blumen entgegen. Er kam sich dabei wahnsinnig dümmlich vor, doch sie lächelte erfreut, sogar um ihre Augen bildeten sich für einen kurzen Moment zarte Falten.

"Danke, schöne Farben. Komm doch rein!"

Er betrat das Haus und als sie die Tür schloss, glitt ihr Blick unruhig umher, so als sei sie auf der Suche nach irgendeiner Stelle, die sie vergessen hatte aufzuräumen.

"Hey, bei mir ist es auch nicht immer komplett aufgeräumt", warf Matthew ein, als er ihre Blicke bemerkte. Sie wurde etwas rot und während die beiden sich in das gemütlich aber auch modern eingerichtete Wohnzimmer bewegten, erzählte sie: "Ich bin nur ein bisschen durcheinander... Wegen Aiden... Du weißt ja, es... ist gerade nicht leicht..."

Langsam nickte Matthew. Jeder hatte darüber geredet, es war ein bisschen wie damals auf der Highschool gewesen, wenn irgendwelche angeblichen Neuigkeiten die Runde gemacht hatten.

"Wie geht es ihm denn jetzt?"

"Er liegt noch im Koma."

Sie blickte unglücklich zum Fenster und es sah fast aus, als würde sie mit den Tränen kämpfen.

"Es tut mir leid, ich wollte dich nicht traurig machen, das ist vielleicht auch nicht das beste Thema für ein Treffen... Wenn du dich nicht so gut fühlst, können wir das Ganze auch verschieben."

Matthew hatte ein schlechtes Gewissen, da er dieses Thema so unsensibel direkt vertieft hatte.

"Nein, nein, wirklich nicht. Möchtest du etwas trinken?"

Sie ging in Richtung der offenen Küche, die direkt an das Wohnzimmer angrenzte und eine Art Kochinsel mit Barhockern beinhaltete.

Ein bisschen überrumpelt von ihrer plötzlich zurückgewonnenen Offenheit folgte Matthew ihr und als sie beide schließlich ein Glas vor sich hatten, begannen sie, sich zu unterhalten.

"Wo wohnst du eigentlich?", fragte Olivia, typischer Smalltalk.

"In der Churchillstreet."

"Wohnst du in einer WG? Die Häuser dort sind doch eigentlich zu groß, um alleine bewohnt zu werden, oder nicht?"

Matthew zögerte. Er war ein schlechter Lügner. Die Lügen der vergangenen Tage hatte ihm schon viel abverlangt und an diesem Abend, neben Olivia in diesem gemütlichen Bungalow, fühlte er sich, als wäre es Zeit für ein bisschen Wahrheit.
Plötzlich klingelte sein Handy.
Es war Maddison. Schlagartig brach ihm kalter Schweiß aus, als er entschuldigend den Anruf annahm.

"Maddi? Ist alles okay?"

"Courtney weint die ganze Zeit, ich weiß nicht, was ich noch machen soll. Außerdem bin ich total müde."

"Aber Maus! Wo ist denn Liam?!"

"Nicht da. Also er ist schon da, aber er ist eingeschlafen und ich kriege ihn nicht wach... Du kennst das ja von ihm."

"Ich komme, okay? Ich bin sofort da."
Er zögerte kurz. Aber er konnte nicht auflegen, ohne das zu sagen.
"Ich hab dich sehr lieb."

"Ich dich auch."

"Bis gleich."

Er legte auf und blickte unsicher zu Olivia. Sie sah ihn fassungslos an.

"Das... War das... deine Frau?!"

Er sah beschämt nach unten.

"Du verdienst die Wahrheit, Olivia. Komm mit."

Tatsächlich folgte Olivia ihm in sein Auto, sie war wütend, wollte aber gleichzeitig wissen, wie Matthew sie nun besänftigen würde. Sie hatte es von Anfang  an gewusst. Er hatte sie angelogen! Er hatte eine Frau! Olivia war zutiefst verletzt. Sie hatte schon immer Angst davor gehabt, jemanden zu heiraten und sich dann trennen zu müssen. Allein das Wort 'Scheidung' verpasste ihr eine Gänsehaut und nun tat ihr Matthews Frau, die wohl Maddison hieß, sogar ernsthaft leid, schließlich war ihr Mann fremdgegangen und vielleicht würden sie sich nun trennen.
Nach unangenehm stillen zehn Minuten Autofahrt, parkte Matthew schließlich vor einem weißverputzen Einfamilienhaus. Churchillstreet 23.
Mit verschränkten Armen stieg Olivia aus dem Auto.

"Warte kurz hier. Du wirst gleich sehen, es ist nicht so wie es aussieht."

Als Olivia zweifelnd eine Augenbraue hob, fügte er ein fast verzweifeltes
"Bitte" hinzu.
Sie nickte. Sie würde warten. Und wie sie warten würde. Darauf, dass alles 'nicht so war wie es aussah'.

Matthew schloss die Tür auf und verschwand mit schnellen Schritten im Haus, zog sie dann wieder hinter sich zu.

Olivia verschränkte die Arme. In jener Oktobernacht war es kalt und ein leichter Sprühregen setzte ein. Eine Frau bei diesem Wetter vor der Tür stehen zu lassen, war normalerweise nicht die feine englische Art.

Beinahe erschrocken zuckte sie zusammen, als die Tür sich nach einer Weile wieder öffnete und blickte entsetzt zu Matthew.
Er drückte mit einem Arm ein quengelndes Kleinkind an seine Brust, während er an der anderen Hand ein Mädchen mit Nachthemd im Grundschulalter hielt.

"Olivia", sagte er, "Das sind Maddison und Courtney."

Olivia blieb der Mund offen stehen. Maddison war nicht seine Frau.
Sie war seine Tochter.

"Und deine Frau?"

Olivia schämte sich, sie wollte es kaum aussprechen, doch trotzdem fragte sie:
"Seid ihr etwa... geschieden?!"

Matthew lächelte traurig darüber, dass sie das Wort ganz leise sagte, weil sie dachte, dass es so die ganze Sache einfacher machte.

"Nein, sind wir nicht."

Matthew holte tief Luft und Olivia sah, dass sich die Griffe um seine beiden Töchter verstärkten, als er antwortete:

"Ich bin Witwer."

Helicopter Heart Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt