Kapitel 1

525 11 37
                                    


»Wir müssen es hinter uns bringen. Es nützt doch nichts, wenn wir weiterhin hier herumschleichen.«

Mäat atmete tief durch und nickte anschließend. Valer hatte Recht und doch fiel es ihm nicht leicht, als er ihr zunickte.

Sie versteckten sich nun seit zwei Sonnenläufen in den Wipfeln der Eichen und beobachteten die Bewohner Tamieheids.

Mäats Herz hatte gedroht zu zerreißen, als er Valer zu den Sammlern gefolgt war, die sie nach ihrer Ankunft entdeckt hatte. Einerseits vor Glück, dass Xav, Borrb und er nicht die einzigen Überlebenden des verheerenden Brandes gewesen waren, anderseits aber auch vor Angst, wen er bei den Zurückgebliebenen finden würde und wen nicht. Die Bewohner Tamieheids, wenn man diese noch so nennen konnte, hatten sich weiter in Richtung Osten des Eichenwaldes zurückgezogen und waren dabei, sich ein neues Zuhause aufzubauen.

Es hatte sich als schwieriger herausgestellt, als gedacht, denn sie konnten ihnen nur zu Fuß folgen. Picea hätte zu viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen und da die Sammler mit ihren Hörnchen wesentlich schneller waren, mussten sie Spuren lesen. Doch es war nicht weit, bis zu der neuen Bleibe, gewesen, die sich die Eichenwaldbewohner eingerichtet hatten. Obwohl die Schlupfe und Kobel an Tamieheid erinnerten, erkannte Mäat sofort den gravierenden Unterschied. Es handelte sich um Provisorien. Den Holzkonstrukten sah man sofort an, dass sie unter Rekordzeit gebaut worden waren und auch die Kobel boten nur mäßigen Schutz. Die Sammler hetzten so schnell sie konnten hin und her, um vor dem Winter wenigstens noch die nötigsten Reserven zu sichern. Alles in allem war die Ruhe und Geborgenheit, die Tamieheid für Mäat immer ausgestrahlt hatte, Vergangenheit.

»Am Frühtag gehen wir in das Dorf«, meinte Mäat zu Valer gewandt, als sie sich außer Hörweite der Eichenwaldadeen befanden. »Sie würden uns sonst nie vertrauen, wenn wir mit einem Asgass im Schlepptau aufkreuzen würden.«

»Ok. Wäre es dir lieber, wenn ich solange bei ihr bleiben würde?« Unsicher blickte die blonde Adee zu Mäat.

»Nein. Ich brauche dich an meiner Seite. Und die Kleine kann schließlich auf sich selbst aufpassen.« Gerade erreichten sie ihren vorübergehenden Unterschlupf, wo Picea schon auf sie wartete und leise fiepte, als Mäat ihr seine Hand entgegenstreckte, um sie liebevoll am Schnabel zu streicheln. Zufrieden verzog sie die Augen zu Schlitzen und Mäat versuchte sich so neben ihr zu platzieren, dass er gemütlich in dem alten Daumsennest Platz hatte und sie gleichzeitig weiter verwöhnen konnte.

Valer legte den Kopf schief. »Was bedrückt dich Mäat? Du bist schon seit unserer Abreise vom Dunkelforst so nachdenklich, aber jetzt verziehst du ja nur noch das Gesicht.«

Der braunhaarige Adee atmete tief ein. Sie hatte ihn wieder einmal durchschaut. So sehr er auch versuchte, seine Sorgen vor ihr zu verstecken, es wollte ihm einfach nicht gelingen.

»Ich weiß nicht recht. Eigentlich hätte mir klar sein müssen, dass ich hier nicht ankomme und alles so sein würde, wie vor dem Brand. Doch jetzt fürchte ich mich doch. Ich sollte froh sein, dass überhaupt noch Adeen des Eichenwaldes überlebt haben, aber wenn ich jetzt dort hin gehe, erfahre ich, wer noch da ist und wer dem Feuer zum Opfer gefallen ist.«

Einige bekannte Gesichter hatte Mäat aus ihrem Versteck aus gesehen, doch seine Mutter, sein Vater, Rhes, Keze, all jene hatte er noch nicht entdecken können. Und endgültig zu erfahren, wer nicht mehr unter ihnen weilt, würde erneut ein tiefes Loch in seine Seele reißen.

»Du weißt, dass ich für dich da bin, ja?« Valer schenkte ihm ein liebevolles Lächeln und steckte Mäat damit an. Er grinste zurück und als sie ihren Kopf an seine Schulter lehnte, fühlte er sich bereits ein wenig besser. Picea setzte dem noch einen auf, indem sie Mäat mit dem Schnabel an die Schulter stupste und ihn so beinahe aus dem Nest warf.

Valer lachte lauthals los und auch Mäat stimmte in ihr helles Gekicher ein, als er sich zurück in das Zweiggebilde zog. Picea, die neben ihnen auf dem kräftigen Ast saß, blickte ihn mit schräg gelegtem Kopf aus ihren roten Augen an, ohne ein einziges Mal zu blinzeln.

***

Mäat zupfte sein Hemd zurecht. Erst als sie aufgebrochen waren, war ihm bewusst geworden, dass er mit seiner Kleidung, die so anders aussah, als die der Eichenwaldadeen, auffallen würde. Doch er besaß nichts anderes und daher hatte er keine Wahl. Er muss so vor die Dorfbewohner seines früheren Zuhauses treten, wie er war.

Valer neben ihm hatte die Brust stolz erhoben und die hellen Haare fielen ihr offen über die Schulter. Es waren nur noch wenige Schritte, bis sie den Wachmann erreichen würden, der die neue Grenze des Dorfes schütze. So viel hatten sie bei ihren Beobachtungen herausbekommen.

Picea war so lange in ihrem Versteck, nahe dem alten Tamieheid, geblieben. Sie würde zwischendurch auf die Jagd gehen, doch Mäat hatte mit allem was er hatte versucht, ihr zu erklären, dass die keinem Adee zu nahe kommen durfte. Obwohl er das Gefühl hatte, dass sie ihn verstand, als sie ihn mit ihren klugen, roten Augen angeschaut hatte, war er sich trotzdem nicht zu hundert Prozent sicher.

Valer und er hatten den Wachmann längst erblickt, als dieser sich endlich zu ihnen umdrehte.

»Halt, Stopp!«, rief er, doch da waren sie nur noch einige Schritte entfernt.

Mäat sah sofort, dass er recht jung war. Er kannte seinen Namen nicht, wusste aber, dass der Adee einige Mondrunden unter ihm in der Lernmeisterei besucht hatte. Die neue Situation schien dafür gesorgt zu haben, dass die Jungen schon früher mit der Arbeit beginnen mussten.

Beschwichtigend hob er die Hände. »Wir wollen dir nichts Böses! Ich bin Mäat und komme aus Tamieheid. «

Langsam ließ der junge Wächter die Zippel sinken, die er aus Reflex gezogen und gespannt hatte. Gleichzeitig war sein braunes Hörnchen aufgesprungenen, das zuvor noch seelenruhig neben ihm gelegen hatte. »Ja tatsächlich, ich kenne dich. Du bist doch der Adee, der immer zusammen mit Xav in den Zellenschlupf geworfen wurde. Euer Streich mit Meister Kall ist einfach legendär.« Ein breites Grinsen hatte sich auf sein Gesicht geschlichen und Mäat wandte sich unter seinem Blick.

Verunsichert schielte er zu Valer, die nur eine Braue nach oben zog und ihn von der Seite her musterte.

»Ja genau, der bin ich«, antwortete Mäat kleinlaut.

»Oh Mann, wir dachten du bist tot! Was ist mit Xav? Lebt der auch noch? Und wo hast du dein Hörnchen? Und wo zum Asgass kommst du jetzt plötzlich her?« Die Fragen sprudelten nur so aus dem jungen Adeen raus und gerade bei der Erwähnung von Rutan zog sich im Inneren Mäats alles zusammen.

»Wärst du so nett und würdest uns ins Dorf bringen, ähm... «

»Kuus, mein Name ist Kuus«, antwortete der Wächter, »natürlich begleite ich euch. Mann, das wird eine Aufregung geben!«

Waldwesen - KiefernfrostWo Geschichten leben. Entdecke jetzt