Kapitel 3

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»Herrje Rhes!«, brachte der Adee hervor. Weitere seiner Worte gingen in ihrem Schluchzen unter, das immer wieder von Mäats Schulter hervordrang. Ihr ganzer Körper wurde von Seufzern durchgeschüttelt und er spürte bereits, wie seine Kleidung durchweichte.

»Ich dachte, ich hätte dich verloren. Ich glaubte, du wärst tot. So wie all die Anderen.«

Nur mühsam schaffte Mäat es, sie ein wenig von sich zu lösen, schon drückte sie ihre geröteten Lippen auf die seinen. Hitze strahlte von ihren Wangen ab und womöglich wäre Mäats Herz dahingeschmolzen, wenn sein Gewissen nicht sofort in seinem Kopf angeklopft hätte. Zum Glück löste sich die Adee schnell wieder von ihm, aber nur um ihn erneut in eine innige Umarmung zu ziehen. Im Augenwinkel erkannte er noch Valers entsetzten Gesichtsausdruck, bevor sich ihre Züge versteinerten.

»Alles gut, Rhes. Ich bin wieder da und zwar in einem Stück.« Mäat drückte seine Arme durch, um die weinende Adee in eigenem Abstand zu betrachten. Sie war noch hübscher, als er sie in Erinnerung hatte. Das volle Haar umspielte ihre geröteten Wangen und von der kleinen Nase tropften Tränen. Sie wischte sich mit dem Ärmel über ihr Gesicht und atmete tief durch, nicht ohne Mäat ein glückseliges Lächeln zu schenken.

Morr rettete ihn zum Glück. »Rhes, sei so lieb und lass uns noch ein bisschen reden. Du kannst Mäat danach noch lange genug haben.«

Die Rothaarige warf Morr einen unzufrieden Blick zu, setzte sich dann aber still neben Mäat. Dabei drückte sie Valer, ohne zu zögern, ein Stück beiseite und hielt Mäats Hand fest mit ihrer umschlungen.

»Es ist viel passiert in letzter Zeit «, knüpfte Thall an das Gespräch an. » Der warme Sommer spielte uns beim Aufbau des Dorfes in die Hände. Auch wenn unsere Vorräte bei weitem nicht so üppig sind, wie die Jahre zuvor, wird es doch über den Winter reichen.«

Mäat nickte, doch er übersah die Falten auf der Stirn der alten Adee nicht. Der erste Überblick aber, den er sich hatte verschaffen können, machte ihm deutlich, dass die Tamieheider in den Holzbauten eng zusammenrücken mussten. Es waren nicht annähernd so viele wieder hergestellt, wie nötig gewesen wäre. Wie die Hörnchen mit der Situation umgingen konnte er sich nicht vorstellen, denn es war unüblich, dass mehrere ihrer Rasse zusammen in einem Kobel lebten.

»Danke, dass ihr mich auf den aktuellen Stand gebracht habt und natürlich auch für das Essen«, schob er hinterher. Doch im gleichen Moment zuckte ein ängstlicher Ausdruck über das Gesicht seiner Mutter. Es brauchte keine Aufforderung, sein intensiver Blick machten nur zu deutlich, dass er wissen wollte, was los war. Morr tat ihm den Gefallen und begann etwas zögerlich zu sprechen.

»Es gibt da noch etwas, was wir dir sagen müssen. Es geht um Meister Kall...«

»Ach so. Ja, ich weiß bereits, dass er ein Zosskenreiter ist.«

Entsetzt starrten ihn die Dorfbewohner an und erst da wurde Mäat klar, dass er die Information in ihren Augen viel zu gleichgültig aufgenommen hat. Zum einen wussten sie nicht, dass er dem Meister im Dunkelforst begegnet war, zum anderen hatten sie keine Ahnung, dass vor ihnen ein Asgassreiter saß. Er überlegte fieberhaft, wie er die Anspannung ein wenig abschwächen konnte.

»Meister Kall kam vor einiger Zeit in den Dunkelforst. Dort hat er mich gefunden und mich darüber aufgeklärt, dass es Überlebende bei dem Brand gab. Dessen waren Xav und ich uns nämlich nicht bewusst.«

»Aber er ist erst vor einigen Sonnenläufen hier aufgebrochen. Wie kann es sein, dass du dann schon hier bist?« Morr schüttelte verwirrte den Kopf.

»Canis, der Zossk, läuft schnell. Und außerdem ist der Dunkelforst ja gar nicht so weit entfernt.« Mäat wurde ganz heiß. Aus den Augenwinkeln schielte er zu Valer, doch diese rührte sich nicht.

»Hmm... das hätte ich nicht für möglich gehalten«, meinte daraufhin Morr und auch die Dorfälteste nickte nachdenklich.

Mäat selbst sagte darauf nichts mehr. Es fiel ihm immer noch unglaublich schwer zu lügen und er befürchtete enttarnt zu werden, doch bevor Morr weitere Fragen stellen konnte, verabschiedete sich Mäat.

»Aber warum willst du denn gehen, ihr könnt doch hier bei uns in den Schlupfen schlafen!«

»Danke Mutter, das werden wir auch gerne. Wir haben aber noch einiges an Gepäck in einem Unterschlupf zurückgelassen. Wir werden den Mondlauf noch dort verbringen und die Sachen dann morgen mitnehmen.«

Es hatte einiges an Überzeugungsarbeit gebraucht, bis Mäats Mutter die beiden ziehen hatte lassen. Sie hatte sich nicht vorstellen können, dass es für die beiden nicht gefährlich sein würde, unter freiem Himmel zu schlafen. Sie hatte schließlich auch keine Ahnung, dass sich jeden Mondlauf riesige Schwingen schützend über die beiden legten.

»Du musst noch etwas wissen, Mäat. Thall hat ihn fortgeschickt.« Mäat und Valer waren bereits einige Schritte von seiner Mutter entfernt, als sie sich zu dem Geständnis durchrang.

»Wen?«, hakte Mäat nach.

»Meister Kall. Wir konnten ihn nicht länger hier leben lassen. Die Dorfbewohner hatten zu große Angst vor ihm und dem Zossken. Es war schon eine Mühe, eine Heilerin zu finden, die ihn gepflegt hatte. Also haben wir ihn weggeschickt. Ich weiß nicht, was er euch erzählt hat, aber ich hoffe, ihr denkt jetzt nicht schlecht über uns. Thall hat das einzig Richtige getan.«

Mäat rang sich zu einem Nicken durch, wandte sich ab und ging, zusammen mit Valer, in Richtung des Daumsennestes. Seine Mutter stieg auf ihr Hörnchen, um auf dessen Rücken die große Eiche emporzuklettern. Sie wusste nicht, welche Sorgen sie ihrem Sohn mit ihren letzten Worten bereitet hatte.

***

Leuchtende Augen. Sie waren es wieder, die sich in Mäats Gedächtnis bohrten. Der intensive Blick lies sein Herz schneller schlagen und ihm war heiß. Was auch immer ihm die Augen sagen mochten, er verstand es nicht. Er konnte ihnen nicht folgen. Aber doch hatte er das Gefühl, sie verstehen zu können. Verstehen zu müssen.

Mäat schreckte hoch. Rote Augen leuchteten auf ihn herab, als er sich in der Dunkelheit drehte. Das Daumsennest, in dem er lag, knackste leise.

Picea rührte sich nicht, nur ihr Kopf folgte Mäats Bewegung.

Sein Herz pochte. Der Traum war noch nicht verklungen und er sah die leuchtenden Augen immer noch vor sich. Es war unmöglich jetzt wieder einzuschlafen, deshalb rappelte er sich auf.

»Bleibst du hier und passt auf sie auf?«, flüsterte er Picae leise zu und nickte mit dem Kopf in Richtung der schlafenden Valer. Die Asgassdame schaute ihn weiterhin an und Mäat wusste, dass sie ihn verstanden hatte. So bedächtig wie möglich schlich er sich aus dem Nest und kletterte an den Ästen hinab bis zum moosbedeckten Waldboden. Das letzte Stück war am beschwerlichsten, denn dort befanden sich keine Äste und Zweige mehr am Eichenstamm und Mäat musste sich mit den Fingern und Zehen in die Furchen der alten Rinde krallen.

Er war hellwach, als er mit großen Schritten in Richtung des Rasis ging, der sich nicht weit von ihrem Lager entfernt entlangschlängelte. Vor ihm ragten junge Bäume aus dem Boden und hier und da musste er den Stacheln der Brombeersträucher ausweichen, die der Mond hell erleuchtete. Die Luft, die in seine Lungen drang war frisch und rein und er fühlte sich für einen Moment erleichtert. Die Erinnerung an die Zeit vor dem Brand trieb ihm ein Lächeln ins Gesicht und schon bald hörte er das leise Rauschen des Baches vor sich.

Hell glitzerte das Wasser vor ihm und spiegelte die Abbilder der Eichen im Mondlicht. Mäat kniete sich an das Ufer und schöpfte sich das eiskalte Wasser in Gesicht und Hals. Auch den Nacken wusch er sich und verspürte sogleich, wie das reine Nass die Erinnerungen an den Traum abwusch. Er war dankbar, für die Erleichterung, aber auch für die Rettung, die ihm der Rasi einst geboten hatte. Der Bach hatte Xav, Legov und ihn vor den Flammen bewahrt.

Mäat zuckte zusammen. Ein Rascheln hinter ihm ließ ihn herumfahren. Zuerst dachte er, dass es sich um einen Nikkel oder eine Fimasu handeln könnte, doch er täuschte sich.

Mit langsamen Schritten trat ein alter Mann auf ihn zu und Mäat erkannte ihn sogleich an dem verbrannten Gesicht.

Waldwesen - KiefernfrostWo Geschichten leben. Entdecke jetzt