Mäat erkannte, wie schön sie geworden war. Er hatte jegliche Angst und Zweifel, die er jemals ihr gegenüber gehegt hatte, verloren. Und mehr noch. Er hatte sie ins Herz geschossen.
Er setzte sich neben Oruk, der ihn nicht kommen gehört hatte und plötzlich aufsprang um sich wieder vor ihm zu verneigen.
„Ach jetzt hör schon auf mit diesem Unsinn!", schimpfte Mäat lachend und zog ihn am Arm zu sich hinunter. Unsicher setzte sich der Adee und ließ Mäat dabei nicht aus den Augen.
„Glaub mir Oruk, ich bin nichts Besonderes", er lächelte den Melmurreiter an. „Wenn du jemanden anbeten oder dich verneigen möchtest, dann vor ihr." Mäat deutete auf Picea.
„Der Asgass?", fragte Oruk mit gerunzelter Stirn.
„Ja. Ich bin nur ein gewöhnlicher Adee. Du denkst jetzt vielleicht ich bin anders, das kommt dir aber nur so vor, weil ich nicht von hier komme. Wenn du aber mal im Eichenwald warst, wirst du merken, dass ich vollkommen gewöhnlich bin. Aber Picea ist ein Asgass. Sie lässt mich auf sich reiten, jagt keine Adeen und hat auch euch nicht angegriffen. Ich weiß nicht, ob das so ist, weil sie nie gelernt hat uns als Beute zu sehen oder ob sie es mir zuliebe lässt. Oder ob es tatsächlich daran liegt, dass sie von eurem Gott geschickt wurde." Letzteres bezweifelte Mäat, aber er wollte, dass Oruk verstand, dass Picea und nicht er einzigartig war.
Der Melmurreiter schaute zu dem Asgassweibchen, das sich immer noch sonnte. „Aber sie ist so ... furchteinflößend!", stotterte Oruk und warf einen unsicheren Blick auf Mäat, der lachte.
„Ja, das stimmt. Wenn ich sie nicht als kleines, hilfloses Jungtier kennengelernt hätte, dann hätten mich keine zehn Hörnchen in ihre Nähe gebracht."
Elai rückte näher an die beiden Adeen heran und schnupperte an Oruk. Er streichelte sie gedankenversunken am Kopf und sie legte sich tröstlich neben ihn, nicht ohne ihr linkes Auge auf Picea gerichtet zu lassen.
„Welche Möglichkeiten sie dir bietet, kann ich mir kaum vorstellen. Du kannst dich einfach auf ihren Rücken setzen und hinfliegen, wo auch immer du willst. Kannst den Berg verlassen und musst keine Angst haben von irgendwem angegriffen zu werden. Du kannst Entfernungen überwinden, die ich mir kaum vorstellen kann und... und das Fliegen. Allein das Fliegen muss unbeschreiblich sein. Nicht, dass ich mit dir tauschen möchte. Ich bin mit Elai und unserem Leben wirklich zufrieden, aber allein die Vorstellung, geht kaum in meinen Kopf. Du magst recht haben, mein lieber Freund, deine Picea ist etwas Besonderes. Aber du allein bist derjenige, den sie auf sich reiten lässt. Du kannst mir vieles erzählen, aber für mich bist und bleibst du der Himmelsreiter!"
Mäat grübelte, versuchte Oruks Worte zu verstehen. Er konnte sich beim besten Willen nicht mit dem Gedanken abfinden, der Himmelsreiter, anbetungswürdig und ehrbar, zu sein. Aber die Ansichten des Melmurreiters gaben ihm Gründe zu anderen Gedanken.
„Wenn ich ehrlich bin, dann habe ich das noch nie so deutlich gesehen, aber du hast Recht. Ich kann tatsächlich hingehen, wo immer ich will und muss dabei keine Angst haben. Aber glaub mir, dass ich die trotzdem habe. Als wir vor einigen Sonnenläufen den Lochberg erreichten, da sind wir auf ein ausgewachsenes Asgassmännchen gestoßen. Das war auch der Grund, warum ich von Picea getrennt wurde und in die Lüftungshöhle gefallen bin. Ich hatte Angst um sie, wusste nicht, was der andere Asgass mit ihr machen würde. Er hat ihr wohl nichts getan, zumindest sieht sie ganz heil und gesund aus, aber seit ich Rutan verloren habe, ist da immer die Angst. Und ... ich will es dir sagen, weil es jetzt auch keinen Unterschied mehr macht. Ich bin nicht ganz freiwillig hier. Tamieheid, mein Heimatdorf, von dem ich dir erzählt habe, ist nicht mehr mein zuhause. Sogar meine eigene Mutter hatte zu viel Angst vor Picea, als dass sie mich im Dorf leben hätte lassen. Demnach bin ich zurzeit nur Reisender und gehöre nirgends hin."
Mäat atmete tief durch und sah dann Oruk an. Der Adee war immer allein, ging es ihm durch den Kopf. Es gab bei den Melmurreitern kein Dorfleben, keine große Gemeinschaft. Und er war glücklich. Zumindest hatte Mäat den Eindruck, als er zusah, wie dieser seine Elai zärtlich streichelte und ihr einen warmen, tief freundschaftlichen Blick zuwarf.
„Oh, man. Es muss sich furchtbar anhören, wenn ich jammere, oder?" Mäat schüttelte über sich selbst den Kopf. „Ich hab es echt gut. Es ist in letzter Zeit nur einfach zu viel Schlechtes passiert. Aber ab jetzt, werde ich mich glücklicher schätzen. Danke." Lächelnd wandte er sich Oruk zu, der ihn zwar noch etwas schüchtern ansah, aber mit weniger übertriebener Ehrerbietung als noch vor ihrem Gespräch.
„Und wenn ich mal wieder vergesse, wie froh ich sein kann Picea zu haben", grinste Mäat, „dann musst du dich nur ein paar Mal vor mir verbeugen und mich als himmlischer Reiter ansprechen, damit es mir besser geht."
Da lachte Oruk endgültig auf, sodass sogar Elai ihren Blick, der ununterbrochen auf Picea gerichtet war, abwandte und sie mit bebenden Schnurrhaaren anschaute.
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Waldwesen - Kiefernfrost
FantasyAchtung! Zweiter Band der Waldwesen-Reihe. 1. Band: Waldwesen-Eichenfeuer. https://www.wattpad.com/story/124584790-waldwesen-eichenfeuer Nach dem aufregenden Sommer kehrt Mäat, zusammen mit Valer, nach Tamieheid zurück. Die Freude über seine Rückke...