Kapitel 6

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»Was ist...?« Doch noch bevor er den Satz zu Ende sprechen konnte sah er einen Schatten auf das Hörnchen zukommen. Im letzten Moment versuchte es sich zu ducken, doch die Krallen erwischten ihn noch und es wurde in die Höhe gerissen. Der Uhom hatte es mit einer der Klauen erwischt und versuchte mit mächtigen Flügelschlägen mit seiner Beute in die Luft zu steigen.

»Soom!«, schrie Morr und wollte hinterherlaufen, doch Mäat hielt sie fest. Sie schlug mit den Händen wie wild in seine Richtung und versuchte sich aus seinem Griff zu winden. Genau wie das Hörnchen. Wie verrückt ruderte es mit dem Schwanz und versuchte sich herumzudrehen. Plötzlich schaffte Soom es eine seiner Krallen in den vorderen, herab sausenden Flügel des Uhoms zu schlagen und brachte den Räuber damit aus dem Gleichgewicht. Doch der Auftrieb und die zwei gegenüberliegenden, mächtigen schlagenden Schwingen hielten ihn in der Luft. Soom hingegen konnte sich dadurch herumwinden, obwohl es für Mäat aussah, als müsste er sich dabei den Rücken abbrechen. Mit einem bösen Fauchen schlug er seine Zähne in den Fuß des Uhoms. Dieser schrie auf und ließ seine Beute los. Soom stürzte aus großer Höhe auf die Lichtung zu, schaffte es nicht mehr sich herumzudrehen und schlug somit mit einem dumpfen Knall auf dem Boden auf. Reglos blieb er liegen währen der Uhom über ihm krächzte.

»Oh nein, Soom!«, schrie Morr und Mäat ließ sie los. Sofort stürzte sie auf das graue Fellknäuel zu. Der Angreifer über ihnen stieß erneut ein böses Knarzen aus schlug ungeduldig mit dem federbesetzten Schwanz. Mit einem Blick aus den großen, runden Augen entschied er dann, zuerst ein anderes Opfer zu suchen, dass sich vielleicht als weniger wehrhaft herausstellen könnte und wandte seinen Kopf dem dunkelbraunen Hörnchen zu, dass sich gerade schützend vor den Frauen aufbaute, die vorhin alleine am Grab gestanden hatten. Er senkte das Haupt, schlug kräftig mit seinen vier Flügeln und raste mit unglaublicher Geschwindigkeit auf die Gruppe am Boden zu. Die Frauen schrien hinter dem Hörnchen auf, welches böse fauchte und seine Krallen abwehrend in die Höhe streckte.

»Nicht! Flieht!« Mäat lief los und wedelte wild mit den Armen. Ein einzelnes Hörnchen konnte einem Uhom nie standhalten. Nur eine Flucht in das gesicherte Tamieheid würde ihnen Rettung bringen, doch ob sie soweit kommen würde bezweifelte er. Zudem lag Soom immer noch am Boden. Den Kopf bewegter er bereits wieder, doch kämpfen würde er nicht mehr können. Mäats Gedanken überschlugen sich, doch ihm fiel nichts ein, wodurch sie sich vor dem Uhom retten konnten. Wie verrückt lief er also weiter auf die Gruppe zu, doch der Räuber war schneller. Langsam setzte er zum Sinkflug an, die Krallen voran weit auseinander gereizt, als plötzlich ein Schrei durch die Lichtung hallte.

Mäat kam abrupt zum Stehen, als sich ein gefiederter Hals durch die Eichenstämme schob. Der gebogene Schnabel war weit aufgerissen und die roten Augen standen senkrecht zueinander. Vertikal zum Boden zischten Flügel durch die Bäume, denn waagrecht würden sie durch das entstehende Holz nicht hindurchpassen. Mit einem dumpfen Knall traf der Asgass auf den Uhom und für kurze Zeit konnte Mäat nur noch ein grau-weißes Knäuel aus Federn, Fell und spitzen Krallen erkennen, die ab und an in der Sonne aufblitzten. Ein ohrenbetäubendes Gekreische und Geschrei folgte und dann sprang Mäat gerade noch rechtzeitig zur Seite, als der Uhom mit einem lauten Schlag auf die Erde knallte. Die glänzenden Steine flogen in alle Himmelsrichtungen davon und feuchte Erde rieselte über Mäats Gesicht, dass er gerade noch grob mit seinen Armen abgedeckt hatte. Durch einen Spalt zwischen seinen Hemdsärmeln hindurch konnte er erkennen, wie der Uhom seine Krallen in die Luft streckte, um sich den mächtigen Angreifer, der über ihm thronte, vom Leib zu halten. Dabei schlug er mit den vier Schwingen um wieder in die Luft zu kommen, wirbelte dadurch aber nur Dreck auf. Drei scharfe Krallen fuhren auf den Uhom nieder und Federn stoben auf. Als sich der Asgass anschließend von ihm abwendete, schaffte er es den Körper so aufzurichten, dass er mit den Flügeln schlagen und seinen verletzten Rumpf mühsam in die Luft befördern konnte. Auf Mäats Arm landete ein dicker, roter Tropfen, als der Uhom über ihn hinweg flüchtete, dicht gefolgt von dem Asgass, der ihn noch bis zum Ende der Lichtung jagte und einen bösen Schrei hinterherschickte.

Mäat rappelte sich auf und klopfte sich den Dreck vom Hemd und rannte dann schnurstracks auf seine Mutter zu, die völlig erstarrte neben Soom stand, der sich bereits wieder auf alle Vieren aufgerappelt hatte. Das dunkelbraune Hörnchen packte währenddessen den letzten seinen Begleiter, die scheinbar ebenfalls unter Schock standen, auf seinen Rücken uns sprang dann in Richtung Tamieheid davon.

»Ist alles in Ordnung bei euch?«, fragte Mäat, als er Morr erreichte und suchte dabei das graue Fell des Reittieres mit seinen Augen auf Verletzungen ab.

»Es geht ihm soweit gut. Ich glaube, er hat starke Prellungen, aber ansonsten habe ich nichts erkennen...« Die Adee erstarrte und ihr Blick war, an ihrem Sohn vorbei, auf etwas hinter ihm gerichtet. Als Mäat sich umdrehte, konnte er Picea erkennen, die nun ein Stück hinter ihm landete, darauf bedacht, mit ihren riesigen Krallen keines der Gräber zu beschädigen, die vom Einsturz des Uhoms noch verschont geblieben waren. Sie hatte, bis auf kleine Federn, die aus dem ansonsten glatten Kleid anstanden, keine Verletzungen davongetragen und Mäat war darüber unglaublich erleichtert.

»Mutter, du brauchst dich nicht zu fürchten. Das ist Picea. Sie tut dir und Soom nichts. Sie hat uns gerade gerettet.«

»Mäat, was redest du da?«, stotterte Morr. Ihr Gesichtsausdruck war von ängstlich zu entsetzt gewechselt und nun starrte sie ihren Sohn an. Gleichzeitig trat sie langsam einige Schritte zurück, um näher an Soom heranzukommen, oder weiter von Mäat weg. So ganz sicher war sich dieser da nicht.

»Glaub mir! Es ist wirklich eine lange Geschichte und ich erzähl sie dir gerne, aber du musst mir vertrauen! Ich würde dich und Soom doch niemals in Gefahr bringen!«

Sie schüttelte den Kopf. Mittlerweile hatte sie ihr Hörnchen erreicht, das am ganzen Körper zitterte. Sofort packte es zu und verfrachtete sie auf dem Rücken. Dort krallte sich ihre rechte Hand ins Fell und die linke streckte sie Mäat entgegen.

»Komm mit. Ich bringe dich nach Tamieheid. Soom ist schnell und durch das Dickicht kann uns dieses Vieh nicht erwischen!«

Verzweifelt drehte sich Mäat erneut zu Picea um, die dort geduldig hockte und die Situation mit schräg gelegtem Kopf beobachtete. In Mäats Augen sah sie vollkommen friedlich aus. Ihr graues Fell schimmerte im Licht, das die Sonne auf die Lichtung warf und in den rumliegenden, glänzenden Steinen funkelten nur ihre roten Augen stärker.

»Bitte Mutter! Du musst mir vertrauen! Ich...« Doch bevor Mäat die Worte zu Ende sprechen konnte, spannte Soom die Muskeln an und sprang zu den Bäumen. Innerhalb von Sekunden war er außer Sichtweite und nur einen Augenblick später konnte Mäat auch kein Knacken der Äste mehr vernehmen.

Jetzt waren sie nur noch zu zweit auf der Lichtung und als er seinen Blick senkte konnte er einen verkohlten Fuß zwischen glitzernden Steinen aus der Erde ragen sehen.

Waldwesen - KiefernfrostWo Geschichten leben. Entdecke jetzt