Kapitel 7

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Zornig wischte Mäat sich mit seinem Hemdsärmel eine Träne von der Wange. Ob sie nun vom Gegenwind stammte, der ihm hier, weit über den Wipfeln von Tamieheids Eichen, die braunen Haare ins Gesicht peitschte, oder von der Trauer, die seinen Magen zusammenzog, konnte er nicht mit Sicherheit sagen. Klar war hingegen, dass er nicht mehr zurück konnte. Dort unten bei den Gräbern hatte er die Entscheidung getroffen und so schwer es ihm auch fiel, er würde diesen Weg gehen.

Piceas Kopf zuckte hin und her. Sie beobachtet die grünen Spitzen unter sich genau, die rasend schnell vorbeizogen. Je nachdem über welche Baumarten sie hinwegflogen änderte sich das Bild. Von dunklem, sattem Grün über trockenes Gelb bis hin zu totem Grau, dass sie nahe dem alten Tamieheid hinter sich ließen.

Doch Mäats Blick war zu verschwommen, als dass er von dem, was unter ihnen passierte, Notiz hätte nehmen können. Es war also unmöglich mit Picea im Eichenwald zu bleiben, das war ihm nun bewusst, wenn selbst seine Mutter ihm nicht genügend Vertrauen schenken konnte, um sich seine Geschichte anzuhören. Eigentlich war es ihm schon klar gewesen, als er gehört hatte, dass Meister Kall weggeschickt wurde, nachdem sein Geheimnis um Canis gelüftet worden war. Aber in ihm hatte doch noch ein kleiner Funken Hoffnung gebrannt dass er vielleicht akzeptiert werden könnte. Im Nachhinein schüttelte er über sich selbst den Kopf. Die Angst vor den Räubern war einfach viel zu tief in den Adeen verankert. Egal wie er ihnen Picea vorgestellt hätte, es wäre immer eskaliert. Jetzt war es aber doch schneller passiert, als er gedacht hatte. Er musste also eine Entscheidung treffen, und das hatte er getan.

Picea drehte auf eine leichte Berührung hin nach rechts ab und näherte sich dem Rasi. Unter dem dichten Blätterdach blitze ab und an die Spiegelung des Wassers zu ihnen herauf, wodurch der Eindruck hatte, dass der Wald glitzerte. Mit mächtigen aber gemächlichen Flügelschlägen folgte sie dem Weg des Wasserlaufes in nördliche Richtung.

Mäat duckte sich wieder tiefer in das Asgassfell, um den starken Gegenwind etwas abzumildern. Er musste sie einfach in Tamieheid lassen. Egal wie er es drehte und wendete, es war das Beste. Er hatte Valer versprochen, dass sie im Eichenwald eine Chance auf einen Neubeginn hatte. Und was würde sie jetzt davon haben, wenn er sie aus dem geschützten Dorf riss, auf dem Rücken eines Asgasses mitschleppte und sie womöglich noch allerlei Gefahren im Steingebirge aussetzte. Er wusste schließlich nicht, was sie erwartete, doch sein Bauchgefühl sagte ihm, dass die Aufgabe, die Meister Kall ihm übertragen hatte, schwieriger zu lösen war, als er zu anfangs vermutet hatte.

Das war die Stimme seines Kopfes, doch in seinem Herzen sah es ganz anders aus. Die linke Seite stach bei dem Gedanken daran, dass Valer ihn hassen würde. Irgendwie wusste er, dass sie ihm das nicht so leicht verzeihen würde. Dass er sie einfach so, ohne ein einziges Zeichen des Abschiedes in dem fremden Dorf sitzen gelassen hatte. Kurz blitze vor seinen Augen das Bild einer rothaarigen Adee auf, doch er schüttelte leicht den Kopf, um es zu vertreiben. Seine rechte Seite des Herzen stach bei dem Gedanken daran, wieder alleine zu sein. Er hatte nur Picea, doch so würde es wohl bleiben. Und wenn er den Worten von Meister Kall Glauben schenken wollte, dann war es auch gut so, denn er hatte eine Aufgabe. Wie er den Melmurreitern helfen sollte, wusste er nicht einmal ansatzweise, aber versuchen konnte er es. Musste er es, denn wenn er schon nicht in Tamieheid bleiben konnte, so wollte er sich zumindest anderswo nützlich machen.

Innerlich hin und hergerissen bemerkte er zu Anfangs nicht, dass Picea nach Osten abgedreht hatte und die Wipfel unter ihnen spärlicher wurden. Erst als sie den Waldrand passierten, der vereinzelt noch mit grauen Stümpfen durchzogen war, hob Mäat den Kopf so weit aus dem schützenden Fell, dass er erkennen konnte, wo die Asgassdamen ihn hintrug.

»Ähm, wo willst du denn hin?«, meinte er. Als wollte Picea ihre Entscheidung untermauern schlug sie kräftig mit den Flügeln und schon zog unter ihnen die Steppe dahin. Ein klein wenig fühlte Mäat sich an die Reise mit Xav und Legov erinnert, doch die Perspektive war eine andere. Und auch die Geschwindigkeit, mit der die beiden sich fortbewegten, konnte man nicht mit dem elendig langsamen Fußmarsch vergleichen. Die Hügel unter ihnen wanderten dahin und das gelbe Gras, welchem der trockene Sommer jegliche Farbe entzogen hatte, wirkte wie eine starre, stachelige Haut.

Waldwesen - KiefernfrostWo Geschichten leben. Entdecke jetzt