Kapitel 10

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Der Höhlenraum, der vorhin fast leer gewirkt hatte, wurde mit der Ankunft des Melmurs schlagartig voll, sodass sich Mäat in eine kleine Nische zurückzog, die in die Wand geschlagen war. Still sah er dabei zu, wie sich die beiden Fremden begrüßten.

„Na, mein Dicker. Wo bist du gewesen? Hast du einen von ihnen gesehen?"

Man konnte die Zärtlichkeiten, die Urok mit dem Melmur austauschte, schon fast liebevoll nennen. Der Adee breitete seine Arme aus, um den großen Kopf zu umfassen und küsste ihn auf die Schnauze.

„Das ist meine Elai. Elai, das ist Mäat aus dem Eichenwald. Er ist mir heute vor die Füße gefallen."

Zum zweiten Mal, diesmal deutlich ausgiebiger, beschnupperte das Tier Mäat von Kopf bis Fuß.

Dabei konnte er es nochmal intensiver betrachten. Das tote Wesen, das Picea vor seinem Absturz am Berg begutachtet hatte, war auch ein Melmur gewesen. Elai sah, bis auf den roten Fellkragen, der bei ihr wesentlich deutlicher hervortrat, fast identisch aus.

„Hallo Elai", sagt Mäat zögerlich und strich dann vorsichtig mit der Hand seitlich über den Kopf, unterhalb der beiden Öhrchen vorbei, die knapp hintereinander angesetzt waren. Kurz danach verlor Elai das Interesse an ihm, legte sich friedlich an die hintere Höhlenwand und ließ sich von Urok mit den süßen Trockenfrüchten füttern. Ihre Augen fielen dabei zu und ein gurrender, zufriedener Laut drang irgendwo aus dem Tier hervor.

„Sie liebt die Beeren über alles. Warte noch kurz. Ein paar Augenblicke noch und sie schläft ein." Urok grinste Mäat zu und warf dann einen liebevollen Blick auf Elai.

„Hatte sie einen anstrengenden Sonnenlauf?", fragte Mäat.

„Oh nein, das ist normal. Die Melmurs schlafen zu dieser Jahreszeit immer mehr. Es ist hier draußen schwierig Futter zu finden und so sparen wir uns Energie. Ich zehre von meinen Vorräten, die ich gesammelt habe und gehe teils nur aus meiner Höhle, um mein Geschäft zu verrichten oder zu trinken."

„Machen das alle Melmurreiter so?"

„Nun ja, ich denke schon", antwortete Urok mit gerunzelter Stirn. „Aber genau weiß ich das nicht. Es hat mich auch nie wirklich interessiert."

Mäat war verwirrt. „Und wo sind die anderen eigentlich?"

„Du meinst die anderen Melmurs?" Der Adee zuckte mit den Schultern. „Sie leben verstreut in den Höhlensystemen rund um den Lochberg. Ich sehe nur selten andere Adeen und gehe ihnen, wenn ich ehrlich bin, aus dem Weg. Bei dir war das jetzt was anderes, du hast ja kein Melmur bei dir gehabt." Urok schob sich eine letzte Trockenfrucht in den Mund und legte sich dann direkt an Elais Seite, sodass ihr Fell um ihn herum abstand.

„Dann lebt ihr nicht zusammen in einer Gruppe?", hakte Mäat verwirrt nach.

„Naja, Elai und ich, wir sind eine gute Gemeinschaft. Jeder Adee folgt einem Melmur, aber untereinander haben wir nicht viel zu tun. Meine Mutter hat mich weggeschickt, als ich alt genug war um mich selbst zu versorgen. Es hat nicht lange gedauert, bis ich Elai gefunden habe. Sie hatte noch keinen Begleiter und hat mich bei sich aufgenommen."

Mäat runzelte die Stirn. „Und...", er zögerte, „wie kommt ihr dann überhaupt zusammen?"

„Was meinst du mit zusammenkommen?", fragt Oruk leichthin. Er bemerkte Mäats aufkeimende Scham nicht. Doch der junge Adee war einfach zu neugierig.

„Ich meine, wie pflanzt ihr euch fort?" Noch während Mäat es aussprach stieg ihm die Hitze in den Kopf. Er hatte noch nie offen über das Thema gesprochen. Im Eichenwald lebten die Adeenmänner mit ihren Frauen zusammen und die Hörnchen suchten nur im Frühjahr nach dem anderen Geschlecht, um sich zu paaren.

„Achso, das meinst du!" Oruk grinste Mäat leichthin an, als wäre ihm das Thema überhaupt nicht peinlich. „Wenn es draußen wärmer wird, ist es schon mal vorgekommen, dass ich auf eine Adee gestoßen bin, die mir gefallen hat. Und dann hatten wir halt unseren Spaß. Elai geht's da genauso. Ich denke, es wir hier drinnen auch bald enger werden." Liebevoll klopfte er auf den fellüberzogenen Bauch des Melmurs, an dem er lehnte.

Erschrocken dachte Mäat an Picea. Auch sie würde sich einmal paaren wollen. Vielleicht noch nicht jetzt, aber in einigen Mondrunden. Würde er mit jungen Asgassen klarkommen? Er schüttelte den Gedanken ab, denn es gab eigentlich viel dringlichere Dinge, die er regeln sollte.

„Oruk, es ist wirklich sehr sehr lieb von dir, dass du mich hierher mitgenommen hast, aber ich muss dringend wieder nach oben."

Der angesprochene Adee lehnte sich nach vorne und sah Mäat unter den buschigen Brauen hinaus an. „Warum willst du das so dringend?"

Mäat zuckte innerlich zusammen, ließ sich aber nichts anmerken. „Ich war auch nicht alleine unterwegs. Picea wird mich schon überall suchen."

Jetzt erst horchte Oruk auf. „Oh, jetzt versteh ich!" Er kratzte sich demonstrativ am Kopf. „Das ist jetzt wirklich eine blöde Situation, aber ich glaube es ist besser, wenn du trotzdem den Mondlauf hier unten bleibst und ich dich morgen erst hinaufbringe. Es wird jetzt schon dunkel sein und da wird es schwierig, deine Begleiterin zu finden. Elai wird keinen Fuß mehr aus der Höhle raussetzen und morgen könnten wir dich begleiten." Wie um seine Entscheidung zu unterstreichen, streckte sich Oruk neben der Melmurdame aus und kuschelte sich nahe an sie heran.

Mäat war ganz flau im Magen, doch ihm war klar, dass er auf eigene Faust niemals aus dem Höhlengewirr herausfinden würde. Er war auf die Hilfe des Melmurreiters angewiesen.

Auch er streckte sich auf dem harten Boden aus. Es war alles andere als bequem und er wusste jetzt schon, dass ihm im Mondlauf kalt werden würde. Wie gerne würde Mäat sich unter Piceas Flügel kuscheln und er hoffte, dass ihr nichts passieren würde. Aber wie war ein Asgass, und daher weniger gefährdet, als alle anderen Tiere. Eigentlich konnten ihr fast nur Ihresgleichen gefährlich werden. Ihn überlief ein Schauer, als er an das Asgassmännchen dachte, dass über dem toten Melmur gesessen hatte.

„Was für ein Tier ist dann deine Picea, wenn du kein Melmurreiter bist?", hörte Mäat noch gedämpft von der anderen Höhlenseite. Er entschied, dass es besser war, so zu tun als hätte er die Frage nicht mehr gehört. Diesem Problem würde er sich noch früh genug stellen müssen.

Waldwesen - KiefernfrostWo Geschichten leben. Entdecke jetzt