Mein Klient betrat das Café um 16.53 Uhr und steuerte den vereinbarten Platz an. Sehr gut! Ich schätze Pünktlichkeit. Verlässlichkeit der Kundschaft ist in jeder Branche ein hohes Gut, aber in meinem Metier ist sie absolut unverzichtbar. Eine Frage von Leben und Tod, gewissermaßen. Ich wartete bis exakt 16.55 Uhr, dann klemmte ich mir die Zeitung, die mein Gesicht verborgen hatte, unter den Arm und begab mich zu dem Tisch des gutaussehenden jungen Mannes mit dem perfekt sitzenden Sportsakko.
Die Schreibkladde mit dem weinroten Ledereinband, die er vor sich auf den Tisch gelegt hatte, war das vereinbarte Zeichen, aber ich hatte ihn schon beim Hereinkommen erkannt. Ich hatte natürlich Erkundigungen eingezogen und wusste, wie er aussah, aber selbst ohne das wäre ich mir sicher gewesen: diese besondere Art der Nervosität, die in seinem Blick lag, war mir nur zu vertraut. Knapp vor seinem Tisch bremste ich meine Schritte, blieb stehen und fragte freundlich: »Mister... Smith, nehme ich an?« Er nickte kurz, und ich nahm ihm gegenüber Platz.
»Sie können mich ‚Winter' nennen. Haben Sie gut hergefunden?« Wieder ein kurzes Nicken. Sehr gut! Der Mann hatte sich im Griff, trotz seiner gerade mal 32 Jahre. Die meisten meiner Klienten sind erheblich älter, aber nicht immer auch reifer. Die Frage war lediglich ein Test gewesen. Hätte er geantwortet, wäre ich gegangen. Das war eine meiner Spielregeln. Ich redete, er schwieg. Psychologie. Der Klient konzentriert sich auf das, was ich sage - und darauf, selber nichts zu sagen -, und achtet deshalb weniger auf mein Äußeres. Wie heißt es doch so schön: Anonymität ist wie eine wärmende Decke.
Es gibt eine Reihe von Regeln für meine üblichen Kundengespräche. Die Erkennungszeichen wechseln, die Regeln nicht. Jedes dieser „Gespräche" findet in einem Café in der Nähe einer Kirche statt - einer Kirche mit Stundengeläut. Jedes Treffen beginnt fünf Minuten vor der vollen Stunde und endet mit dem ersten Glockenschlag. Erscheint der Klient mehr als fünf Minuten vor dem vereinbarten Zeitpunkt, kommt das Geschäft nicht zustande. Läutet die Glocke, bevor ich fertig bin, kommt das Geschäft nicht zustande. Sagt er etwas, kommt das Geschäft nicht zustande.
»Mister Smith, Sie haben mit mir Kontakt aufgenommen, weil Sie jemandem ein einmaliges Erlebnis bieten wollen. Richtig?« Er nickt, während ich fortfahre: »Ihnen ist klar, dass meine Dienste sehr exklusiv und dementsprechend kostspielig sind? Es gibt erheblich günstigere Anbieter. Allerdings darf ich wohl ohne Übertreibung sagen, dass keiner meiner Mitbewerber das Maß an Individualität und Raffinement liefert, dass ich Ihnen offerieren kann, und auf das Sie offensichtlich Wert legen.« Der Klient zögert kurz, dann senkt er als Zeichen der Zustimmung leicht den Kopf.
»Sehr gut. Mein Honorar beträgt 50. Pauschal. In Britischen Pfund. Festpreis inklusive Spesen, zahlbar innerhalb zwei Wochen ab Vertragsabschluss. Wenn die komplette Summe pünktlich eingegangen ist, werde ich tätig. Eine Stornierung ist dann nicht mehr möglich. Lieferung binnen acht Wochen. Weitere Treffen werden nicht stattfinden. Sobald ich diesen Raum verlasse, sehen Sie mich nie wieder.« Wieder das kurze Zögern, bevor er den Kopf senkt. Und seine Augen werden eine Winzigkeit schmaler. 50.000 Britische Pfund sind wohl eine Summe, die ihm Schwierigkeiten bereitet. Sein Problem.
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Unrepeatable Experiences Ltd.
Short StoryGeschichten rund um den Auftragsmörder Winter