Die Sonne kitzelte ihre Nase, als diese durch die Jalousien des Fensters schien. Sie öffnete langsam ihre Augen. Eine blonde Strähne lag kurz über ihren grasgrünen Augen. Ruhig wischte sie diese weg. Die Frau richtete sich auf, streckte sich, erhob sich aus ihrem Bett, welches eigentlich für zwei Personen gedacht war. Wie jeden Morgen fiel ihr Blick auf das Bild. Sie selbst, wie sie einen Jungen von etwa 13 Jahren eng umschlossen hielt. Beide, Mutter und Sohn, grinsten glücklich in die Kamera. Sie schmunzelte. Noah.
Ihre Morgenroutine lief wieder einmal, wie einstudiert, ab. In das Badezimmer, Zähne putzen, das lockige Haar kämmen, den schlanken Körper mit Sachen für die Jahreszeit geeignet, bekleiden. Sie öffnete das Fenster und verließ das Schlafzimmer.
Und obwohl jetzt Folgendes ihr schon nahezu das Bekannteste auf der Welt war, freute sie sich wie jeden Morgen immer wieder darauf.Behutsam öffnete sie die benachbarte Tür. Das Zimmer weitestgehend dunkel, bis auf ein paar wenige Lichtstrahlen, die hinter der blauen Gardine hervorschienen. Sie lächelte und schlich sich in den kleinen Raum. Ruhig setzte sie sich auf die Bettkante und streichelte den Kopf ihres Sohnes, welcher sich nahezu genau so weich anfühlte, wie das Kissen, auf welchem dieser lag. Sie wisperte leise seinen Namen. Noah. Sie bewegte die Decke, damit sie deutlicher eine Regung erkannte. Noah drehte seinen zur Wand gewandten Körper und schaute seiner Mutter mit großen, grün-blauen Augen in das älter wirkende Gesicht. Er stöhnte unterdrückt. „So früüh.", gähnte er. „9:20Uhr.", erwiderte sie und lächelte ihren Sohn an. ,,Steht was an?" Noah blickte sie erwartungsfroh an. ,,Was du willlst. Wir haben frei." Beide lächelten. Eine wohlige Zufriedenheit wirkte zwischen beiden, als sie frühstückten, ebenso, als Noah im Haus umherrannte und sie ihn beobachtete. Doch als er hinaus gehen wollte, wurde ihre Miene ernst und aufmerksam. Sie hasste es, ihn draußen an der Straße spielen zu lassen. Sie dachte an den knappen Unfall, den hupenden PKW, die hysterische Frau. Überlegt aber entschlossen schüttelte sie den Kopf. ,,Dann in den Park oder so, Mama. Bitte! Ich bin doch schon groß. Andere Jungs können auch alleine raus!" Sie verneinte erneut. ,,Wenn du unbedingt raus musst, komme ich mit, wie immer." Noah verdrehte die Augen, aber aufgrund seiner Kompromissbereitschaft nickte er zustimmend. Er errötete, als er an der Hand seiner Mutter im Park ankam, freute sich umso mehr, als dieser feste Griff ihn endlich losließ. Sofort rannte er zu dem Fussballfeld, auf welchem andere Jungen bereits spielten. Sie lächelte kurz, trotzdem sie sich bewusst war, dass er gleich wiederkehren würde. Den Kopf gesenkt, geknickt, weil keiner der Jungen das Spiel unterbrachen, um noch Platz für einen Spieler zu machen. Sie nahm ihren Sohn in den Arm, dieser erwiderte knapp ihre Umarmung und schaute betrübt zu Boden. ,,Was ist mit mir?", wisperte er leise. Sie hockte sich auf die Knie, ihr Kopf war etwas tiefer, als der ihres Sohnes. ,,Nichts. Du bist..." ,,Wunderbar, jaja, ich weiß." Noah drehte sich von seiner Mutter weg, schaute sehnsüchtig zu den spielenden Kindern. ,,Sie haben alle Freunde, Mama, fällt dir das auf?" Aufmerksam beobachtete sie das Spiel, ihre Händen ruhten immer noch auf den Schultern ihres Sohnes. ,,Ich könnte vielleicht auch welche haben..." ,,Du weißt, dass das nicht geht.", antwortete sie bestimmt. ,,Die anderen besuchen eine Schule, treffen ihre Freunde, spielen gemeinsam Videospiele, treffen vielleicht auch Mädchen. Warum ich nicht?" Sie verdrehte die Augen und erinnerte Noah daran, wie oft sie dieses Gespräch schon geführt hatten. ,,Ändern tut sich nie was.", antwortete er, erstaunlich erwachsen und schubste die Hände seiner Mutter von seinen Schultern. Betrübt setzte er sich auf die Bank, die er immer als die Seine bestimmte. Sie war betrübt, doch sie wusste, dass es das Bessere war. Und so saß er da, die ganze Zeit, beobachtete die Anderen. Stumm überlegte sie. "Morgen", dachte sie. So wie so oft. Sie nahm Noah an ihre Hand und führte ihn mit nach Hause. Gespräche, die sie versuchte anzufangen, blockte er ab, Aktionen, die sie ihm anbot, lehnte er ab. Als sie ihn am Abend ins Bett schickte, drehte er selbst den Kopf weg, als sie ihm einen Kuss geben wollte. Sie lag lange im Bett, starrte an die Decke, überlegte. "Ich kann nicht.", grübelte sie nahezu ganzseitig und schien auch von diesem einen Satz andauernd zu träumen, als der Schlaf sie schlussendlich nun doch ergriff.
Ein neuer Morgen, erneut anziehen, Fenster öffnen, zu Noah schleichen. Er war bereits wach, schaute aus dem Fenster, ignorierte seine Mutter. Ebenso beim Essen, er stocherte lediglich in seinem Müsli, am Ende fehlte nichts. ,,Noah, ich habe es mir überlegt.", setzte sie an. Er reagierte nicht. Auch, als sie ihn bat, sich eine Jacke anzuziehen, damit sie in den Park könnten, agierte er kaum. Am Fussballfeld setzte sie sich auf die Bank, schloss die Augen. Hörte kein Geräusch. Auch hörte sie nicht, wie Noah scheinbar ging. Ohne ein Wort zu sagen. Nahezu lautlos. Er hinterließ keine Spuren in dem vom Regen aufgeweichten Sand des Spielplatzes. "Wie immer.", realisierte sie. Sie öffnete die Augen, fürchtete sich davor, die Wahrheit zu sehen. Fürchtete sich davor, ihre eigene Welt zerstört zu sehen. Sie öffnete sie ruhig, sah in den gräulichen Himmel, tastete auf der Bank. Sie fühlte nichts, so sehr sie es sich auch wünschte. Nach einer gewissen Zeit helfen keinerlei Wünsche mehr...
Er saß neben seiner Tochter auf einer Schaukel und dachte kurz an seine Frau. Obwohl sie nur auf Arbeit war, fehlte sie ihm. Er würde sich gewissermaßen einsam fühlen, wenn seine Kleine nicht wäre. Er bemitleidete Menschen, die zum Alleinsein verdammt waren.
Und selbst die Frau, die sonst vor sich hinmurmelnd, manchmal lachend, durch den Park ging, wirkte jetzt allein, wie sie die Bank neben sich ruhig abtastete.Dann lachte sie. Sie griff in die Luft, sah einen lächelnden, blondhaarigen Jungen, berührte seine Hose. Sie spürte die Umarmung, der Mann lediglich einen kalten Windhauch.
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Schlaf
Short StoryHier in dem Buch werde ich ein paar Kurzgeschichten veröffentlichen. Vielleicht kennt der ein oder andere ja auch dieses Szenario: Man hat eine kleine Idee und weiß, wie man diese beschreiben könnte, doch reicht diese nicht für ein komplettes Buch...