Kapitel 2

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Lange Zeit stand ich auf dem Steig und schaute in die Ferne, vielleicht in der Hoffnung, der Zug würde anhalten, umdrehen und Anna zu mir zurück bringen. Doch es kam kein Zug. Der Wind wehte durch meine schneebehangenen Haare und zog damit auch meine Gedanken hinfort. Jetzt sollte ich mich auf den Weg machen, vielleicht fand ich das, was ich schon längere Zeit suchte.

~

Ich ging durch die verschneite Großstadt und hielt die Augen offen. So gern ich einfach nach Hause gehen wollte, so unbedingt musste ich das finden, wonach ich schon seit einigen Wochen suchte. Ein kleiner süßer Teeladen, mit außergewöhnlichen Sorten. Ich hatte schon lange genug von den fertig gemachten Beuteln, die es an jeder Ecke Londons zu kaufen gab. Schrecklich. Kaum wurde es kälter, schossen diese Stände aus dem Boden wie lästiges Unkraut, das ich immer bei unserer Großmutter aus der Erde gerupft hatte, als ich noch klein war. Ich raffte mein Kleid ein wenig nach oben, um es vor dem Schnee zu beschützen, doch es nützte nichts. Der Saum war schon durchnässt und langsam spürte ich meine Füße nicht mehr. Wenn ich jetzt zu Hause wäre, würde ich meine gemütlichen Pantoffeln anziehen und mich vor den Kamin setzen, mit einer warmen Tasse Tee.
Während ich mir warme Gedanken bei diesem kalten Wetter machte, huschten geschäftig aussehende Menschen an mir vorbei. Ich sah Ladys der gehobeneren Gesellschaft, die vor einem Schaufenster standen und feine Stoffe bewunderten. Männer, die sich gegenseitig grüßten, in dem sie ihre Zylinder zogen und sich voreinander verbeugten. Kinder, die mit roten Nasen im Schnee spielten.
Ich verlangsamte meinen Schritt, wollte ich doch ebenfalls den kleinen Bummel genießen, trotz der kalten Füße. Inzwischen hatte es aufgehört zu schneien, die Turmuhr der großen Kirche schlug halb acht und langsam leerten sich die Straßen. Ich seufzte. Heute war ich ein Stück weiter gekommen, doch ich musste immer noch in jede Seitenstraße sehen, um sicher zu sein, dass ich es auch wirklich nicht übersah. Der Gedanke, jetzt einfach nach Hause zu gehen, war äußerst verlockend und beinahe hätte ich auf dem Absatz kehrt gemacht, um meinen verfrorenen Körper zurück in mein kleines Apartment zu bringen, vor den kleinen Kamin. Doch etwas hielt mich davon ab, einfach umzukehren. Stattdessen entdeckte ich eine kleine Seitenstraße, in der der Schnee an die Häuserwände gekehrt war und die Häuser sich eng aneinander schmiegten.

Ich beschloss, noch einen letzten Versuch zu wagen, ehe ich wieder zurück in meine Wohnung kehren wollte. Eilig zog ich meinen Schal enger um den Hals und lief schnellen Schrittes in die Gasse hinein. Mit geübtem Blick besah ich mir die Läden und stockte plötzlich mitten im nächsten Schritt, den ich hatte tun wollen.
Weiter vorne in der Straße entdeckte ich ein Schild, das über einer Ladentür hing. Darauf stand in altmodischen Lettern "Ms.White's Teashop" geschrieben.

Ich vergaß alles um mich herum. Selbst die kleinen Schneeflocken, die anfingen vom Himmel zu rieseln, nahm ich nicht war. Stattdessen raffte ich meine Röcke in einem letzten Versuch, die Nässe nicht weiter hinauf kriechen zu lassen und lief, so schnell mich meine Füße tragen konnten, in Richtung des Schildes.

Vor dem Schaufenster blieb ich stehen. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals und ich hoffte, nicht enttäuscht zu werden. Mein Atem ging ein wenig schneller und für jeden Beobachter wäre das wohl eine übertriebene Reaktion meinerseits auf diesen Teeladen gewesen. Nicht jedoch für mich. Seit ich mich durch sämtliche Teeshops getrunken hatte und nichts mehr wirklich neu war, war ich auf der Suche nach diesem einen Laden. Und es schien, als hätte ich ihn gefunden.

In der Auslage des Schaufensters standen kleine und große Boxen,alle mit unterschiedlichen Mustern und Farben. Bücher über verschiedene Teesorten und Teezubereitung standen dahinter und bildeten eine kleine Pyramide des Wissens. Ein Teeservice war ausgelegt und überall lagen Teeblätter verstreut, so als hätte es sie geregnet. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Ich wurde das Gefühl nicht mehr los, dass das hier der perfekte Laden für mich war.

Und ehe ich michs versah, lief ich zur Tür, drückte die Klinke hinunter und eine leise Glocke begrüßte mich, als ich eintrat.

Die TeechronikenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt