Kapitel 5

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Die kleine Glocke bimmelte, als ich Ms. White's Teashop betrat. Es war ein kalter grauer Wintermorgen und mein Nacken tat mir weh, da ich in dem Sessel eingeschlafen und erst am nächsten Tag wieder erwacht war.
Langsam zog ich mir die Handschuhe von den Fingern und nahm den Schal ab. Meinen Schirm stellte ich in eine Ecke neben der Tür, damit er trocknen konnte, während ich mit Ms. White redete.

Ich trat an die Theke, an der ich am Tag zuvor die Dose zum probieren erhalten hatte, und wartete darauf, dass Ms. White hervorkam. Tatsächlich musste ich nicht lange warten, da zog die alte Dame den Vorhang zur Seite, der wohl in ihre Wohnung führte, und verzog die Lippen zu einem kleinen Lächeln.
"Na mein Kind? Hat Ihnen der Tee denn geschmeckt?", fragte sie und faltete die Hände vor dem Körper. Heute war der Kontrast von ihrem verkniffenen Mund und ihren lachenden Augen nicht ganz so deutlich zu sehen, wie gestern.
"Guten Tag", erwiderte ich höflich, bevor ich anfing, zu erzählen. "Mir ist etwas sehr seltsames passiert. Ich goss mir den Tee auf und setzte mich an den Kamin, als die Flammen sich plötzlich zu einem neuen Ort formten und ich nicht mehr ich selbst war." Ich versuchte, ruhig zu bleiben und mir die Verwirrung nicht zu sehr anmerken zu lassen, wollte ich doch nicht als verrückt gelten. Denn das war mir die einzige logische Erklärung. Oder Ms. White hatte etwas in den Tee hineingetan, doch als ich sie so ansah, wollte ich das nicht glauben.

Ms. White schien nicht überrascht zu sein. Stattdessen trat ein Funkeln in ihre Augen und das Lächeln auf ihren Lippen wurde etwas breiter.
"Nun, ich bin froh, dass es so gekommen ist, Ms..." Sie geriet ins Stocken.
"Jones. Mein Name ist Evelyn Jones", half ich ihr, indem ich meinen Namen nannte.
"Nun, Ms. Jones. Ich bin froh, dass es so gekommen ist."
"Weshalb? Ich finde das alles mehr als verwirrend und fing schon an, an meinem Verstand zu zweifeln!"
"Kommen Sie, Ms. Jones. Ich möchte Ihnen etwas zeigen." Ms. White streckte die Hand nach mir aus und ich lief zögernd um die Theke herum. Die alte Dame nahm mich bei der Hand und führte mich in den hinteren Bereich des Ladens, der von vorne nicht direkt einsehbar war, deutete auf zwei Sessel, die auf einen kleinen Kamin ausgerichtet waren und vor denen ein hölzerner Tisch stand, der durchaus schon bessere Tage gesehen haben musste.

Ich ließ mich gerade auf einem der Sessel nieder, als Ms. White mit einer dampfenden Kanne wieder kam, aus der es nach Kamille und Rosenblättern duftete. Mir lief das Wasser im Munde zusammen, während Ms. White zwei Teetassen füllte und sich dann auf dem anderen Sessel niederließ. Sie reichte mir eine Tasse und nahm sich die andere.

"Ms. Jones, es gibt nur wenige Menschen, die meinen Laden wieder betreten", erklärte die alte Dame und nippte an ihrem Tee. Ich sagte nichts, sah sie nur fragend an und wartete darauf, dass sie fortfuhr. Ich wusste ohnehin nicht, was ich hätte sagen können, da war es mir lieber, zu schweigen und ebenfalls an meinem Tee zu nippen. Er schmeckte köstlich und beruhigte mich auf eine Weise, auf die es noch nichts geschafft hatte, mich zu beruhigen.

"Doch diejenigen, die wiederkehren, sind diejenigen, die sich selbst gefunden haben. Oder im Begriff sind, dies zu tun." Ms. White machte eine Pause und sah mich an. Ich begriff, dass sie auf eine Bestätigung wartete, dass ich ihr folgen konnte. Also nickte ich sachte und nahm die Tasse entgegen meiner Gewohnheit in beide Hände.
"Der Tee zeigt euch allen eine neue Welt und für jeden sieht diese Welt anders aus. Sie, Ms. Jones, werden nicht in die Welt ihres Vorgängers reisen, doch werden Sie die gleiche Aufgabe zu erfüllen haben. Diese Welt zu beschützen, sie zu erhalten. Sie werden dieser Welt ihr Herz schenken, ob sie das nun wollen oder nicht."
Mir blieb der Schluck Tee im Halse stecken und ich musste husten. Was erzählte Ms. White denn da? Und in mir hatte der Gedanke gekeimt, verrückt zu sein. Dabei war vielleicht Ms. White diejenige, die an Verrücktheit litt.
Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen und umklammerte meine Tasse fester, während ich mir überlegte, wie ich von hier verschwinden konnte, ohne zu sehr ihre Gefühle zu verletzen.

"Haben Sie etwas, Kind?", fragte Ms. White und sah mich besorgt an. Meine Gefühle konnte ich wohl doch nicht so gut verstecken, wie ich angenommen hatte. Ich schluckte schwer und trank noch einen Schluck Tee, dann stellte ich die Tasse ab.

"Ich denke, ich sollte jetzt gehen."

"Nun, da kann ich dann wohl nichts weiter tun, als Sie gehen zu lassen." Ms. White seufzte schwer, als hätte sie sich in mir geirrt, stellte ihre Tasse ebenfalls ab und erhob sich. Sie reichte mir die Hand und führte mich zurück in den vorderen Bereich des Ladens. "Ich wünsche Ihnen noch viel Glück auf ihrem weiteren Lebensweg und hoffe, sie werden diese Entscheidung noch bereuen." Sie sah mich nicht an, was mich seltsamerweise noch mehr beunruhigte, als ihren Blick auf mir zu spüren. Ich nickte nur, unfähig, etwas zu erwidern und nahm meinen Schirm mit dem Gefühl, gerade einen schrecklichen Fehler zu begehen.

"Es war mir ein Vergnügen", sagte Ms. White noch, bevor ich die Tür des Ladens so schnell aufriss, dass ich sie mir beinahe ins Gesicht schlug und verschwand.

Die TeechronikenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt