Tee Indizien & Impfungen

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Am nächsten Morgen weckte John der Geruch von Tee. Schlaftrunken setzte er sich auf und bemerkte, dass er auf dem Sofa geschlafen hatte. Jemand - oder eher Mrs. Hudson - hatte ihm bereits eine Tasse Tee hingestellt. Der Doktor lächelte und setzte sich langsam auf. Vielleicht ging es Sherlock jetzt besser. Er nahm seine Tasse Tee und trank einen Schluck, während er über den Fall nachdachte. Der Mörder war mit Sicherheit der Butler, das mussten sie nur noch beweisen. Aber das Testament blieb weiterhin unauffindbar. Eigentlich wollte John Sherlock ja Bettruhe verordnen, aber dann müsste er den Detektiv wohl ans Bett binden.

Er stand auf und ging herüber in Sherlocks Zimmer. Vorsichtig öffnete er die Tür. Sein Detektiv schlief noch; er lag auf der Seite, eingerollt, die Haare zerzaust, den Mund leicht geöffnet. John lächelte, blieb ganz still stehen und beobachtete ihn. Er hörte nur das leise Atmen des Detektivs, was sich immer noch ein wenig belegt anhörte.

Dann setzte er sich vorsichtig auf die Bettkante und strich Sherlock über die Locken.

„Sherlock", wisperte er. „Aufwachen."

Müde öffnete Sherlock die Augen halb und seufzte. „Darf ich denn aufstehen, Herr Doktor?"

„Du würdest auch dann aufstehen, wenn ich es dir verbieten würde.", schmunzelte John.

„Stimmt", erwiderte Sherlock und lächelte sogar für den Bruchteil einer Sekunde. Für John war dieser Bruchteil eine Ewigkeit, er schien sich für immer in seinem Gedächtnis einzubrennen.

Langsam setzte er sich auf. „Geht's dir denn besser?", erkundigte sich John.

„Ja, eigentlich schon. Nur noch ein wenig...verschnupft."

„Gut. Dann gebe ich dir Tabletten dagegen."

„Sind schon die Gegenstände vom Fall Norton gekommen?", fragte Sherlock.

„Nein, aber ich denke, dass kann nicht mehr lange dauern."

„Ach, diese unfähigen Idioten von Scotland Yard...ich hätte die Sachen einfach direkt mitnehmen sollen." John schmunzelte. „Das hättest du bestimmt auch geschafft, aber dann wäre Lestrade längst schon hier und hätte sie konfisziert." Sherlock grinste auch. Mühsam stieg er aus dem Bett und wäre fast wieder zurückgefallen, wenn John ihn nicht festgehalten hätte. Der Doktor führte ihn langsam ins Wohnzimmer, wo sich der Detektiv auf das Sofa legte. Er war immer noch etwas fiebrig, aber es ging ihm wirklich besser.

In dem Moment klingelte es unten. „Ich geh schon", sagte John, lief die Treppe hinunter und öffnete die Tür. Draußen stand ein Polizist von Scotland Yard mit einem Karton.

„Ich soll das hier abliefern.", sagte er. John nahm ihm den Karton ab und stellte fest, dass er ziemlich schwer war. Er bedankte sich und der Polizist ging wieder zu seinem Streifenwagen. John hörte ihn noch murmeln: „Echt mal, da wird man Polizist und muss auch noch Paketdienst machen...das ist auch kein richtiger Job mehr..."

Der Doktor schloss die Tür und lief zurück ins Wohnzimmer, wo er den Karton auf den Boden stellte.

„Was ist denn da drin, Sherlock?"

„Indizien.", der Detektiv lag wieder in seiner typischen Sherlock - Haltung da, mit geschlossenen Augen und die Hände ans Kinn gelegt.

„...ah ja. Willst du Tee oder so etwas?"

„...nein danke.", so langsam kehrte der alte Sherlock zurück, mit seinem arroganten Tonfall. Aber irgendwie hatte John das vermisst.

In den folgenden paar Tagen geschah nichts mehr, Sherlock lag da und bewegte sich keinen Millimeter, außer um seine Indizien anzuschauen. Er sprach kaum und antwortete auch nicht. Immerhin schien es ihm besser zu gehen. John war dieses Verhalten ja schon gewohnt und lebte weiter wie bisher. Durch das kalte Wetter (es schneite jeden Tag) kamen immer mehr Menschen mit Grippe in die Arztpraxis, und John beschloss, Sherlock zu impfen, damit er sich nicht auch noch ansteckte und der Doktor ihn wirklich an sein Bett ketten musste. Nach einem längeren Vortrag von John, wie wichtig dies sei, und einer sarkasmusgespickten Debatte zwischen den beiden, die damit endete, dass John den Detektiv durch die Wohnung hinterherhetzte, bekam Sherlock die Impfung, wenn auch widerwillig.

Am Abend des 17. Dezembers setzte sich John in seinen Sessel und sah zu Sherlock, der immer noch auf dem Sofa lag und an die Decke starrte. John hatte in weiser Voraussicht die Nikotinpflaster versteckt, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis Sherlock sie wiederfinden würde.

Der Doktor räusperte sich. „Bist du schon weitergekommen?"

Sherlock antwortete nicht. Seine Augen waren geschlossen und er machte keinerlei Bewegung. Vor einer halben Stunde hatte er noch auf dem Boden gehockt und sich die Gegenstände erneut angeschaut, mit seinem konzentrierten Blick.

„Hör mal, ich toleriere es ja, wenn du nicht mit mir sprichst, aber das geht jetzt schon seit fast vier Tagen so."

Sherlock antwortete nicht.

„Du könntest wenigstens sagen, wenn du noch nicht weitergekommen bist. Ich weiß, dass du so etwas hasst, aber ich kenne dich doch."

Sherlock antwortete nicht.

„Sherlock?", versuchte John es erneut. „Du kannst auch einfach ja oder nein sagen."

Sherlock antwortete nicht.

„Wenn du jetzt nicht antwortest, komme ich rüber und schaue, ob du überhaupt noch einen Puls hast."

Sherlock antwortete nicht.

John seufzte, erhob sich und schritt zum Sofa hinüber. Dann beugte er sich zum Detektiv herunter und nahm sein Handgelenk. Einen Puls hatte er. John lachte innerlich über sich selbst. Woran sollte Sherlock denn auf dem Sofa sterben?

„Sherlock?", fragte er erneut.

Plötzlich hörte John ein leises Schnarchen. Wenn es nicht definitiv von Sherlock kommen würde, hätte John gedacht, jemand läge unter dem Sofa. Der Detektiv hatte den Mund leicht geöffnet und lag nicht so akkurat wie sonst da. Wieso war John das nicht schon vorher aufgefallen?

Immerhin müsste Schlafen etwas Gutes bedeuten. Es müsste nämlich bedeuten, dass Sherlock in dem Fall ziemlich weit gekommen war.

Sherlock - I have only one friendWo Geschichten leben. Entdecke jetzt