Percy

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Also sportlich gesehen war dieser Damien eindeutig kein Überflieger. Kaum hatten Annie und ich begonnen ihn zu verfolgen, hatten wir ihn auch schon eingefangen. Dieser Witzfisch wäre fast gegen einen Baum gerannt, weil er so versessen auf den Boden gestarrt hatte, um ja nicht über eine Wurzel zu stolpern. Vielleicht sollte er nicht so oft andere Leute foltern und dafür öfter trainieren gehen.

Hämisch grinsend drehte ich dem kleineren die Arme auf den Rücken und drückte ihn bäuchlings an den Baum vor dem er im letzten Moment noch hatte bremsen können. Schnell wurde ich jedoch wieder ernst und fragte Damien gefährlich leise, was er denn mit Blondie vorgehabt hatte. Sofort hatte ich wieder das Bild des gepeinigten und entkräfteten Jungen vor Augen und versuchte angestrengt nicht dem Drang nachzugeben seinen Arm noch weiter hinaufzudrücken um ihm höllische Schmerzen und vielleicht auch einen ausgekugelten Arm zuzufügen. Wie ein Feigling hatten er und seine Freunde unseren Gefangenen gepeinigt ... 

"Er ist eine Gefahr für uns alle!" presste Damien plötzlich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. "Irgendjemand musste sich doch mal anständig um ihn kümmern" setzte er noch überheblich hinzu. Fassungslos stand ich da und musste diese Worte erst einmal sacken lassen. Unter anständig verstand ich wohl etwas ganz anderes als Damien. Aber das Schlimmste war wohl, dass diese halbe Portion sichtlich Spaß daran hatte einen anderen Menschen auszupeitschen.

Annabeth war es schließlich, die die Initiative ergriff und diesem Vollpfosten eine ordentliche Ohrfeige verpasste. Zuerst war ich erschrocken, meine Freundin wie eine Furie zu erleben, doch wenn ich die Hände frei gehabt hätte und nicht vor Entsetzten zu Eis erstarrt gewesen wäre, hätte ich wohl dasselbe getan.

Ohne ein weiteres Wort drehte sich meine Freundin um und stampfte wütend zurück zur Lichtung. Schnell folgte ich ihr mit diesem Feigling im Gepäck und überreichte ihn sofort Frank und Hazel. Damien und seine Folterkumpels waren kurz darauf sicher verschnürt und wurde von unserer Truppe mit Speer- und Schwertspitze im Rücken Richtung Camp getrieben. Anni und ich hatten uns derweil zu Cara, Julian, Nico und Will begeben um nach unserem verletzten Unbekannten zu sehen. 

Besorgt erkannte ich, dass Blondie bewusstlos dalag, während Cara ihm immer fester die Wange tätschelte und versuchte ihn wieder aufzuwecken. "Wie lange ist er schon Bewusstlos?" fragte ich Will sorgenvoll. 

"Nach unserer Befreiungsaktion war er noch kurz wach und hat irgendetwas unverständliches gemurmelt ..." "Es hat sich angehört wie ein Fluch nur in einer anderen Sprache" unterbrach Cara in ohne von dem am Boden liegenden aufzublicken. Sie war immer noch emsig damit beschäftigt den Jungen aufzuwecken.

"Das würde meine Vermutung bestätigen" murmelte Anni sogleich neben mir und nahm ihre typische Denkerpose ein. Verwirrt sah ich sie an. "Was für eine Vermutung" versuchte ich sie aus den Gedanken zu reißen, doch ich musste eine gefühlte Ewigkeit auf ihre Antwort warten.

"Damals, als er sich den Dolch in den Bauch gerammt hat und Cara ihn gefragt hat, ob er Schmerzen hat, hat unser Unbekannter mit einem seltsamen Akzent geredet ... " nachdenklich ließ sie den Satz in der Luft hängen und ich war verwirrt auf was genau sie damit hinauswollte.

"Du meinst also, dass er gar nicht aus Amerika kommt?" fragte Julian schließlich und ich war ihm sehr dankbar, das ausgesprochen zu haben, was scheinbar alle außer mir gedacht haben. Nachdenklich nickte Anni und meinte, dass sie jedoch nicht identifizieren konnte auf welche Sprache dieser Akzent hindeutete. Froh endlich wieder Anschluss an die Denkprozesse meiner Freunde bekommen zu haben ließ ich nun ebenfalls nachdenklich den Blick über unsere Gruppe gleiten. Alle schienen fieberhaft zu überlegen, nur Cara nestelte emsig an Blondie herum.

"Wir müssen ihn zum reden bringen" meinte Will schließlich ernst und riss meinen Blick von Cara los. "Dieser Kerl wirft viel zu viele unbeantwortete Fragen auf. Das kann ganz schnell ganz böse für uns enden" ergänzte er und Julian pflichtete ihm nickend bei. "Man sollte seine Feinde kennen um sie besiegen zu können ... " ließ dieser verlauten und jeder stimmte ihm stillschweigend zu.

"Vielleicht habe ich etwas gefunden das uns weiterhilft" unterbrach Cara plötzlich die aufgekommene Stille. Sofort hatte sie alle Blicke auf sich gezogen und ich erkannte amüsiert, wie Julian nicht gerade begeistert Caras Finger auf Blondies Hüftknochen betrachtete. Sie hatte die Hose des Bewusstlosen ein wenig zur Seite gezogen und entblößte nun ein kleines Tattoo knapp über dem Knochen.

Schnell beugte Will sich zu ihr und untersuchte es genau. "Ein großer Kreis und darin ein kleinerer Kreis, wie ein Rad. Und darunter ein vertikaler Strich" informierte er uns. "Könnte ein fremdes Schriftzeichen sein" mutmaßte er weiter. 

"Oder einfach nur ein Partyunfall. Wer lässt sich bitte freiwillig ein Rad und einen Strich tätowieren?" murmelte ich ungläubig vor mich hin und erntete sofort einen bösen Blick von Annabeth. 

"Ist ja schön und gut" meldete sich plötzlich Nico zu Worte. Bisher hatte er nur schweigend in der Runde gesessen und nichts gesagt oder getan, doch nun rappelte er sich auf und sah uns auffordernd an. "Wir sollten uns vielleicht endlich um seine Verletzungen kümmern und nicht nur dumm herumsitzen und wilde Theorien aufstellen!" ergänzte er ungehalten.

Zustimmend nickte Cara und meinte, dass sein Rücken so schnell wie möglich versorgt werden sollte um eine Infektion zu vermeiden. Zustimmend nickte ich und schnell hatte jeder von uns eine Aufgabe. Während Will und Cara nun wieder versuchten den Blonden ins hier und jetzt zu befördern, sprinteten Julian und Nico Richtung Camp um eine Trage zu organisieren. Ich konnte derweil nur tatenlos neben Annabeth stehen, die Umgebung im Blick behalten und mich fragen, wie so ein unschuldig wirkendes Bürschchen so geheimnisvoll und womöglich auch gefährlich sein konnte.


Das Vermächtnis der Götter (Percy Jackson FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt