So ein Mistwetter. Wie immer regnete es in London wie aus Kübeln, als sei es das Ende der Welt. In der Eile hatte ich meinen Regenschirm vergessen, weshalb meine Haare schon total durchnässt waren und strähnig an meinem Kopf klebten. Und als ob das nicht reichte, verpasste ich auch noch den Bus und ich würde zu spät zur Arbeit kommen. Ich arbeitete als Apothekerin in der kleinen Boyle Pharmacy, was ich unter anderem meiner Großmutter zu verdanken hatte. Ich schweifte mit den Gedanken ab und erinnerte mich.
Grandma Freya und Grandpa Alan hatten mich großgezogen und für mich gesorgt, als meine Eltern keine Zeit dafür hatten - was leider immer der Fall war.
Sie hatten einfach nichts für mich übrig gehabt. Der Gedanke versetzte mir immer wieder aufs Neue einen Stich. Wie dem auch sei. Ich wuchs also bei Grandma Freya und Grandpa Alan in ihrer kleinen Hütte im Glenalo Valley in Irland auf.
Während Grandpa mich manchmal zum Jagen mitnahm, gingen Grandma Freya und ich öfters miteinander im Wald spazieren und genossen die Natur. Sie kannte sich hervorragend mit Pflanzen aus und wusste einfach alles über sie.
An einem dieser Tage, als die Sonne durch den dichten Wald schien und ich mir ungemein vorkam wie Alice im Wunderland und summend neben ihr her hüpfte, machte sie mich auf einen Strauch Brennnesseln aufmerksam. „Ally schau, weißt du was das ist?" Fragend hatte ich sie angestarrt. „Eine Brennnessel", sie hatte es so gesagt als sei es etwas ganz besonderes. „Brennnesseln sind Heil- und Lebensmittel vereint in einer Pflanze, sie kann ein Lebensretter sein." Vielsagend hatte sie mich angeguckt und mir zugezwinkert und ich hatte zurückgezwinkert ohne auch nur einen Schimmer davon zu haben warum und wovon sie da sprach. Dann fuhr sie fort: „Sie liefert je nach Wuchsort bis zu viermal so viel Eisen wie ein Rindersteak und bis zu dreimal so viel Eisen wie Spinat und senkt somit auch Bluthochdruck; ist also gut gegen Kopfschmerzen und kann einen sogar vorm Hungertod bewahren. Außerdem ist sie ein gutes Mittel gegen Verdauungsprobleme, entzündete Wunden, Vergiftungen, Müdigkeit und Erschöpfung. Und das Gute ist: man kann sie roh verzehren."
Ich hing ihr an den Lippen und versuchte wie immer mir alles was sie mir beibrachte zu merken. Grandma Freya hatte ihren Blick durch den Wald schweifen lassen und hatte mich liebevoll lächelnd angeschaut und gesagt: „Weißt du Ally, es ist eigentlich gar nicht so schwer in der Wildnis zu überleben wenn man weiß wie's geht. Ich bin mir sicher, dass wenn die Welt einmal aus den Fugen geraten sollte, du überleben würdest, du bist ein schlaues Mädchen." Unschlüssig hatte ich dagestanden, weil ich nicht wusste wie sie das meinte, wie ich so vieles was sie mir erzählte nicht verstand. Aber ich fragte nie nach, obwohl mich ihre Worte doch schon sehr beschäftigten.
Das war es warum ich meine Grandma so sehr bewunderte. Sie wusste so viel und teilte ihr Wissen liebevoll mit mir. Sie brachte mir viel über solche Heilpflanzen bei und weckte so mein Interesse für die Medizin und das Heilen von Krankheiten. Ich hatte gerade frisch meinen Highschoolabschluss in der Tasche, als meine Großeltern verstarben. Da hatte ich nichts mehr, was mich noch in Irland hielt und zog nach England in die schöne Stadt London.
Weil ich - wie sich nach etlichen Malen des Ohnmächtigwerdens und Vomierens im Studium herausstellte - Blut und Wunden im Allgemeinen nicht sehen mochte, entschied ich mich für den Job als Apothekerin und gab mich damit zufrieden den Kunden einfach die richtige Medizin zu verschreiben.
Ein aggressives Hupen riss mich aus meinem Gedanken und katapultierte mich in die Gegenwart zurück. „HAST DU KEINE AUGEN IN DEINEM VERDAMMTEN KOPF DU DUMMES WEIB?", brüllte mir ein Typ, der seinen Kopf aus seinem schwarzen Bentley streckte entgegen. Ich streckte ihm lediglich meinen Mittelfinger entgegen und überquerte schnell die Straße um dann in die Wimpole Street abzubiegen. Ich hörte den Typen noch etwas niveauloses hinterherbrüllen, doch es ließ mich kalt. Blödmann.
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The Last Survivors
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