Kapitel 12: Arissa Carpendale

71 3 1
                                    

Mit nassen Haaren und nur einem Badetuch bekleidet, stand ich vor meinem großen Kleiderschrank und wühlte ratlos suchend nach einem Kleid für mein Vorspielen heute rum. Doch nach einer Stunde des vergeblichen Suchens und mehreren Panikattacken, ließ ich mich frustriert und verzweifelt zugleich nach hinten ins Bett auf Harrys Rosenblätter fallen.

Ich schloss die Augen und sog ihren Duft ein. Meine Gedanken schweiften zum zauberhaften Nachmittag ab, während ich unbewusst meine rechte Hand hob. Ich erblickte meinen Verlobungsring und lächelte, als ich die funkelnden Diamanten, die im Licht meines Zimmers spielten, betrachtete.

Mein Vater war heute früh abgereist wer hätte das gedacht, deswegen konnte ich nur meiner Mutter von dem unglaublichen Ereignis berichten, doch sie schien in keinster Weise überrascht gewesen zu sein, da sie mir ein strahlendes, wissendes Lächeln schenkte. Sie meinte sie hätte so etwas in der Art schon erwartet, als sie Harrys gestriges Geschenk gesehen hatte. Hatte ich ernsthaft geglaubt Harry würde nach all den glücklichen Jahren nur wegen eines Unfalls mit mir Schluss machen? Über mich selber lachend, stellte ich mir Harrys warme grüne Augen vor und plötzlich fiel mir das Kleid ein.

Ruckartig stand ich auf und lief zum Schrank, nach kurzer Zeit hatte ich gefunden, wonach ich gesucht hatte und holte es behutsam raus.

Das Kleid war trägerlos und besaß einen tiefen v-förmigen Ausschnitt. Oberhalb des Bauches war es mit kleinen weißen Steinchen besetzt und schimmerte in einem türkisfarbigen Ton. Es erinnerte mich an unser letztes Weihnachten als meine und Harrys Familie beisammen beim Kamin unter dem Weihnachtsbaum gesessen und einfach den Abend genossen haben. Ausnahmsweise hatte sich mein Vater den Tag freigehalten und konnte somit auch seine Zeit mit uns verbringen. Beim Gedanken an meinem Vater machte sich ein trauriges Gefühl in mir breit, denn in manchen Zeiten war ihm seine Arbeit viel wichtiger als seine Familie. Ich gebe zu, dass seine Arbeit im obersten Genforschungszentrum sehr wichtig ist, da er und sein Kollege an einem bis jetzt noch nicht erforschten Gen arbeiten, aber sich für ein paar Tage frei zu nehmen ist nicht gleich das Ende der Welt, doch er sieht das anders.

Daher wird er heute auch nicht bei meinem Vorspiel anwesend sein- aber dafür hab' ich ja Harry, meine Mutter und Leo.

Schließlich zog ich mein Kleid an und machte mich für heute Abend fertig.

Das Teatro dell'Opera di Roma. Jedes Mal raubte es mir in all seiner Pracht den Atem. Zum ersten Mal werde ich in dem goldenen Opernhaus Roms musizieren. Je mehr sich der Saal mit Menschen füllte, desto höher stieg mein Lampenfieber und die Wahrscheinlichkeit eines Nervenzusammenbruchs. Mit zitternden Knien krallte ich mich am roten Vorhang fest und beobachtete durch einen kleinen Spalt die beänstigende Menge an Zuschauern, lauter feine Leute mit Abendkleidern, ein man der wohl Blut hustete und deshalb den Saal verließ, unzählige Kameras und ungefähr sieben Talentscouts mit strengem Blick- bis ich erleichert Harry und die anderen in der Loge oben rechts ausmachen konnte.                                                                                                                                                                                            Ich zog mich zurück und versuchte vergebens meinen Puls zu beruhigen. Ich tastete nach meinem Ring und eine Ruhe breitet sich in mir aus. Was immer heute Abend passieren mag, ich werde alles geben und es mit Bravur überstehen.

Es wurde leise im Raum und ich wusste, dass ich gleich raus musste.Ich atmete tief ein, straffte die Schultern und griff nach meiner Violine. Mit durchgestrecktem Rücken und einem möglichst gelassenen Gesichtsausdruck, betrat ich die Bühne und spürte die herrschende Spannung im gigantischen Saal. Die goldenen Verschnörkelungen wurden von dem kristallenem Kronleuchter bestrahlt und schwere rote vorhänge zierten den Raum. Die Talentscouts schauten gelangweilt drein, einige tippten auf Ihren Handys rum, dass Publikum musterte mich. Der dicke Mann rettete sich hechelnd vom ganzen Bluthustend aus dem Saal. Nervös stellte ich mich vor: Arissa Aurora Carpendale. 19 Jahre alt. Konservatorium Santa Cecilia di Roma. Violinistin aus Santa Marinella, Rom.

Sanft setzte ich meine Finger an die Violine und hob langsam den Bogen an. Mein Herz raste und warmer Schweiß lief mir den Rücken hinab, ich spürte die unzähligen Blicke auf mir. Dann blickte ich zu meiner Familie. Sie lächelten mir aufmunternd und stolz zu, ich lächelte zurück und schloss die Augen und die Welt stand für wenige Sekunden still. Ich begann zu spielen, eine Eigenkomposition von mir. Ich spielte von Schönheit und Liebe, vom rauschendem Meer, von Liebenden, von Zuneigung , von Sehnsucht, vom Träumen, von Traurigkeit, von Enttäuschung, von Freiheit, von - Ein lauter Knall ließ mich erschrocken die Augen öffnen. Alle Blicke richteten sich auf den Eingang, wo ich meinen Vater erblickte, erschüttert und nach Atem ringend, in Begleitung von etwa fünf bewaffneten Männern

„Vater?" hauchte ich fassungslos. Was machte er hier? Sollte er nicht in Washington sein? Ist er nur wegen mir gekommen? Bei dem Gedanken zierte ein Lächeln meine Lippen, doch nach den darauffolgenden Worten, erlosch es wieder.

,,ALLEMANN RAUS HIER! SOFORT!" hallten seine Worte durch den Saal. Verwirrte Blicke wurden durch den Raum geworfen und die Leute fingen an unruhig zu werden.

Plötzlich wurde mir heiß und kalt zugleich. Was war denn los? Ich schaute nach rechts in die Loge, meine Mutter schien auch nicht zu verstehen was los war. Harry und Leo waren nicht dort.

,,HABT IHR NICHT GEHÖRT??? IHR SOLLT DEN GOTTVERDAMMTEN RAUM VERLASSEN!!!" Ich konnte die Reaktion meines Vaters nicht verstehen und plötzlich, sah ich entsetzt, wie sich eine Horde von humpelnden, entstellten Menschen, rücklings in den Raum und auf meinen Vater stürzen wollte. Der dicke Mann war dabei. Ich hörte unmenschliche markerschütternde Schreie. Sofort umstellten die Männer meinen Vater schützend und schossen auf die Kreaturen. Ich stand wie angewurzelt auf der Bühne konnte mich kein bisschen bewegen. Solche Gestalten hatte ich nur in schlechten Zombiefilmen gesehen, jetzt waren sie Wirklichkeit. Ich hörte das Geschrei von Menschen, darunter auch ein lauter und schriller Schrei und bemerkte, dass er meiner war. Ich spürte eine Hand die nach meiner griff und wie aus einer Trance erwacht, schlug ich um mich, bis ich bemerkte, dass es Harry war, der versuchte mich von der Bühne zu holen um mich zum Notausgang zu drängen.

,,Los Arissa, lauf, jetzt lauf endlich " brüllte er. Ich blieb stehen und entriss ihm meine Hand.

,,Nein! Wo sind sie? Wo ist mein Vater? Meine Mutter?!" kreischte ich hysterisch und wollte in die tobende Menschenmenge rennen, als ich aufgehalten wurde. Ich drehte mich blitzartig um und erwartete Harry vor mir, doch es war mein Vater, der mich wieder zu Harry schubste. Ich sah wie er Harry zur Seite nahm und auf ihn eindringlich einsprach. Sie schauten zu mir rüber, deuteten kurz auf Leo, der verängstigt auf mich zu rannte. Ich schloss ihn in meine Arme und drückte ihn wie an mich. "Sch, Sch", machte ich beschwichtigend. Ich sah vor meinen Augen wie einer der Dinger ein Mann umstürzte und mit röchelndem Atem auf ihn einschlug. Ich verdeckte Leos Augen mit meiner Hand und wendete meinen Kopf ab, als ich ein lautes Knacken von gebrochenen Knochen hörte. Ich blickte verzweifelt zu Harry und meinem Vater und sah wie Harry sich mit einem entschlossenen Nicken von meinem Vater entfernte und auf uns zugestürzt kam. Fassungslos sah ich meinem Vater dabei zu wie mit seinen Männern in der Menge untertauchte, um wahrscheinlich nach meiner Mutter zu suchen.

Harry hob mit einem Arm Leo auf seine rechte Schulter und griff mit seiner Linken nach meiner Hand und zerrte mich zum Ausgang.

Wir ließen die grauenhaften Geräusche hinter uns und liefen nach draußen in die kühle Nacht. Er setzte Leo atemlos ab und drehte sich zu mir um. Seine sonst perfekten Haare waren durchwühlt und Schweiß zeichnete seine Stirn ab.

,,Harry, was ist hier los? Wo sind meine Eltern? Ich will zu ihnen! Ich muss sie..."

,,Arissa", ich sah in seine eindringlichen Augen und erkannte Besorgnis, aber auch Angst in ihnen, „hör mir genau zu. Im Labor deines Vaters ist irgendetwas schiefgegangen , er hatte keine Zeit zu erklären was, aber das ist vermutlich der Grund weshalb diese Menschen krank werden. Er holt deine Mutter, wir fliegen in die Staaten, dort befindet sich ein sicherer Ort. Wir sollen jetzt los, wir können nicht warten.

Ich hatte keine Zeit darauf zu reagieren, da in diesem Moment Menschen, gefolgt Kreaturen in die stille Nacht rannten und auf alles zuschlugen was sie sahen. Harry hob den zitternden Leo wieder auf seinen Arm und zog mich grob mit sich.

Tränen liefen mir über die Wangen.


The Last SurvivorsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt