Taliamee - 1/3

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Konzentriert fügt Taliamee die letzte Rune in das komplexe Diagramm und beendet die Niederschrift dieses Zaubers. Endlich. Seit Tagen arbeitet sie daran, diesen Zauber in der gewünschten Abwandlung auszuarbeiten und in ihr Zauberbuch zu übertragen. Triumphierend lächelnd lehnt sie sich zurück. Alle sagen, die Drachenschuppen wirken nur auf die natürliche Gestalt, doch mal wieder hat sie es ihnen allen bewiesen, die sie doch so erfahren sind und alles zu wissen glauben. Ob Vater wohl stolz auf sie ist? Langsam erhebt sie sich und lockert ihre, vom langen arbeiten verkrampften, Muskeln. Behutsam nimmt sie die goldene Schuppe, die zwischen ihren Schreibutensilien neben dem Zauberbuch liegt. Konzentriert spricht sie die Silben, die den vorbereiteten Zauber auslösen und führt die verschlungenen Gesten aus, die zusammen mit den Worten und der materiellen Komponente nötig sind die Magie zu formen. "meree tvacha ko draigan ke taraajoo mein badal den". Schimmern legt sich über ihren ganzen Körper, dann wird ihre rötliche Haut mit goldenen Schuppen bedeckt, die sich perfekt an den Körper anpassen, nur das Gesicht bleibt frei, selbst Handrücken und die Kopfhaut unter den weißen Haaren ist nun durch die Schuppen geschützt.

Zufrieden blickt sie an sich herunter und bewegt sich probehalber etwas um sich zu versichern, daß ihre Bewegungen noch ihre alte Geschmeidigkeit haben. Dann legt sie den Kopf in den Nacken, schließt die Augen und lässt sich in die Verwandlung gleiten. Ihr Körper verschwimmt, dann nimmt er die Form einer drahtigen Menschenfrau mit schwarzen Haaren an. "Ha!" ruft sie aus als sie wieder an sich herunterblickt. Noch immer hat sie statt Haut goldene Schuppen. "Siehst Du, Vater?" ruft sie mit triumphierenden Tonfall aus und wirbelt herum. "Ich habe doch gesagt, die haben keine Ahnung. Es geht!" In der Mitte der großen Höhle voller Schätze und Kunstwerke, in der in einer Nische ihr Studienbereich liegt, schlägt der riesige goldene Drache ein Auge auf und mustert sie. "Sehr gut, Tochter" lobt er sie, woraufhin Taliamee stolz die Schultern zurücknimmt. "Dennoch steht den Meistern der Magiergilde Respekt zu. Hochmut führt in die Finsternis." Zerknirscht senkt Taliamee den Kopf. "Natürlich, Vater. Verzeih."

Der Drache hebt den Kopf und blickt sie an. "Es ist an der Zeit, Tochter. Zeit in die Welt zu schreiten und Deiner Bestimmung zu folgen. Bist Du bereit?" Ernst richtet Taliamee sich auf. "Ja, Vater. Ich habe alles gerlernt, was Du mich gelehrt hast. Ich habe den fünften Grad der Magie gemeistert. Ich bin bereit mich allem zu stellen was in der Welt auf mich warten mag. Ich werde Dich mit Stolz erfüllen."

Der Drache nickt. "So sei es. Geh nun, und verabschiede Dich von Deinen Eltern und Freunden, Du wirst eine lange Zeit nicht zurückkehren." Kurz verbeugt sie sich vor ihm und eilt zum Höhlenausgang.

Kurz hält sie auf dem großen Felssims inne, nimmt wieder ihre natürliche Gestalt an und blickt sich um, nimmt den Blick auf ihre Heimat noch einmal mit allen Sinnen auf. Der große Berg bildet die Mitte dieses Landes an dessen Fuße die Stadt liegt. Rundherum erstrecken sich viele Kilometer Felder, Wiesen und Wälder bis zum Rand, an dem die Landschaft abrupt an dem grauen Dunst der Ätherebene endet. Auch nach all den Jahren ehrfürchtig blickt sie hoch auf die Runen, die den Berg zieren und stets ein leichtes Leuchten von sich geben. Dieser mächtige Zauber, der dieses Land, diese Ebene geschaffen hat, in den Tiefen der Ätherebene, praktisch unmöglich zu finden, wenn man nicht genau weiß, wonach man sucht. Und es ist nicht nur stabil, es wächst um mehrere Meter pro Jahr seit dem Tag vor Jahrhunderten, als Vater ihr Volk vor Verfolgung und Auslöschung gerettet und hierher geführt hat. Einen Pakt mit ihm schloss. Er schützt ihr Volk, das Volk der Randara seitdem, dafür gehen die Bessten der Bessten von ihnen hinaus in die Welt und kundschaften für ihn. Beobachten die Geschehnisse und Entwicklung und geben ihm Bericht. Damit er, der auf bestimmte Ereignisse wartet, stets über die Vorgänge der Länder der Reiche im Bilde ist. Doch irgendwann wurde er zu mehr als ihrem Schutzpatron. In seinem Namen wurden Hochzeiten geschlossen, Ernten eingebracht, das Glück angerufen. Sie begannen ihn als ihren Gott anzubeten. Lächelnd blickt Taliamee auf den Tempel am Fuße des Berges herab. So ganz freiwillig hat er sich darin nicht gefügt. In unbedachten Momenten hat er in ihrem Beisein einige bissige Bemerkungen über die Torheit der Randara gemacht. Aber ihr Volk hatte für sich entschieden einen Gott zu benötigen und keiner der Götter der Reiche hatte verhindert, daß ihnen aus Misstrauen, Missgunst und Unverständnis die Ausrottung drohte. So stieg er, der goldene Drache, der wohl mächtigste Magier der Reiche durch die Energie jener, die ihn anbeten in den Rang eines Halbgottes auf.

Mit einem kräftigen Satz springt sie von der Kante des Simses in die Tiefe und stürzt an der steilen Bergflanke entlang auf die Dächer der Stadt zu. Kurz über den Dächern nimmt sie eine Feder aus einer Tasche ihres Gürtels, wirkt einen schnellen Zauber und gleitet langsam die letzten Meter zu Boden bis sie auf dem Platz zwischen den Häusern landet.

"Verdammt, Taliamee" fährt sie ein alter Randara an, dessen rote Haut dunkel vom Alter ist. "Kannst Du nicht wie alle anderen den Pfad nehmen?" Ihm steht der Schreck noch immer ins Gesicht geschrieben. "Keine Zeit," erwiedert sie nur und eilt in Richtung des kleinen Hauses ihrer Eltern.

Aufgeregt stürmt sie hinein. "Schaut mal!" ruft sie, während sie ins Wohnzimmer stürmt. Ihr Vater sitzt in seinem Lieblingssessel am Fenster und liest eine Schriftrolle, ihre Mutter ist auf der Couch am Sticken. Als sie hereinstürmt blicken sie auf. "Talli" begrüßt ihre Mutter sie, steht auf und erstarrt überrascht. Ihr Vater blickt nur auf, runzelt die Stirn und vertieft sich wieder in die Rolle. "Nett!" meint er nur knapp. "Du solltest aber nicht so verschwenderisch mit den wenigen Schuppen umgehen, die wir haben." Taliamee zuckt nur gleichgültig die Achseln. "Hab ich von Vater bekommen." Ihr Vater brummt nur. "Schau mal" fährt Taliamee fort, legt den Kopf in den Nacken und lässt sich in die Verwandlung gleiten. Verblüfft blickt ihr Vater sie an. "Wie hast Du das gemacht, Talli?" Selbstbewusst lächelt sie ihn an. "Ich habe Euch doch gesagt, daß es funktioniert."

Noch einen Moment erfreut sie sich an seiner Verblüffung, dann wechselt sie wieder in ihre natürliche Gestalt und lässt den Drachenschuppen-Zauber fallen, woraufhin sich ihre Haut zurückverwandelt. "Wir müssen Abschied nehmen," sagt sie zu ihren Eltern, nun völlig ernst. Ihrer Mutter schießen Tränen in die Augen und umarmt sie. "Wir wussten, daß der Tag kommen wird, Liebe. Wir sind stolz auf Dich. Wir alle." Auch ihr Vater erhebt sich. "Du bist zu einer großen Magierin geworden, Taliamee. Ich wusste vom ersten Tag, als Rathan entschied Deine Ausbildung persönlich zu übernehmen, daß Dich eine große Aufgabe erwartet. Wir alle sind stolz auf Dich."

"Aber zum Essen bleibst Du noch" entscheidet ihre Mutter aufgewühlt. "ER wird Dich doch wohl kaum mit leerem Magen losschicken." Geschwind eilt sie in die Küche, wenig später ist lautes klappern von Töpfen und Kellen zu hören.

Mit einer Geste deutet ihr Vater ihr sich zu setzen. Er wirkt ernst, scheint die richtigen Worte zu suchen, während er das kleine Frettchen streichelt, daß auf seiner Schulter sitzt. "Du hast noch keinen Vertrauten gebunden" sagt er vorsichtig. Genervt wirft Taliamee ihre langen Haare zurück. "Ich weiß. Aber die Tiere hier sind so langweilg." Empört schnattert der Vertraute ihres Vaters sie an. "Da verzichte ich lieber auf die Verstärkung der Magie, die ein Vertrauter mir gibt bis ich einen passenden finde. Einen, der zu mir passt." Entnervt seufzt er auf. "Wie wäre es mit einer Ziege?" fragt er nur. Seine Stimme ist knurrig, doch es ist ihm auch seine Sorge anzuhören. "Sei vorsichtig da draußen. Als Kundschafter lebt es sich gefährlich und ER ist nicht da um Dich zu schützen. Deshalb gehen nur Rathaner als Kundschafter in die Welt, da sie auf seinen Schutz als seine Priester bauen können."

Stolz wirft Taliamee den Kopf in den Nacken. "Ich bin nicht abhängig von dem Schutz Vaters, ich kann auf mich selbst aufpassen. Wer mir etwas will, wird meinen Zorn spüren." Ihr Vater seufzt. "Ja, ich weiß. Hast Du Dir schon den renovierten Flügel für die Thaumaturgie an der Gilde angeschaut? Die Verstärkungen im Inneren wurden nochmals erweitert. Dein letzter Wutausbruch mit Deinem neuen Zauber hat eine tragende Wand pulverisiert." Sie zuckt nur die Achseln. "Niemand wollte mir erklären, was passiert wenn man einen verstärkten Feuerball in einen aktiven Feuersturm setzt." Kopfschüttelnd beendet er das Thema.

Die Gefährten des Lichts - Buch 1 - Abenteuer 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt