Kapitel 10

214 28 5
                                    

Noch bevor ich meine Augen öffnete, spürte ich etwas weiches unter mir. Als ich schließlich mein ganzes Bewusstsein wieder hatte, gewährte ich mir einen Blick in die Natur. Aber als ich keine Bäume oder Wiese sah, richtete ich mich blitzartig kerzengerade auf.

Gewaltiger Fehler...

Ich fiel zurück auf das weiche Etwas und versuchte das Schwindelgefühl los zu werden. Himmel! Der ganze Raum will einfach nicht stehen bleiben!

Mein Kopf schwirrte und dröhnte. Ich wartete, bis ich mir wirklich sicher war, dass sich mein Kopf wieder einigermaßen beruhigt hatte und öffnete dann wieder die Augen, aber diesmal blieb ich liegen. Ich lag auf einem gemütlichen Bett, welches mit Blumenmuster verziert war. Die Wände des Zimmers waren in cremefarbenen Farben gestrichen. In einer Ecke befand sich eine braune Couch und neben ihr ein hölzerner Bücherregal. Langsam richtete ich mich auf. Wieso bin ich hier? Ich sollte doch im Wald sein...

Die Tür öffnete sich und ein blondes Mädchen betrat mein Zimmer. Dann fiel mir alles wieder ein. »Wo ist Jim?«, fragte ich mit monotoner Stimmer.

»Bei Doktor James.«, sagte sie, »Aber wir nennen ihn nur James oder Doc.« Ich stand langsam vom Bett auf und bemerkte dann, dass ich ein anderes Shirt an hatte. »Dein Oberteil war mit dem Blut von deinem Bruder befleckt, da habe ich dir eines von meinen gegeben.«, erklärte sie, »Ich weiß es ist nicht das schönste, aber die anderen würden dir wahrscheinlich nicht passen. Und das ist übrigens mein Zimmer.« Es war ein schlichtes, lockeres weißes T-shirt. »Schon okay.«, sagte ich, »Ich muss zu Jim.«

»James lässt dich nicht zu ihm - «

»Er ist mein Bruder!«, fuhr ich sie wütend an, »Ich gehe zu ihm wann ich will.«

»James ist noch nicht fertig. Er braucht seine Ruhe damit er alles richtig und gut macht.«, sagte Emily, »Aber du musst dir keine Sorgen machen, Doc weiß was er tut.« Es klang so als würde sie eher mit sich selbst reden als mit mir. Als würde sie sich einreden wollen, dass Jim nicht Tod ist. Mir fiel auch auf, dass sie sich irgendwie anders benahm. Ich weiß ich kenne sie kaum, aber sie hatte den ganzen Weg zu diesem Haus, fast nichts gesagt, und jetzt redete sie, als wäre es ein Ablenkung für irgendwas. Da fing sie plötzlich an zu weinen. »Es tut mir so leid.«, schluchzte sie, »Es ist meine Schuld. Es ist meine Schuld.«

»Hör zu.«, begann ich, »Es ist nicht deine Schuld. Wir haben aus freiem Willen gehandelt.«, erklärte ich. Es machte mich fertig, dass sie sich die Schuld gab, obwohl ich doch Schuld bin. Die Risor hatten es auf Jim und mich abgesehen... Nicht auf sie.

»Es ist meine Schuld.«, beharrte sie und fiel wie zuvor auf die Knie,. »Es ist allein meine Schuld, dass du tot bist, Dad.«

Ich wusste es. Sie ist eigentlich keine die so schnell anfängt zu heulen. Das habe ich ihr in der ersten Sekunde, in der ich sie sah, angesehen. Wenn ich eins und eins richtig zusammen gezählt habe, weint sie, weil sie mit Tode nicht so gut klar kommt. Weil sie wahrscheinlich einen mit eigenen Augen miterlebt hatte. Vielleicht der von ihrem Dad...

Ich nahm sie in die Arme, denn sie erinnerte mich, in diesen Moment, so sehr an Jim und mich als Mom starb. Nachdem sie sich ausgweint hatte standen wir wieder auf und sie wischte sich die Tränen aus den Augen.

»Wir sollten zur Küche gehen.«, sagte sie noch mit leicht zitternder Stimme, »Kate hat was zu essen gemacht.« Wir gingen aus dem Zimmer in den Flur.

»Wer ist Kate eigentlich? Und wo sind wir hier? Ist das deine Villa?«, ich hatte eigentlich viel mehr Fragen, aber ich wollte Emily jetzt nicht all meine Fragen an den Kopf werfen, da ich mir nicht mal sicher wie es wirklich ging.

»Nein. Das ist nicht meine Villa, und eine Villa ist es auch nicht. Dafür ist das Gebäude zu groß.«, erklärte sie mir, »Und Kate ist... Naja sie sorgt sich um uns, macht uns was zu Essen, erledigt manchmal die Einkäufe und manchmal wirkt sie schon fast wie eine Sekretärin.«

»Uns?«, fragte ich, »Wer ist denn alles 'uns'?«

Ich sah das Zögern in Emilys Gesicht. Dann sagte sie: »Ah! Ich kann schon das Essen riechen!« und ging mir voraus. In der Küche holte ich sie schließlich ein. Sie saß schon an dem Tisch, auf dem zwei Teller waren, und Kate war dabei Kartoffeln zu servieren. Da fiel mir wieder ein, dass ich vor kurzem noch bewusstlos war und plötzlich ich wieder misstrauisch.

»Wie lange war ich bewusstlos?«, fragte ich.

»Nicht lange.«, sagte Emily, »Vielleicht so 'ne halbe Stunde, oder vierzig Minuten.«

»Wieso eigentlich?«

»Du bist gegen die Wand geknallt.«

»Ja, aber wie?«, jetzt wurde ich so richtig misstrauisch, »Ich weiß, dass ihr mich, als ich gegen die Wand gekracht bin, nicht mehr festgehalten habt.« Nun schaute mich auch Kate an. »Wahrscheinlich kannst du dich nur nicht mehr daran erinnern.«, sagte sie und legte den Topf mit den Kartoffeln auf den Tisch. Ich wusste, dass sie mich anlog, denn ich kann mich noch genau daran erinnern wie sie und Emily mich fast zeitgleich losgelassen haben, und dann wurde ich von etwas unsichtbarem gegen die Wand geschmissen. Etwas unsichtbarem...

»Und was ist mit vorhin im Wald?«, fragte ich mit zusammen gekniffenen Augen, »Als der Risor dabei war dich umzubringen und es aber dann gegen einen Baum geschleudert wurde?«

»Wahrscheinlich ist der einfach ausgerutscht und nach hinten gefallen. Was weißt du denn schon?«, giftete mich Emily an. Echt! Das Mädchen ist doch gestört! Als erstes heult sie sich die Augen aus und dann wurde sie so richtig zickig! Da fing plötzlich an etwas zu klingeln. Kate ging zu einem Telefon rüber und nahm es ab.

»Ja?«, fragte sie in das Telefon hinein. Nach ein paar Sekunden legte sie auf und sah Emily an.

»Du sollst zur Bibliothek gehen.«, informierte sie sie. »Earl Hamon und Kyle warten dort auf dich.«

»Na toll«, brummte Emily, »das kann ja heiter werden.«

»Wenn es zu kompliziert wird ruf einfach an. Ich bleibe in der Küche.«, sagte Kate.

»Danke Kate.«, murmelte sie und verließ die Küche.

»Setz dich doch und iss.«, Kate deutete auf einen der Stühle.

»Nein.«, sagte ich. Egal wie gut das Essen riechen mochte, in einem Haus, in dem mir alles falsch vorkam und ich keiner Person trauen konnte, esse ich nichts »Wo sind meine Sachen?«

»In Emilys Zimmer, glaube ich.«, hörte ich Kate noch sagen, bevor ich die Küche verließ.

Gabe, oder Fluch?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt