(Das Bild zeigt Mia's Zimmer in der Klinik)
Mia war schon in einigen Kliniken. Da gibt es die geschlossene Psychiatrie. Mit Gittern an den Fenstern und zahlreichen Sicherungsvorkehrungen. Wenn ein Mensch für nichts mehr garantieren kann, wenn er keine richtige Kontrolle mehr über sich hat, ist manchmal der Schutz vor sich selbst nötig. Mia war nicht nur einmal “auf der Geschlossenen“.
Ich erinnere mich noch genau an einen bestimmten Tag vor ein paar Jahren...
Mia musste vor sich selbst geschützt werden und war einige Wochen in der geschlossenen Psychiatrie.
(Kleine Anmerkung an dieser Stelle: Die Psychiatrie wird von vielen Unwissenden schräg dargestellt. Vorurteile und blöde Kommentare. Das ist gedankenloses Gerede!
Es ist kein schöner, aber ein existentieller, bewahrender Ort für menschliche Notfälle. Soviel dazu.)
Meine Mutter und ich besuchten Mia an jenem unvergesslichen Tag.
Weiß, alles weiß. Triste Wände, leere lange Gänge. Dann müssen wir klingen. Die Tür zur “Geschlossenen“ ist... geschlossen. Nur die Pfleger haben die Schlüssel, einer öffnet uns.
Wieder ein langer, trister Gang. Aber nicht leer. Eine ausgemergelte Patientin schlurft mit einer Mappe vorbei. Der “Kinik-Gang“, wie Mia diese depressive Art zu laufen nennt. Irgendwo in einem der Zimmer schreit jemand kurz auf. Vor dem Stationszimmer sitzt eine junge Patientin auf dem Stuhl und wartet. Ich mag diese großen, gequälten Augen nicht, fühle mich unwohl, wenn mich jemand so ansieht.
Umso stärker muss ich sein, als wir Mia in ihrem Zimmer begegnen. Sie ist gefährlich abgemagert, ein Hauch von Nichts. Ihre Bulimie verbunden mit ihrer Magersucht hat sie an den Rand jeglicher Grenzen gebracht.
Sie steht unter der Wirkung irgendwelcher starken Medikamente, die ihr hier verabreicht wurden.
Ich sehe sie erschüttert an.
Meine Mia... Meine Mia???!!!
Vor mir steht eine zerstörte Gestalt, blass, krank, leer.
Als hätte sie unsere Welt schon verlassen. Nur ihr geschundener Körper stand wie eine Hülle vor mir.
Ich habe schon so einiges erlebt, was mich an meine Grenzen gebracht hat. Aber diese Momente damals... Gehören zu den heftigsten!
Ich fühlte mich wie in ein enges Korsett eingeschnürt, hatte kaum Luft zum Atmen.
Viel mehr als schwarzen Kaffee nahm Mia nicht zu sich. Wie sie mir lange danach anvertraute, nahm sie Abführmittel, um wirklich alles abzunehmen, was noch möglich war, und musste an Schläuchen künstlich ernährt werden.
In den dunkelsten Stunden dort aß sie den Anderen heimlich ihre Lebensmittel weg, aß die Essensreste, nur, um den Magen zu füllen und sich anschließend wieder über der Toilette übergeben...
Ich schreibe dies nicht, um Mia zu verurteilen oder irgendwie schlecht zu machen. Es ist einfach ein kleiner Einblick aus einer schlimmen Zeit, die Mia durchmachen musste. Eine Zeit, geprägt von der Sucht nach absoluter Kontrolle, wenigstens über den verhassten Körper. Das Ergebnis war aber in Wirklichkeit der völlige Kontroll-Verlust! Um das allerdings verstehen zu können, braucht es viel Zeit, Therapie und harte Arbeit.
Und damit kommen wir zum besseren Fall. Die “offene“ Psychiatrie.
Natürlich ist es wünschenswert und viel besser, wenn Menschen wie Mia bereit sind, wirklich an sich zu arbeiten. Leicht ist dieser Weg selbstverständlich nicht. Es fühlt sich zwar “leichter“ an, sich zu verletzen, um den seelischen Druck abzubauen. Aber Mia hat inzwischen gelernt, dass es tatsächlich möglich ist, die schrecklichen Gefühle auszuhalten. Zuzulassen, das sich die Gefühle wie Wellen aufbauen - Und wieder davon fließen!
Das ist ein wichtiger Schlüssel!
Wenn das doch nur mehr Menschen wüssten. Dann gäbe es sicher weniger Suchtkranke und überhaupt wäre vieles leichter. Man würde nicht schachmatt vom Feld geworfen ohne Hoffnung auf besseres. Weil ja dann klar wäre, dass solche Gefühle, wenn man ihnen den richtigen Raum gibt, wieder verschwinden. Dann kommen sie wieder, man hält sie achtsam aus... Und sie gehen wieder!
Mia weiß das. Leider hält sie das trotzdem nur selten davon ab, sich zu verletzen. Natürlich spielen viele andere Faktoren eine Rolle.
Nach Jahren auf der Suche nach der richtigen “Art“ Hilfe kam Mia in eine Uniklinik. Dort wurde ein spezielles Programm für Menschen mit Borderline entwickelt. Dies ist das erste und einzige Programm, was Mia wirklich hilft. Spezielle Lerneinheiten für den Umgang mit Gefühlen helfen wie auch ein gutes Maß an Eigenverantwortung der Patienten. Durch sogenannte “Bewältigungs-Strategien“ kann der Borderliner lernen, sich zu regulieren. Das kann alles mögliche sein: Scharfe Chili-Schoten, Eiswürfel, Igelball... Für härtere Fälle hat Mia ein winziges Gefäß mit purem Ammoniak. Wenn sie merkt, dass sie anfängt, zu dessoziieren, riecht Mia kurz daran. Dann ist sie wieder “ganz da“. Ich sollte mal vorsichtig dran riechen, bat Mia. Oha! Mein Gehirn machte einen Purzelbaum! Sehr unangenehmes Gefühl...
Aber wenn es Mia hilft, ist es eine gute Möglichkeit.
Sie hat so viel gelernt. Letztes Jahr war sie in einer Uniklinik, wieder bei diesem speziellen Programm für Borderliner. Natürlich kommen auch die Rückschläge.
Doch das kann Mia nicht mehr davon abhalten, weiterzumachen!!! In ein paar Monaten wird's ernst. Dann darf Mia wieder in diese Klinik, diesmal ins Wiederkommer-Programm. Das wird hart, denn diesmal soll endlich möglich werden, was bisher unmöglich war: Trauma-Therapie. Leider führt da kein (gesunder) Weg vorbei.
Mia weiß das. Sie hat jetzt schon Angst. Aber sie weiß auch, dass es richtig ist. Und dass ihre Familie ihr liebevoll Rückhalt geben wird.
Meine liebe Mia! Wenn ich daran denke, wie weit unten du warst und wo du jetzt bist! Du kannst das!!!
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Borderline - Die Geschichte von Mia
РазноеDas Leben eines tollen Menschen, nennen wir sie Mia, mit dem Borderline Syndrom. Aus der Sicht ihrer Schwester. Ein Versuch, sich etwas hineinzufinden in ein Leben zwischen schwarz und weiß...