Liebevolle Distanz

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Zuerst einmal möchte ich euch ganz herzlich danken, dass ihr bis hier hin gelesen habt.
Bisher war der Fokus auf Mia und ihre Krankheit gerichtet. Aus der Sicht von mir als Angehörige.
Nun widme ich dieses Kapitel allen Angehörigen von Borderlinern.

Was haben wir uns verrückt gemacht vor Sorge um unsere geliebte, an Borderline erkrankte Person!
Wie verwirrt sind wir immer noch, weil die Stimmung von jetzt auf gleich umschlägt. Wie schrecklich ist es, damit fertig zu werden, dass der Borderliner sich mal wieder heftig selbst verletzt hat. Wie oft wir das schon durchlebt haben und wie ungewiss Besserung ist. Nicht nur der Borderliner leidet.
Diese Ohnmacht, diese Verzweiflung, nichts tun zu können, was wirklich hilft! Und während wir manchmal das Gefühl haben, verrückt zu werden, ist uns bei all dem Leid doch etwas entgangen. Was nur...hm...
Und da fällt es mir wieder ein. Die Erkenntnis schlägt ein wie ein Blitz, unbarmherzig und plötzlich. Ich wollte es nicht wahrhaben, wollte es mir schönreden oder nicht mehr darüber nachdenken. Denn es ist unangenehm. Ich finde es ganz furchtbar, wenn sich manche Menschen komplett für Andere aufgeben. Oftmals mit  Grundannahmen wie:“Ich muss helfen. Ich muss alles tun, was ich nur kann. Nur dann bin ich liebenswert und ein guter Mensch.“

Ja. Mit solchen Grundannahmen ist es sogar noch leichter....sich aufzugeben!!!
Dieses bestimmte ungute Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus. Ich...habe...mich...vergessen!
Seit zehn Jahren leidet Mia an Borderline. Dieser Leidensweg ist gepflastert von unzähligen selbstzerstörerischen Handlungen, Aufenthalten in verschiedenen Kliniken, Magersucht, Bulimie, Selbstmordversuchen, Angst, Wut und Verzweiflung.
Seit zehn Jahren.
Ich kann nicht mehr mitleiden. Ich möchte es auch nicht mehr.
Unsere ganze Familie leidet unbeschreiblich mit. Jeder auf seine Weise, jeder ist unglaublich belastet. Es ist zum wahnsinnig werden, wenn jemand aus dem engsten Familienkreis so krank ist. Wenn seit Jahren jeder nur kämpft, wenn jedes Treffen tausend Möglichkeiten bietet, sich gegenseitig zu nerven, weil jeder am Ende ist. Am Ende von allem. Der kleinste Hoffnungsschimmer war wie ein helles Licht im Dunkeln.

Seit zehn Jahren.

Ich verstehe, was Borderline bedeutet. Ahne, wie es sich anfühlen könnte. Habe es regelgerecht studiert, um damit fertig zu werden.
Habe unbewusst ALLES, und ich meine wirklich ALLES, gegeben, um Mia zu helfen und sie etwas glücklicher zu machen. Hat es wirklich was gebracht?
Nein.
Vielleicht hat sich Mia dadurch etwas besser gefühlt.
Doch dafür kann ich mich nicht aufgeben. Sie hat es meistens nicht direkt verlangt, aber indirekt. Mia weiß sehr genau, welche Knöpfe sie bei mir drücken muss. Mein schlechtes Gewissen kommt bisher zuverlässig auf Knopfdruck. Toll.

Abgrenzen ist die Devise. Sich der Sache bewusst werden und handeln. Mia möchte nicht, dass ich mich für sie opfere. Davon gehe ich zumindest aus.
Im Affekt ziehen halt die alten Muster.

Ich hab sie geliebt, wie man seine Schwester nur lieben kann.
Sie wird mir nun nicht weniger bedeuten. Aber ich mir mehr.

(Hi Selbsthass, noch gar nicht gesehen heute...!)
Ich fange endlich an, mir etwas zu bedeuten. Nach so vielen Jahren des Bemühens darum.

Als Angehöriger ist es extrem schwer, die Balance zu halten. Doch es ist wichtig. Wer sich selbst komplett selbst verliert, hilft damit niemandem mehr. Er braucht selbst Hilfe.

Ich habe mit anderen Angehörigen von Borderlinern gesprochen.
Sie haben sich psychologische Hilfe geholt, um damit fertig zu werden. Es handelte sich um Personen, die fest im Leben stehen. Darunter auch ein Arzt, dessen Frau daran erkrankt ist.

Sich selbst auch etwas wert sein, Freundschaften pflegen, Hobbys haben und sich gedanklich eine Auszeit von den Problemen nehmen, das ist empfehlenswert.

Sich liebevoll, aber bestimmt abgrenzen im Alltag.
Der Borderliner kämpft regelmäßig gegen das Gefühl an, er würde von aller Welt verlassen. Das ist ernstzunehmen. Deshalb sollte die Abgrenzung jeweils ruhig, nicht in Wut erfolgen. Schwarz-Weiß-Denken gehört ebenfalls zum Borderliner. Mia wird bei meiner ersten Abgrenzung wütend, enttäuscht oder abgrundtief traurig sein.
Doch ich werde das mutig tun und dabei bleiben.
Ich werde sie nicht “verlassen“.

Das ist die Geschichte von Mia.
Ich werde sie hier nicht mehr weiter schreiben. Du weißt, warum.

Jetzt...werde ich leben.

Borderline - Die Geschichte von MiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt