Rote Tränen...

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„,Wenn du es dir wünschen könntest, hättest du dann gerne die Haut an den Armen wie früher, ohne Narben?“ Gespannt sah ich sie an. Ihre Antwort überraschte mich.

„Nein. Die Narben sind ein Teil von mir, sie gehören zu mir.“

Nachdenklich betrachtete ich ihre Arme. Die Unterarme sind komplett vernarbt. Hellere Narben, wulstige dunkle Narben, frisch verheilte. Kreuz und quer. Ein Schock für Jeden, der so etwas noch nie gesehen hat. Kinder reagieren nicht geschockt, sondern einfach verwirrt. Sie können es nicht einordnen. Wie soll man so etwas auch einordnen, das eigentlich nicht zu einem “Durchschnitts-Leben“ gehört. Wenn es im Sommer wirklich heiß ist, oder im Schwimmbad, lässt sich das nicht verstecken. Ich habe mich an die mitleidigen, starrenden, abwertenden und verstörten Blicke gewöhnt. Mia ignoriert die Gaffer komplett. Unsere Mutter kommt damit nur schwer zurecht.

Was willste machen! Es ist, wie es ist.

Die armen Leute... Jetzt wissen sie nicht mehr, wohin sie zuerst starren sollen: Auf mein Übergewicht, Mia's Untergewicht oder auf ihre Arme...

Ich muss dazu sagen, dass Mia seit Jahren nicht mehr ihre Arme präsentiert, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Es ist Alltag geworden.

Seit vielleicht zwei Jahren verletzt sich auch an ihren Unterbeinen.

Das hat mich sehr traurig gemacht. Mia besteht immer darauf, sich nicht auf die Symptome, das selbstverletzende Verhalten, zu konzentrieren. Sondern auf sie als Mensch. Das fällt mir unglaublich schwer, wenn sie sich wieder frisch verletzt hat! Es tut unbeschreiblich weh, wenn du Jemand von Herzen liebst, und dabei zukucken musst, wie der sich selbst zerstört.

Die Frage nach dem “Warum“ ist eigentlich relativ einfach zu beantworten.

Wenn negative Gefühle extrem stark sind, zweifeln Viele wie Mia daran, dass dieser Zustand vorüber geht. Dass auch solch extreme Gefühle überlebbar sind.

Ob ich überhaupt weiß, wovon ich da schreibe?  Klare Antwort. Ja.

Auch bei Depressionen ohne Borderline können diese Panikattacken und Ängste auftreten.

Leider können viele Betroffene ein (Klage-)Lied davon singen.

Ob Verätzungen Mit Lauge, Verletzungen mit rostigen Nägeln oder der scharfen Rasierklinge: Mia hat nichts ausgelassen. Der starke Adrenalinschub lässt sie alle seelischen Schmerzen für kurze Zeit vergessen. Ich hab sie in diesem Zustand ins Krankenhaus zum Nähen gebracht. Sie war wie im Rausch, abwesend, konnte kaum sprechen, lächelte ins Leere. Ein sehr verstörendes Bild. Da sie nie betrunken war und nie unter Drogen stand, kam sie mir wie ein fremder Mensch vor. So kenne ich sie nicht. Dieses Elend, das ganze Blut... Es tut mir auch in diesem Moment sehr weh. Meine sehr intelligente und oft rationale Schwester war nichts als ein Schatten ihrer selbst. Ich hätte vor Herzschmerz schreien können, als ich Mia so erleben musste. Doch ich bin ganz ruhig geblieben. Sie brauchte mich doch...

Jeder Tag ist ein Kampf für sich. Jeder Tag ohne selbstverletzendes Verhalten ein Sieg.

Ich verstehe, wie sie es meint. Doch ich kann es trotzdem nur schwer begreifen. Für mich ist dieses Gemetzel kaum zu ertragen. Mia schneidet sich wirklich tief. Wenn ich dabei sein müsste, wenn sie das macht, würde mein Herz zerbrechen und sterben.

Es fällt mir wirklich schwer, es als Sieg zu sehen, dass sie nicht länger als wenige Tage bis Wochen “ohne“ auskommt.

Ändern kann ich es sowieso nicht.

Radikale Akzeptanz. Ein Begriff aus der Therapie.

Man akzeptiert eine Sache radikal und konsequent. Das ist manchmal enorm schwer.

Es ist, wie es ist. Nach vorne schauen und weiter gehts...

Borderline - Die Geschichte von MiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt