Ich bin bei dir...

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Jeder muss sein eigenes Leben leben. Mia ihrs, ich meins. Als große Schwester komme ich leicht in eine bemutternde Rolle Mia gegenüber. War sie doch immer meine geliebte kleine Schwester. Natürlich sind wir jetzt erwachsen und unser Verhältnis auch. Doch manche Dinge stecken immer irgendwie mit drin. Um so schwerer fällt mir das Loslassen, weil Mia Borderline hat. Ob es mir leicht fällt oder nicht: Loslassen gehört zum Leben dazu. Meine Verlustängste erschweren es mir zusätzlich... :/

Ich hatte lange Zeit das intensive Bedürfnis, Mia zu schützen und zu tragen. Sie machte einen solch instabilen Eindruck auf mich, dass ich mich in meiner Fürsorge kaum beherrschen konnte. Irgendwann kam auch ich zu der bitteren Erkenntnis, dass das nicht wirklich hilft. Im Gegenteil! Dadurch habe ich Mia unbewusst einiges abgenommen, was sie dringend lernen musste. Verantwortung übernehmen oder sich abgrenzen zum Beispiel. Mittlerweile haben wir größtenteils unsere Rollen geordnet, um uns gegenseitig nichts zu nehmen. Mia grenzte sich am Anfang sehr hart ab - Und bei den Personen, denen sie am meisten vertraut... Es war anfangs wirklich eine Zerreiß-Probe. Aber auch das hat sich inzwischen recht gut entwickelt. Mia schafft es endlich immer besser, sich auch Fremden gegenüber abzugrenzen! Darüber bin ich unbeschreiblich froh... Schließlich, um ganz ehrlich zu sein, kann ich die Angst und Sorge um sie selten abstellen. Wenn mir dann ach-so-kluge Leute raten, ich soll mein Leben leben und so weiter, höre ich mittlerweile nicht mehr hin. Was wissen die denn schon, was es bedeutet, jahrelang wahnsinnige Ängste auszustehen um die geliebte Schwester. Abends wach zu liegen mit einem unguten Gefühl. Vor ein paar Monaten bin ich abends bei ihr vorbeigefahren, weil ich ein extrem schlechtes Gefühl hatte und unüblich lang nichts von ihr gehört. Die Tränen standen mir in den Augen, als sie dann an der Tür stand, lebendig...

Ich weiß nicht, ob es hysterisch rüberkommt. Ich bin durch die Erfahrungen so geworden.

Da rief sie doch eines abends an, um zu fragen, wie es mir geht. Und plauderte, als wenn nichts wäre. Da hörte ich auf mein ungutes Gefühl und musste mehrmals nachfragen, bis sie es endlich beichtete. Sie wollte wissen, ob es mir gut geht, um einzuschätzen, ob ich mit ihr ins Krankenhaus fahren konnte... Zum nähen!

Wenn ich gesagt hätte, dass es mir nicht so gut geht, hätte Mia mich nicht gefragt...!

Als wir zum Nähen gefahren sind, war Mia in diesem eigenartigen Zustand, vom Adrenalin wie betrunken, den ich in einem vorhergehenden Kapitel schon beschrieben habe.

Als sie in einer Psychiatrie war und ich tagelang nichts von ihr gehört habe (vorher sehr regelmäßig), telefonierte ich so lange mit unfreundlichen Leuten dieser Einrichtung, bis ich herausfand, was mit Mia passiert ist. Sie musste von der offenen in die geschlossene Psychiatrie, in der man kein Handy haben durfte. Ich finde, die Leute dort hätten uns wirklich darüber informieren können. Naja. Was auch immer Mia passieren sollte, wie unerreichbar sie auch zu sein scheint: Ich werde sie niemals im Stich lassen, wenn sie mich braucht!!!!!

Wir können zwar einem Borderliner seine Krankheit nicht abnehmen. Aber wir können ihnen trotzdem helfen. Ihnen vermitteln, dass wir sie lieben. Ihnen gut zuhören. Ihre Gefühle und Gedanken respektieren. Beständigkeit vermitteln und die eigene Ruhe bewahren. Sie so normal wie möglich behandeln. Sich taktvoll auf das positive konzentrieren, ohne zu überfordern. Vor allem einfach da sein.

Ohne wenn und aber.

Borderline - Die Geschichte von MiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt