Schwer schluckend starrte ich auf den kleinen Holztisch vor mir, kniff immer wieder erneut die Augen zusammen, wenn ein lautes Klatschen von Holz auf Haut den Raum erfüllte. Ich fand es so schrecklich, so schrecklich. Auch wenn es mich fast nie betraf, ich hasste diese Strafen, sie waren so kalt und herzlos. Ihr Blick, ihr kalter, strenger Blick, wie sie ihm auf die Finger schlug, weil er einen Fehler gemacht hatte, einen.
Jeder macht Fehler, warum wird uns hier beigebracht, dass Fehler machen falsch ist, obwohl es menschlich ist?
Leo hieß er, seine Augen waren glasig, doch er durfte nicht weinen, sonst wurde alles noch schlimmer. Schweigend setzte er sich hin, starrte vor sich auf den Tisch, der Unterricht ging weiter.Wie immer hörte ich zu, redete nicht viel, ich hatte Angst, Angst davor, Fehler zu machen. Und ich seufzte gedanklich, als ich realisierte, dass ich mich diesem System genauso unterwarf wie alle anderen, weil ich Angst hatte. Doch das war doch das, was dieses System am Leben hielt. Die Angst der Bürger, damit sie eben nicht auf die Idee kommen, etwas zu ändern.
"Hast du Angst?"
"Ein bisschen."
"Wovor?"
Schweigen.Seine Worte schwirrten in meinen Gedanken. Ich liebte es, wie er redete. Es war alles so klar, so auf den Punkt gebracht und ich hatte das Gefühl, mit jedem seiner Worte öffnete er mir die Augen. Immer und immer wieder. Jede Nacht wurde ich schlauer durch ihn, er war toll. Er redete so selbstverständlich, als hätte er vergessen, in welcher Welt wir lebten. Und seine Stimme klang rau, leise, wunderschön.
"Sie schlagen sie, wenn sie Fehler machen und merken nicht, das dass der eigentliche Fehler ist, den sie machen.", hatte ich gesagt, ihn angesehen, wie seine Haare in dem leichten Wind hin und her wehten und sich die Sterne in seinen feuchten Augen widerspiegelten. "Sie sind doch alle nur alle Opfer dieses Systems geworden.", hatte er gemurmelt und ich nickte stumm, betrachtete weiter sein wunderschönes Gesicht. Seine hohen Wangenknochen mit seinem lieblichen, immer leicht rosanen Wangen, sie ließen ihn in dieser Nacht, in diesem Licht so klein, so unschuldig und schüchtern aussehen und sein ausgeprägter Kieferknochen machte ihn extrem attraktiv. Als er ebenfalls seinen Kopf zu mir drehte und mich an sah, hatten sich seine rosanen, fast perfekten Lippen zu einem kleinen, wissenden Schmunzeln verformt. "Du starrst.", hatte er gesagt, leicht gelacht und ertappt lachte ich auch leicht, wendete meinen Blick dann aber wieder dem Himmel mit seinen tausenden Sternen zu.
"Marlon! Du bist unkonzentriert.", zischte sie und ich zuckte erschrocken zusammen, schaute sofort zu ihr hoch und stotterte ein leises "T-Tut mir Leid, Ma'am." Und ich blickte an die Tafel, versuchte den Rest der Zeit, ihren ekelhaften Worten zu folgen, mich zu konzentrieren, doch meine Gedanken drifteten immer wieder ab. Ich dachte immer viel zu viel an ihn. Er brachte mich zum Nachdenken.
Zügig packte ich meine Papiere und die Stifte in meinen Rucksack, stand auf und machte mich schnell auf den Weg nachhause. Ich wollte einfach nur in mein Zimmer, mir alleine die Zeit vertreiben, bis ich wieder zu ihm konnte.
"Marlon, da bist du ja endlich!", rief meine Mutter aufgebracht, packte mich an meinem Ärmel und zerrte mich in die kleine Stube. Überfordert stolperte ich ihr hinterher. "Zieh dich erstmal aus, du weißt doch, dass wir mit Schuhen nicht in die Stube gehen!" Verwirrt und genervt darüber, dass sie mich selber in die Küche gezogen hatte, ging ich zurück in den Flur und schlüpfte in meine Stoffhausschuhe und kam erneut in die Küche. Meine Mutter stand am Herd, pürierte Kartoffeln und sah mich streng an, sie hatte ihren Kopf leicht zu mir gedreht. "Deine Lehrerin hat angerufen.", sagte sie, so als wüsste ich schon Bescheid und ich nickte leicht. "Sie sagt, du seist unkonzentriert und das könne so nicht weitergehen." Ich nickte leicht. "Tut mir Leid..", sagte ich leise. "Ich hatte Kopfschmerzen..", behauptete ich leise, in der Hoffnung, dass würde etwas ändern. "Na und, darunter können doch deine schulischen Leistungen nicht leiden! Du hast sowieso nachgelassen in letzter Zeit, du tust viel weniger für die Schule.", schimpfte sie und ich entschuldigte mich erneut, ich wollte mich nicht rechtfertigen, es würde sowieso nichts bringen. "Dein Vater kommt heute Abend wieder aus der Stadt, sei wenigstens dann vorbildlich!" Leise seufzte ich und nickte. "Ja, Mutter..", murmelte ich und deckte nebenbei den Tisch.
Ich mochte meinen Vater nicht. Auch wenn er nicht so streng war wie meine Mutter, erwartete er gute Noten und einen guten Abschluss. Meine Mutter tat alles dafür, dass er einen guten Eindruck von ihr und ihrer Erziehung hatte, warum, wusste ich selber nicht genau. Mein Vater war selten zuhause, unter der Woche arbeitete er in der Stadt, damit wir etwas Geld zum Leben hatten und am Wochenende kam er nachhause und hatte eine enorme Erwartungshaltung. Auch, wenn er es wahrscheinlich nicht böse meinte, wenn um Punkt zwölf nicht das perfekte Essen auf dem Tisch stand, wurde er sofort genervt und konnte einem den ganzen Tag versauen.
Er sagte dann immer Dinge wie "Nicht mal vernünftiges Essen gibt es hier.", während er an seinem Bier nippte und streng durch den Raum sah. Außerdem behandelte er meine Mutter nicht gut. Auch wenn sie mich nervte, ich wollte nicht, dass mein Vater sie behandelte, als könnte er mit ihr machen, was er will. Meine Mutter war kein Objekt. Auch, wenn sie sich der Erwartung, den ganzen Tag zu kochen, zu putzen, zu stricken oder zu nähen extremst anpasste, weil sie es für richtig hielt, rumkomandiert zu werden, war sie trotzdem jemand, den man mit Respekt behandeln sollte. Und da war mein Vater mit seinem Bild einer Frau nicht der Einzige, es war hier einfach normal."Wir sind doch alles Menschen, wir sind doch alle gleich, oder?", hatte Juli gesagt und er hatte so recht, wir waren alle Menschen, warum ist der Gedanke, dass alle gleich sein sollten, so verdammt weit weg in unserem System.
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forbidden love. [boyxboy]
Romance"Wir dürfen das nicht." "Warum fühlt es sich dann so richtig an?"