schreckliche realität.

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"Bleiben wir noch ein bisschen draussen?", fragte ich leise, als wir durch das kleine Loch in der Stadtmauer huschten. Die Tore der Stadt waren schon zu, wir wollten nicht auffallen, indem wir die Wachen zum Öffnen baten. "Gerne.", lächelte Juli, schlüpfte durch das kleine Loch und zusammen gingen wir in Richtung See.

"Ich hab deine Notizen zu Ende gelesen.", sagte ich leise, holte das kleine Büchlein aus meiner Tasche und reichte es ihm. Etwas verlegen lächelte er, nahm es und stopfte es in seine Tasche. "Danke.."

Manchmal benahm er sich wie ein Kind, er war so stolz auf sich manchmal, ich mochte seine Art sehr. Er lächelte und grinste immer so süß, wenn ich ihn auf Dinge ansprach, die er selber geschrieben oder gesagt hatte, er freute sich immer. Sein verlegenes Lächeln ab und zu, wenn es ihm unangenehm war, so stolz auf seine Worte zu sein, göttlich. Manchmal benahm er sich wie ein Kind, was seinen Eltern unbedingt das gemalte Bild zeigen wollte, um etwas Anerkennung zu regenerieren.
Ich lächelte. Irgendwie war er schon knuffig.

"Wie alt bist du eigentlich?"
"Fast 18.", murmelte ich, blickte auf ihn hinunter. Er nickte interessiert.
"Wann wirst du 18?"
"In genau zwei Wochen."
"Feierst du irgendwas?"
"Muss mit der Familie essen gehen."
"Ugh, schrecklich. Du feierst mit mir, ja? Ich back dir 'nen Kuchen.~"
Ein süßes, unschuldiges Lächeln bildete sich auf seinen Lippen, ich musste ebenfalls lächeln. "Danke."

Wir setzten uns auf den feuchten Erdboden, sahen auf das Wasser, wie jeden Abend.

"Wie lange waren Daniel und Milo schon zusammen, bevor sie erwischt wurden?", fragte ich leise, aus Interesse und sah Juli an. Er zuckte mit den Schultern. "Ich wusste schon länger davon. Drei Wochen mindestens. Aber wie lange sie davor schon zusammen waren, weiß ich nicht. Mittlerweile müssten es aber bestimmt schon zwei Jahre gewesen sein." Ich nickte nachdenklich, blickte auf das klare Wasser. "Du musst sie mal kennenlernen." Ich nickte. "Sie sind echt knuffig.", seufzte er lächelnd, in seiner Stimme schwang ein Hauch Sehnsucht mit.

~

Lustlos schlenderte ich von der Schule nach Hause, ich lächelte nicht, es war alles so unfair. Ich sah mich nur um, hatte das Bedürfnis zu seufzen und meine Gedanken hörten nicht auf, sich zu drehen. Alles war so sinnlos.
"Luri!", hörte ich ein Zischen, schreckte kurz zusammen, so sehr war ich in meinen Gedanken versunken. Mein Blick schweifte durch die kaputten Fachwerkhäuser, dort, wo das Geräusch herkam und kurze Zeit später sah ich Juli, wie er versteckt im Dunkeln dortzwischen stand. Ich sah mich um, ging schnell auf ihn zu, er griff nach meinem Ärmel, zog mich mit sich, tiefer in die dunklen Gassen der Stadt. Dann blieb er stehen, drehte sich zu mir um.

Er weinte.
Verzweifelt wischte er sich über die Wange, schluchzte auf.
Überfordert nahm ich ihn einfach in Arm, drückte ihn an meine Brust und seine kleinen, dünnen Finger krallten sich in mein Hemd.
"Hey, ist schon okay..", flüsterte ich leise, beruhigend, er sollte nicht weinen. Unruhig senkte und hebte sich seine Brust, er wirkte so klein gerade, so schwach.
"E-Er..-" Seine Stimme brach ab. Schluchzen. "Er hat so geschrien." Er redete so schnell, weinerlich, ich verstand nicht, was er mir sagen wollte, was war nur passiert, ich machte mir Sorgen.
"Julian, beruhig dich erstmal..", sagte ich leise, setzte mich langsam mit ihm auf den Boden, dass er mir hier nicht zusammenbrach. Näher drückte ich ihn an mich. Er atmete ein paar Mal tief durch, drückte sich näher an mich. Doch mit der Zeit wurde er ruhiger, sanft redete ich auf ihn ein. Er wischte sich über die Wangen, atmete tief, leicht zittrig durch.

"Okay und jetzt ganz in Ruhe.. Was ist passiert..?", fragte ich leise.
"M-Mein Vater..-" Er atmete tief durch, er wollte nicht erneut mit dem Weinen anfangen. Ich hörte ihm weiter zu. "Er- E-Er kam heute wieder aus der Stadt.. U-Und dann.. ist er immer wütend.. Und er hat erst mich angeschrien..-" Leises Schluchzen. "Un-d dann meine Mutter.." Er atmete tief durch, seine Augen wurden glasig.

"Ich will gar nicht wissen, was er mit ihr anstellt, sie hat das alles nicht verdient.." Er redete schnell, aufgelöst und ich ließ ihn einfach reden, streichelte sanft über seinen Rücken, damit er sich beruhigte.

Ich war selber ratlos, was er tun konnte, wusste nicht, was ich sagen sollte.

"Was hat er denn gesagt..?", fragte ich leise, vielleicht konnte ich ihm da wenigstens etwas weiterhelfen.
Sein dünner Körper zitterte in meinen Armen, ich drückte ihn näher an mich. "E-Er-" Seine Stimme brach ab.
"Okay, hey, ist schon okay.. Beruhig dich erstmal..", flüsterte ich leise, streichelte über seinen Rücken, ließ ihn weinen und schluchzen und zittern, bis er ruhiger wurde.

Seine krallenden Finger in meinem Hemd wurden lockerer, er wurde ruhiger, doch er schmiegte sich weiter an meine Halsbeuge, drückte sich an mich. Er zitterte nicht mehr, sein Atem war ruhiger, nur ab und zu musste er schluchzen. Ich gab ihm einen kurzen, sanften Kuss auf den Kopf, sah ihn an, ein leichtes, verweintes Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. Leicht lächelte ich zurück, bevor ich leise flüsternd anfing, zu sprechen. "Möchtest du darüber reden..?" Uns beiden wich das Lächeln langsam von den Lippen, während mein Blick wieder besorgt wurde und seiner schluckend wieder mit Trauer gefüllt war. "Heute Nacht, okay..?", sagte er heiser und ich nickte, sah ihn nur an. "Musst du nicht nach Hause..?", fragte er leise und ich nickte leicht. "Geht es dir denn besser..?" Juli zuckte mit den Schultern, lehnte sich wieder an mich und schloss seine Augen. Ich musste lächeln. "Weiterkuscheln können wir heute Nacht, hier ist es sowieso zu riskant.." Auch auf seinen Lippen bildete sich ein Lächeln und er löste sich langsam von mir.
"Versprochen?"
"Versprochen.", lächelte ich und er stand langsam, immernoch etwas zittrig auf und mit einem vielsagenden, sanften Lächeln drehte er sich um und ging die Gasse entlang zurück zu ihm.

Ich stand ebenfalls auf, sah ihm noch kurz hinterher und wollte gerade in die andere Richtung zu mir nach Hause gehen.

"Luri?"
Verwundert drehte ich mich zu ihm um, wie er da stand, ebenfalls umgedreht, mich ansah, in der ekelhaften, dreckigen Gasse mit seinen dreckigen Schuhen und seiner dreckigen Kleidung, mit seinem verweinten Gesicht, dessen Lippen trotzdem ein sanftes Lächeln zierten.
"Danke.", sagte er und er sagte es ehrlich und ich musste lächeln, als er sich umdrehte und davon rannte.

Er war schon komisch, aber er war so verdammt liebenswert mit seiner kindlichen, und doch so aufgeklärten Art.

forbidden love. [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt