"Sie sind eigentlich so wie wir, nur eben nicht akzeptiert von der Gesellschaft."
Stumm nickte ich, meine Skepsis stieg, ich war noch nie bei ihnen, Mutter hatte immer gesagt, sie seien Monster und man solle bloß nicht zu ihnen gehen, sonst würde man sich anstecken und auch zum Monster werden. Ich hatte immer furchtbare Angst vor ihnen.
"Milo? Lilly?", rief Julian leise, sah sich um.
"Ich bins, ich möchte euch jemanden vorstellen." Ein leises Grinsen huschte über seine Lippen."Heyy.", hörte ich eine hohe, schöne Stimme eines Mädchens. Ich drehte mich zu ihr um, musste kurz leicht nach Luft schnappen vor Schreck. Sie hatte lange, dreckige, blonde Haare, ihr eigentlich schönes Gesicht war übersäht von roten Brandblasen und Pickeln. Sie lachte leicht auf, als sie sah, dass ich mich erschreckt hatte. "Anfänger also.", schmunzelte sie, hielt mir die Hand hin. Ich schluckte, sah unsicher zu Juli, Lilly hatte nur vier Finger. "Na komm, bin auch nur ein Mensch, ich bin nicht ansteckend, bin nur in 'nem brennenden Haus fast umgekommen und dann ausgesetzt worden, weil sie dachten, ich wäre vom Teufel besessen." Zögernd gab ich ihr die Hand, musste leicht über ihre Worte lachen, irgendwie kam sie mir sympathisch rüber. Juli lächelte mir aufmunternd zu, umarmte Lilly kurz und war sichtlich erfreut darüber, sie zu sehen.
"Kommt mit rein, wir sind unten.", lächelte sie und durch eine kleine Lücke in dem Busch folgten wir ihr nach unten unter eine kleine Steinbrücke. Hier saßen sie, bestimmt fünfzehn Aussätzige. Unsicher setzte ich mich neben Juli, der das alles wahrscheinlich gewohnt war. Ich blickte durch die Runde, sie alle saßen auf dem Boden, in kaputter, alter Kleidung, waren dreckig und müde. Manche sahen gruselig aus, waren voller roter Punkte und Pickel, die aussahen, als würden sie platzen, anderen sahen nur schwach aus, als wären sie totkrank. Andere waren behindert, zuckten ab und zu und ein Junge hatte das Downsyndrom. Einige sahen auch ganz normal aus, und ich fragte mich, warum sie hier waren. Zwei von ihnen lagen eingewickelt in eine dünne Decke aus Stoff, wie der eines Kartoffelsackes, auf dem Boden und kuschelten. Ich musste lächeln, irgendwie waren sie süß. Der Junge hatte brauen, fettige Haare, in seinem Shirt war ein Riss, er war hübsch. "Siehst du den dahinten?", fragte Juli mich, zeigte auf ihn und ich nickte leicht lächelnd. "Das ist Milo, er war mal mein Stallgehilfe, dann wurde er ausgesetzt." "Warum wurde er ausgesetzt?", flüsterte ich leise, beobachtete Milo mit seiner Freundin, die sich eng an seine Brust gekuschelt hatte. "Sie wurden erwischt. Der andere ist Daniel, die Nachbarin hat sie gesehen, als sie sich geküsst haben..", sagte er leise seufzend und verwirrt über die Tatsache, dass es sich bei dem Mädchen um einen Jungen handelte, nickte ich, fand die beiden aber trotzdem noch unfassbar süß, wie sie dort saßen und Daniel halb in Milos Armen schlief. Ich nickte leise, sah Juli an. "Sie sind süß..", redete ich leise und er nickte lächelnd. "Du musst sie mal wach erleben. Sie sind wirklich extrem süß." Er lachte leicht auf, sein Lachen war so hell und wunderschön, dass ich für einen kurzen Moment Gänsehaut bekam und total zu Lächeln begann. "Das glaube ich dir sofort.", schmunzelte ich, sah wieder in die Runde.
"Ich hab euch was mitgebracht.", sagte Juli plötzlich, holte aus seiner mal wieder viel zu überpackten Tasche eine Tüte Äpfel vom Markt, eine Flasche Milch, Haferflocken und einen Leib Brot. Er schob die Sachen zu Lilly, die neben ihm saß und ihn sofort umarmte. "Danke.", lächelte sie und Juli nahm ein kleines Taschenmesser, begann mühsam, das Brot zu schneiden. "Du bist ein Schatz, weißt du das? Du rettest uns jede Woche unser Leben." Leicht verlegen lächelte Juli, bedankte sich und gab das halb zerschnibbelte Brot durch den Kreis. Hungrig teilten sie sich das Essen, unterhielten sich. Sie aßen mit Fingern, etwas anderes hatten sie nicht, etwas anderes brauchten sie nicht. Es fühlte sich nicht an, als wäre ich bei denen, die aus der Gesellschaft ausgestoßen wurden, eher wie bei einer netten Ansammlung von Menschen, denen es hier gut ging, die nicht viel zum Glücklichsein brauchten. Ich wurde leicht neidisch.
"Selbst gebacken?"
"Wie jede Woche.", grinste Juli zufrieden, kramte noch einmal in seiner Tasche, während sich die anderen das Abendessen teilten und sich unterhalten. Aus seiner Tasche zog er ein dünnes Buch, gab es Lilly. "Sehr gutes Buch, sehr schlaue Worte, ich hab dir versprochen, du kriegst ein neues.", grinste er und sie seufzte, konnte ihr Lächeln jedoch nicht unterdrücken. "Ich hab dir doch gesagt, du brauchst mir keine Bücher mehr mitbringen.." "Ich weiß, ich mach es trotzdem.", schmunzelte Juli und lächelte. "Nathan der Weise, Gotthold Ephraim Lessing.", las Lilly leise vor, bedankte sich noch ein paar Mal bei Juli.
"Und auch, wenn es zwar wieder Sommer wird, hab ich zur Sicherheit nochmal Streichhölzer, ich möchte nicht, das ihr friert." Juli legte die Streichhölzer an die Seite.So saßen wir da, ich gewöhnte mich immer mehr an Lillys Gesicht, generell gewöhnte ich mich an die Behinderten, die Leute, die irgendwie verkrüppelt oder entstellt waren. Ich hatte zwar Mitleid mit den Leuten, die wirklich übel krank waren und dem Tod sehr nahe schienen, doch auch sie schienen hier trotz ihrer Schwäche glücklich zu sein. Ich hörte zwar größten Teils nur ihren Gesprächen zu und wir hatten Spaß, es war lustig. Milo und Daniel lagen immernoch dort, schliefen tief und fest, sie waren den Lärm wahrscheinlich gewöhnt. Ab und zu blieb ich an ihnen hängen, musste lächeln, sie sahen so glücklich aus und ich stellte mir vor, wie es wäre, eine solche Beziehung zu führen. Ich seufzte. Hier draussen schien alles so einfach. Ich wollte hier bleiben.
"Manchmal bist du naiv, Luri.", sagte er, als wir wieder auf dem Weg in die Stadt waren. "Du würdest nicht gerne bei ihnen leben. Sie hungern, wenn sie nichts klauen und frieren im Winter. Sie werden verspottet, beleidigt, angespuckt, manchmal auch getreten oder geschlagen. Viele von ihnen sind sehr schwer krank, immer wieder sterben welche oder stecken andere an, die dann auch sterben. Sie haben es verdammt schwer, sei lieber froh, dass du in der Stadt leben darfst. Es ist nicht schön, von seiner Familie verstoßen und plötzlich gehasst zu werden wegen Dingen, für die man nichts kann. Sie alle leiden darunter, darum streiten sich viele von ihnen andauernd, manchmal eskaliert das so sehr, dass sie sich schlagen. Auch, wenn ich sie wirklich gerne hab, sie haben ein schweres Leben, glaub mir."
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forbidden love. [boyxboy]
Romance"Wir dürfen das nicht." "Warum fühlt es sich dann so richtig an?"