Kapitel 4

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Ich sah mich selbst, oder besser gesagt das was noch von mir übrig war. Mein Leichnam, zur Hälfte von einen Titan gefressen, aber Hauptsache die Sommersprossen waren noch zu sehen. Es war ein merkwürdiger Anblick, sich selbst tot am Boden liegen zu sehen. „Marco?“, murmelte Jean, doch es war nicht an mich sondern an die Leiche gerichtet. Natürlich bekam mein Freund keine Antwort, doch ich umarmte ihn einfach fest. Ich spürte seinen Körper nah bei mir, ich spürte die Wärme die er ausstrahlte, ich fühlte mich einfach geborgen, aber Jean, der fühlte nichts, denn ich war nun nichts weiter als ein unsichtbarer Geist. Die ersten Tränen liefen über meine Wange, auch wenn ich versucht hatte es zu verhindern. „Keine Sorge Jean, ich werde trotzdem für dich da sein!“

Trotz des Ereignisses versuchte ich mich etwas später auf meine erste Unterrichtsstunden zu konzentrieren.
Mr. Angelus, so hieß mein Lehrer und er war vielleicht etwas streng, aber man lernte wenigstens was bei ihm. Wie hilft man seinen Schützling in Gefahren Situation? Wo sind die Grenzen eines Engels? Welche Regeln musste man beachten? All das lernten wir an diesem Tag. Mr. Angelus malte ein Schaubild an die Tafel und sah uns dann durch seine dicken Brillengläser mahnend an. „Ich würde Ihnen raten mitzuschreiben, das könnte nämlich in der Prüfung vor kommen.“ Kaum hatte er das gesagt, stieg der Geräusche Pegel im Klassenzimmer, da jeder nach was zum schreiben suchte. Jeamand tippte mir auf die Schulter und ich drehte mich um. Hinter mir saß Eld, der mich um Tinte bat. „Meine ist schon wieder alle“, flüsterte er. „Eld, Marco, ist das worüber ihr euch da unterhaltet wichtiger als der Unterricht?“, schnauzte unser Lehrer los. Ja ne ist klar, alle reden und ausgerechnet wir bekommen ärger. Typisch Lehrer. Eld stand auf und salutierte, so wie wir es in der Trainingseinheit immer gemacht hatten. „Marco kann nichts dafür, Mr. Angelus. Ich habe ihn nach Tinte gefragt.“
„Und wo ist deine Tinte?“
„Alle, Sir!“
Der Mann vor der Tafel schüttelte den Kopf und schenkte mir dann ein kleines Lächeln. „Dann seien Sie doch wirklich so lieb und geben Ihren unvorbereiteten Klassenkameraden was ab“, meinte er und drehte sich wieder zur Tafel. Das hatte ich ich doch eh vor, bevor er uns unterbrochen hatte. „Hier“, murmelte ich und reichte ihn mein Tintenfass nach hinten.“ Er grinste und bedankte sich, anscheinend eher weniger betroffen von der Schikane unseres Lehrers.
Wie es für eine Engels Schule nicht anders zu erwarten war, hatten wir auch Religion, doch die Lehrerin war weniger streng als Mr. Angelus, denn Carla stand hinter dem Pult... Oder sollte ich besser Mrs. Jäger sagen? „Guten Morgen“, rief sie und bekam ein eher lustloses „Guten Morgen, Mrs. Jäger“ zurück. „Ach du meine Güte. Eure Laune liegt ja auch schon wieder im Keller. Haben wir etwa schon wieder Montag?“ Ich hätte nicht gedacht, dass jemand auf diese ganz offensichtlich rhetorische Frage eine Antwort geben würde, doch Aurou sprengte mal wieder alle meine Erwartungen. „Nein, Mrs. Jäger. Es ist Mittwoch“, sagte er und löste damit ein genervtes stöhnen bei so gut wie jedem Anwesenden aus. „Ach echt? Das hätte ja jetzt mal niemand gedacht. Danke für die Info, Aurou“, fauchte Petra genervt und legte ihren Kopf auf die Tischplatte. Einige lachten, doch Carla sorgte mit einer merkwürdigen Glocke dafür, dass wieder Ruhe einkehrte, bevor sie mit dem Unterricht anfing. Ich hatte eigentlich keinen Bock auf Religion, weil Religion hinter der Mauer eine Art Sekte zur Huldigung der Mauern Maria, Rose und Sina war, doch hier schien es völlig anders definiert zu werden. Carla erzählte über verschiedene Götter und Bräuche, was wenigstens interessant war. Auch
über die Entstehung der Engel lernten wir was. „Am vierten Tage erschuf Gott die Gestirne und an diesem Tag waren auch die ersten Engel geboren“, so erklärte sie es jedenfalls. Ich war nicht wirklich überzeugt davon. Dieser Gott sollte mir erst mal Hallo sagen, bevor ich an ihm glauben würde, aber jeder kann ja zum Glück glauben woran er möchte. Der Unterricht war zwar interessant und ich wusste, dass er notwendig war, wenn ich Jeans Schutzengel werden wollte, aber gerade hätte ich alles für eine Mütze Schlaf getan.

In der Mittagspause saß ich wieder mit Eld, Aurou, Petra und Gunther an einen Tisch, doch wenn ich nicht gerade kurz davor war einzuschlafen, schweiften meine Gedanken die ganze Zeit über zu Jean und die Bilder meines Leblosen Körpers tauchten vor meinen geistigen Auge auf. Warum musste das alles ausgerechnet mir passieren? Der Appetit war mir vergangen und so schob ich mein Tablett von mir weg, nur um dann meinen Kopf auf die Tischplatte sinken zu lassen. Nur für einen kurzen Moment die Augen schließen, das wird schon nicht schaden...

„Marco, wach auf!“ Ich schreckte hoch und sah Petra neben mir stehen, ihre Hand auf meiner Schulter. Der Speisesaal war außer uns beiden so gut wie leer. „Wir müssen wieder zum Unterricht!“, rief sie und zog mich eiligst mit. Mit grausen wurde mir bewusst, dass wir wieder bei Mr. Angelus hatten und schon viel zu spät dran waren. Wir rannten förmlich durch den langen Flur zu dem Trakt mit den Klassenzimmer, Petra stieß die Tür zum entsprechenden Raum auf und gemeinsam stolperten wir in Mr. Angelus Stunde. „Du schon wieder“, murmelte er und musterte mich dabei abwertend. „Ihr seid viel zu spät!“ Viel zu spät? Die Stunde hatte erst vor zwei Minuten begonnen. „Das war meine Schuld! Ich bin während der Mittagspause eingeschlafen und Petra hat mich nur geweckt“, sagte ich, woraufhin unser Lehrer die Kreide hinlegte und kurz lachte. „Euer Teamgeist gefällt mir. Wie ihr Heute alle für den jeweils anderen in die Bresche springt und die Schult auf euch nehmt. Ihr benehmt euch ja schon wie richtige Engel“, meinte er und stand auf einmal direkt vor mir. Hatte der sich teleportiert oder was? Ich sprang vor Schreck zurück und unser Lehrer wurde schlagartig wieder ernst. „Marco, du bleibst nach der Stunde einmal kurz hier. Und jetzt setzt euch!“ Oh verdammt! So was konnte auch wirklich nur mir passieren. Wir setzten uns schnell auf unsere Plätze und Mr. Angelus fuhr mit dem Unterricht fort.

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