Kapitel 6

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„Unerlaubtes Verlassen des Geländes, Missachtung der Regeln, das Hineinziehen von Unschuldigen und zu guter letzt Missbrauch meines Vertrauens“, meinte Mr. Angelus aufgebrach und lief neben mir und Kuchel auf den Flur entlang. Meine Güte, musste der immer so übertreiben? Ich sah meine Ausbilderin hilfesuchend an und sie nickte mir nur aufmunternd zu. „Mister Angelus“, begann sie ruhig, „Marco hat gegen eine einzige Regel verstoßen und dabei aus einen rein natürlichen Impuls gehandelt. Finden sie nicht, dass sie etwas streng zu ihm sind?“ Kuchel war wirklich meine Rettung. Erst war sie auch sauer auf mich, aber im Gegensatz zu diesen Lehrer machte sie aus einer Mücke keinen Elefanten und verzieh mir schnell. „Mrs. Ackerman, ich bitte Sie. Sehen Sie nicht, wie sehr uns diese Kinder auf der Nase herum tanzen? Sie sind einfach zu gutmütig!“
Ich musste mir Mühe geben nicht die Augen zu verdrehen, was gar nicht mal so leicht war und die wütenden Blicke dieses Psychopathen, die sich direkt in meine Seele zu brennen schienen, halfen dabei nicht wirklich. „Er ist nicht tauglich um ein Schutzengel zu werden, genauso wie viele andere in seiner Klasse“, meinte er, doch Kuchel schüttelte nur den Kopf. „Ich tue mir diese Diskussion nicht länger an. In der Vergangenheit gab es schon viele Beschwerden von Azubis über Sie, Mr. Angelus, also zügeln Sie ihre Zunge! Marco ist durchaus dazu in der Lage Jeans Schutzengel zu werden und das wird er bei seiner Abschlussprüfung auch beweisen!“, meinte Kuchel hoch erhobenen Hauptes, während mein Lehrer und ich sie erstaunt ansahen. Er räusperte sich, murmelte ein „Wie auch immer!“ und verschwand dann schnellen Schrittes. Ich drehte mich zu der Schwarzhaarigen und bedanke mich bei ihr dafür, dass sie mich aus dieser Situation gerettet hatte. „Du brauchst dich nicht zu bedanken, aber sieh besser zu, dass du zum Unterricht kommst. Sonst meckert dieser Trottel wieder“, meinte sie und zwinkerte mir zu. Ich grinste und rannte los. Nein, noch einmal würde ich sicher nicht zu spät kommen.

„Petra, nimm deine Griffel von meiner Decke. Ich will schlafen!“, murrte Eld und versuchte sich seine Decke über den Kopf zu ziehen, doch Petra zerrte am anderen Ende daran. „Heute wird nicht geschlafen. Raus aus den Federn!“ Wir anderen saßen auf Petras Bitte bereits in einem Kreis auf den Boden, auch Eld gesellte sich schließlich, wenn auch nicht ganz freiwillig, zu uns, nahm allerdings seine Decke mit und hüllte sich darin ein. „Kannst du uns jetzt mal sagen, wofür du uns vom schlafen abhällst“, murrte Gunther, ebenso wenig begeistert wie Eld, doch Petra lächelte weiterhin. „Ich dachte wir nutzen die Nacht um uns besser kennenzulernen“, verkündete sie, doch bekam nicht die gewünschte Reaktion. „Wir kennen uns doch schon“, meinte Aurou, als plötzlich Blut aus seinem Mund spritzte und er kurz aufschrie. „Ja, wir vier kennen uns, aber mit Farlan, Isabel und Marco sind wir noch nicht wirklich vertraut und wann hörst du endlich auf dir andauernd auf die Zunge zu beißen?“, zischte die Rothaarige aufgebracht, während Aurou sich den Mund ausspülte. Die anderen kicherten und ich versuchte den Durchblick zu behalten. „Also, Farlan und Isabel... Ich habe mich schon die ganze Zeit gefragt, ob ihr zusammen seid“, meinte Petra grinsend. Die beiden sahen erst sich und dann die Kleinere leicht angewidert an. „Nein!“, riefen sie aufgebracht. „Ja ja, das sagen sie alle“, murte Eld, dass er jetzt lieber im Bett wäre, konnte man ihn an der Nasenspitze ansehen. „Du hörst jetzt sofort auf so ein Stimmungskiller zu sein, oder ich werfe dich höchstpersönlich in die Hölle!“, kam es von Petra und ich musste zugeben: So langsam machte sie mir Angst. „Und du, Marco? Wie sieht's bei dir im Paradies aus?“, fragte Isabel zwinkernd, doch ich verstand die Frage nicht wirklich. Was für ein Paradies? „Sie fragt nach deinem Liebesleben“, erklärte Farlan, der mir meine Ahnungslosigkeit wohl angesehen hatte. Mein Liebesleben? Ja, wie sah es da überhaupt aus? „Ich war noch nie wirklich verliebt“, meinte ich, die Reaktionen abwartend. „Du warst noch nie verliebt?!“, riefen sie schon fast wie aus einen Mund. War das etwa so ungewöhnlich? „Das kann doch gar nicht sein. Du bist fünfzehn Jahre alt,  irgedeine Herzensdame musst du doch gehabt haben! Jetzt denk bitte noch mal scharf nach!“, bat mich Petra, ich kam der Bitte nach, doch mir fiel nichts ein. „Heißt das du bist noch Jungfrau?“, fragte Aurou mit einen spöttischen Unterton, doch bevor ich zu einer Antwort ansetzten konnte, ging Petra dazwischen. „Du bist doch selber noch Jungfrau, Aurou!“ Isabel lachte, während ich spüren konnte, wie mir die Farbe in die Wangen schoss. Warum mussten wir uns ausgerechnet über sowas unterhalten? Ich überlegte noch einmal, ob es da nicht mal irgendein Mädchen gab, das mir auf die eine oder andere Weise gefiel, doch statt einer solchen Erinnerung sah ich vor meinen geistigen Auge meinen Traum von letzter Nacht. Jean und ich im April Schnee, wie er über meine Lippen strich und schließlich... Ich brauchte nicht studiert zu haben um zu schlussfolgern was passiert wäre, wenn Kuchel uns nicht gestört hätte. Aber warum träumte ich sowas? „Marco, ist alles gut? Du bist total rot im Gesicht“, holte mich Farlan aus meinen Gedanken. Ich sah in die Runde und merkte, dass mich alle anwesenden anstarrten. „Hast du dich doch an jemanden erinnert? Gab es da doch jemanden?“, erkundigte sich Petra und auch die anderen musterten mich neugierig. „Halt, halt, halt! Hört auf den armen zu bedrängen, seht ihr nicht wie unwohl er sich fühlt? Komm, Marco, gehen wir schlafen“, meinte Eld und half mir hoch. Ich war ihn dankbar dafür, dass er mir aus dieser Lage heraushalf, auch wenn ich wusste, dass er das nur tat, um selber schlafen gehen zu können. Ich legte mich ins Bett, zog mir die Decke über den Kopf und hörte wie auch die anderen nach und nach schlafen gingen.

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