Kapitel 7

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Der Unterricht in den folgenden Tagen beschäftigte sich, wie von Kuchel bereits angekündigt, hauptsächlich mit der Vorbereitung auf die Expedition. Der Unterrichtsstoff der mich am meisten interessierte war der des teleportierens. Endlich würde ich mich auch weg schnipsen können und wäre nicht mehr auf andere angewiesen. „Die Technik des teleportieren bedarf äußerste Konzentration. Ihr müsst euch auf euer Ziel fokussieren, es im Kopf behalten und unter keinen Umständen dürft ihr euch ablenken lassen, sonst landet ihr noch am anderen Ende der Welt, mitten im Nirgendwo, wo ihr gar nicht sein wollt“, erklärte Carla. Wir übten es über zwei Tage hinweg und ich hätte nie gedacht, dass es so schwer ist sich auf eine einzige Sache zu fokussieren.
„Klappt es, Marco?“, fragte Erens Mutter und ich zuckte mit den Schultern. „Geht so“, murmelte ich und spielte nervös mit meinen Finger. „Du musst deinen Kopf frei bekommen, wenn du willst, dass es klappt, also egal was für Gespenster dir gerade im Kopf herum spuken, versuche sie zu vertreiben“, meinte sie. Gespenster? Immer wenn ich meine Augen schloss sah ich Jean, wie er vor meiner Leiche stand und dieser Ausdruck in seinem Gesicht, da klappte das mit der Konzentration nicht wirklich. „Wenn du zu viel über Jean nach denkst, wirst du vielleicht deine Prüfung nicht bestehen und wer kümmert sich dann um ihn?“, fragte Carla leicht besorgt. Es machte mir etwas Angst, dass sie meine Gedanken zu lesen schien. 'Okay, Marco! Fokussiere dich auf einen einzigen Ort! Das kann doch nicht so schwer sein!', dachte ich mir und schloss meine Augen.
„Marco?“
'Raus aus meinen Kopf, Jean. Ich versuche mich hier gerade zu konzentrieren.'
„Bist du etwa-“
'Ja, ich bin tot, aber du bist nicht alleine, das verspreche ich dir!'
„Marco“
Ich öffnete die Augen und ließ mich entmutigt auf meinen Platz sinken. Das hatte doch alles keinen Sinn. „Jetzt hör mal zu“, meinte Carla da plötzlich, „du musst wissen, als ich meine Ausbildung zum Schutzengel gemacht habe, da wurde ich ebenfalls von Mr. Angelus unterrichtet und wer fast eine Woche mit ihm aushält, für dem ist das erlernen der Teleportation ein Kinderspiel, also verliere den Mut nicht!“ Sie strubelte mir durch die Haare und ging weiter. Eigentlich hatte sie ja recht, wer über einen längeren Zeitraum mit diesen Mann auskommt, der kann eigentlich alles meistern. Seufzend raffte ich mich auf und übte weiter.

Nach weiteren drei Stunden schaffte ich es dann irgendwie meinen Kopf frei zu halten und auch das teleportieren bekam ich so langsam hin, weshalb Carla mir die nächste Aufgabe erteilte: „Dann teleportiere dich doch mal bitte in die Bibliothek, besorge das Buch "Marco Polo: Bis ans Ende der Welt" und bring es mit hierher zurück.“ Sie erklärte mir wo genau das Buch steht und ich versuchte mich auf diesen Punkt zu fokussieren, was auch funktionierte. Kurz darauf fand ich mich an der richtigen Stelle in der Bibliothek wieder, also hatte es funktioniert! Vielleicht war ich ja doch kein Hoffnungsloser Fall. Vorsichtig nahm ich das Buch aus dem Regal und wollte schon wieder "gehen", als ich ein leises Gemurmel von der Gegenüberliegenden Seite des Bücherregals hörte. „Was für Idioten“, knurrte eine Stimme. „Denken sie könnten die Menschheit vor den Titanen retten! Lächerlich!“ Leise schob ich ein paar Bücher zur Seite und sah durch den dadurch entstandenen Spalt auf die andere Seite des Regals. Mr. Angelus lief den Gang auf und ab, ein in schwarzes Leder gebundenes Buch fest in seiner Hand. „Ich werde es ihnen zeigen! Ich werde es ihnen allen zeigen!“ Ich sage es gerne noch mal: Der Typ hat nen Vollschaden. Aber was redete er da überhaupt? Ich konzentrierte mich so sehr auf meinen Lehrer, dass mir plötzlich das Marco Polo Buch aus der Hand rutschte und mit einen dumpfen Knall auf dem Boden aufkam. In diesem Moment hätte ich mich wirklich selbst Ohrfeigen können. „Wer ist da?!“, hörte ich den Psychopathen rufen und geriet etwas in Panik. Schnell schnappte ich mir das Buch und wollte mich weg teleportieren, als sich eine Hand auf meine Schulter legte. „Ich hätte wissen müssen, dass du es bist“, knurrte eine vertraute Stimme. Ich drehte mich um und sah meinen Lehrer entschuldigend an. „Verzeihen Sie bitte, aber ich muss Mrs. Jäger ein Buch bringen. Ich wollte sie auf gar keinen Fall stören.“ Wieder wollte ich gehen, doch er umfasste mein Handgelenk und drückte fest zu. „Wie viel hast du von dem mitbekommen was ich gerade gesagt habe?“, fragte er mit einen drohenden Unterton. Ganz ehrlich, ich hatte nichts von seinen Gelaber wirklich verstanden, aber wenn er so reagierte, schien es was wichtiges zu sein. Was der Typ wohl in Schilde führte? „Ich habe gar nichts mitbekommen und jetzt lassen sie mich bitte los, sonst bekomme ich noch Ärger!“, meinte ich, doch der Griff um meinen Handgelenk schien sich nur noch zu verstärken. „Dürfte ich Sie freundlichst darum bitten meinen Schüler los zu lassen?“ Mr. Angelus und ich sahen gleichzeitig zur Seite und erblickten Carla, die plötzlich neben uns stand. Mein Lehrer ließ mich zögerlich los und verschwand dann schnell. „Danke“, murmelte ich, doch sie winkte ab. „Nicht dafür. Ich hab mir nur sorgen gemacht, weil du nicht wieder gekommen bist. Ich dachte schon du wärst ausversehen irgendwo am Nordpol gelandet.“ Sie lachte und sah sich dann mein Handgelenk an. Die Haut war durch den Klammergriff ganz rot und es tat auch etwas weh, mehr aber auch nicht. „Was war denn eigentlich los?“, fragte sie und ich erzählte ihr was ich gesehen und gehört habe. Von seinem komischen Gebrabbel bis zu dem Punkt an dem er mich erwischt hat. „Der Typ hatte schon immer eine Vollmeise“, sagte meine Ausbilderin und sah mich besorgt an. „Versuche ihn bitte so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen. Irgendwie habe ich ein ganz ungutes Gefühl dabei.“ Ich nickte und zusammen verließen wir die Bibliothek.

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