Kapitel 2

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Am nächsten Morgen stehe ich mit den ersten Sonnenstrahlen auf. Die Luft riecht nach Blumen und verspricht wunderschön zu werden. Glücklich steige ich aus dem Baum runter und verwische meine Spuren, damit kein anderer Gestaltwandler ausversehen über mein Versteck stolpert. Sollte irgendjemand gezielt suchen, würde er es jedoch trotzdem finden, dem bin ich mir durchaus bewusst.

Wieder einmal streife ich durch den Wald und genieße einfach das Leben. Es wird Zeit, dass ich mal wieder eine entfernte Stadt der Menschen besuche, um mir dort das ein oder andere Lebensmittel zu besorgen. „Zu stehlen meinst du. Wieso nennst du es nie beim Namen?", will mein inneres Tier wissen und verdirbt mir damit beinahe die Laune. „Weil es nicht richtig ist zu stehlen. Vielleicht will ich mir ja auch nur einreden, dass ich ein netter Mensch bin." „Menschen. Immer macht ihr euch so viele Gedanken.", seufzt die Raubkatze in meinem Kopf, lässt mich dann aber glücklicher Weise in Ruhe.

Mein Frieden währt jedoch nicht lange, als ich bemerke, dass kein einziger Vogel singt. Der Wald wirkt wie ausgestorben und sofort bin ich in Alarmbereitschaft. Leise schleiche ich weiter und versuche auf alles gleichzeitig zu achten. Ein leises Wimmern lässt mich zusammen zucken und herum wirbeln.

Unter einem Nadelbaum, eng an den Stamm gepresst, kann ich einen kleinen Jungen erkennen. Er sieht zerschunden aus und völlig am Ende seiner Kräfte. Die dunkelbraunen Haare stehen ihm wirr vom Kopf ab und er hat verquollene Augen, wahrscheinlich vom vielen weinen. Seine ausgemergelte Gestalt steht nur in einem viel zu großen T-Shirt, welches schon lange die Farbe von Gras und Dreck angenommen hat, halb unter den Ästen des Baumes verborgen.

Langsam und vorsichtig bewege ich mich auf ihn zu, damit ich ihn nicht erschrecke. Als der Wind plötzlich dreht wird er plötzlich ruhig und seine Augen starren in die meinen. Ein Gestaltwandler, wie ich an dem goldenen Ton erkenne. „Ich will dir nur helfen.", flüstere ich ihm zu und kann sehen, wie er misstrauisch die Augen zusammen kneift. Ich will gar nicht wissen, was ihm zugestoßen ist. Aber ich muss ihm helfen. Schließlich ist er nur ein Kind. Um ihn zu beruhigen schnurre ich, wie es bei Raubkatzen so üblich ist. Dass er ebenfalls eine ist habe ich bereits gerochen. Ein Leopard, wenn mich meine Sinne nicht täuschen. Und mein Plan funktioniert.

Nach Trost suchend kommt der kleinen Junge sogar auf mich zu. Ich kann ihn umarmen und sogar hochheben. Er muss vollkommen verstört sein, wenn er sich von einer fremden Frau einfach helfen lässt. Und als der Wind erneut dreht ahne ich auch warum. Wölfe. Eines der gemeinsten Rudel in der näheren Umgebung. Gleichzeitig haben der Junge und ich uns versteift. „Jagen sie dich?", frage ich ihn flüsternd und überlege fieberhaft wie ich uns aus dieser Situation unbeschadet heraus hole. Sein vorsichtiges Nicken lässt jedoch all meine Hoffnungen schwinden. Egal wie stark ich unsere Spuren verwische, ein jagendes Rudel würde dem kleinsten Hauch folgen.

„In welche Richtung liegt dein Rudel?", will jetzt wissen. Wenn wir es bis dorthin schaffen, dann könnten die uns beschützen. Auch wenn ich Gefahr laufe wieder in Gefangenschaft zu geraten. „Das Wohl des Jungen steht an erster Stelle. Kinder müssen beschützt werden." Ausnahmsweise sind wir einmal vollkommen einer Meinung. Schützend halte ich den Jungen im Arm und laufe in die Richtung los, in welche er gezeigt hat. Süden. Und zwar so schnell ich kann. Doch mir wird bereits nach wenigen Minuten klar, dass wir es nicht schaffen können. Dafür bin ich mit meinem Gepäck einfach nicht schnell genug.

„Ich habe eine Idee, aber sie wird dir nicht gefallen.", murmelt eine leise Stimme in meinem Kopf und sofort beschleicht mich ein schlechtes Gefühl. Doch ich höre ihr zu und bin schließlich einverstanden. Einen besseren Vorschlag habe ich nämlich auch nicht. Vor einem großen Baum stoppe ich schließlich und setzt meine Fracht auf den Boden. „Du musst jetzt ganz stark sein, okay? Wir sind nicht weit entfernt von deiner Familie, aber ich bin leider einfach nicht schnell genug.", flüstere ich dem Jungen zu und ziehe mein Kleid aus, welches ich ihm im nächsten Moment um den Körper wickel, um seinen Duft mit meinem zu überdecken. Dann schiebe ich ihn mehr als das er selbst klettert den Baum hinauf.

„Bleib hier und sage keinen Ton. Und komm erst wieder raus, wenn die Vögel wieder zwitschern.", weiße ich ihn an und warte darauf das er nickt, bevor ich wieder herunter klettere. Zum ersten Mal bin ich darüber froh, dass ich mir die Haare in den letzten acht Jahren kein einziges Mal geschnitten habe. Die meiste Zeit sind sie eher hinderlich als alles andere, aber da ich jetzt vor habe einem fremden und wahrscheinlich feindseligen Rudel nackt gegenüber zu treten freue ich mich eher über meine langen dunkelroten Haare, welche mir bis zum Oberschenkel reichen.

Mehrmals gehe ich um den Baum herum und das in einem immer größer werdenden Abstand. Selbst als hinter mir die ersten Wölfe aus dem Wald kommen und stehen bleiben, als sie mich sehen, tue ich so als würde ich meine Sachen suchen. So sollte es möglich sein, dass ich mit meinem Geruch den des Jungen vollkommen überdecke und trotzdem eine glaubhafte Geschichte erzählen kann. „Hoffentlich sind die Wölfe so blöd wie man sagt.", murmelt die Stimme in meinem Kopf und ich muss mir verkneifen eine Miene zu verziehen. Das ist kein guter Zeitpunkt für Späße!

Als schließlich um die acht Wölfe hinter mir versammelt sind versteife ich mich plötzlich und drehe mich langsam und mit erhobenen Händen um, als hätte ich sie gerade erst bemerkt. Dabei achte ich darauf, dass meine Haare mich auch an den wichtigsten Stellen bedecken. „Hab ihr zufällig ein Kleid hier herum fliegen gesehen?", rufe ich ihnen quietschfiedel zu, als hätte ich sonst keine Sorgen. Wie beispielsweise nackt vor einem Rudel feindlicher Wölfe zu stehen. „Oder einen völlig verängstigten Jungen in einem Baum zu helfen." Vielen Dank für deine aufmunternden Worte, gebe ich gedanklich zurück, verziehe aber keine Miene als ich lächelnd auf das kleine Rudel zugehe, welches immer mal wieder durch ein Mitglied erweitert wird.

Das Fell der Wölfe reicht von braun über grau zu schwarz und allen möglichen Abstufungen dazwischen. In diesem Moment verwandelt sich einer der Wölfe zurück. Kein sehr großer Mann, wir sind ungefähr gleich groß, mit braunen Haaren und einer neuerdings modernen Frisur. Obwohl ich Männer mit einem Dutt am Hinterkopf einfach nicht ernst nehmen kann. „Ich bin das Alphatier des Rudels. Sag, bist du ganz alleine hier?" Das bösartige Funkeln in seinen Augen verheißt nichts Gutes, trotzdem spiele ich meine Rolle weiter.

„Ja bin ich. Ich habe mich verlaufen." „Und wie lange irrst du bereits herum?" „Seit drei oder vier Tagen. Ich weiß es gar nicht genau." Man konnte sehen wie es in seinem Gehirn arbeitet. „Jetzt haben wir ihn.", meint mein Tier, welchem ich nur zustimmen kann. Nach drei bis vier Tagen ist man entweder zu weit weg von seinem eigenen Rudel um gefunden zu werden oder sie suchen einen überhaupt nicht. Und in dem Moment, wo das Alphatier dies begreift lässt er seine nette Fassade augenblicklich fallen.

Ein Fingerschnippen reicht und das Rudel hat mich in Bruchteilen einer Sekunde umzingelt. Ich hätte nicht den Hauch einer Chance gehabt. Dummerweise behalte ich die mich umringenden Gestaltwandler so sehr im Blick, dass ich die Faust des Alphatiers nicht kommen sehe. Nach einer Schmerzexplosion wird es dunkel, wofür ich auch ein bisschen dankbar bin. Lange hätte ich nicht mehr vorspielen können das ich nett und hilflos bin. 

Gefährtin des AlphasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt