Während Natalya die Gegenstände heraus sucht, lasse ich meinen Blick schweifen.
Es ist eine kleine Hütte aus Holz, welche jedoch alles bietet, was man zum Leben braucht. Eine kleine Kochecke, zwei Türen die wahrscheinlich in Bad und Schlafzimmer führen und eine Tischgruppe, an welcher ich gerade sitze. Den restlichen Platz nimmt Bastien mit seinem Spielzeug ein. Schnell ist Natalya mit den benötigten Sachen zurück und beginnt meine Haare zu entwirren.
"Was ist heute eigentlich? Ich habe schon ewig keinen Anlass mehr gehabt um vorzeigbar zu sein.", murmel ich leise und immer noch ein wenig wütend auf Lucien. "Wir hatten eine Geburt im Dorf. Außerdem ist Titus aufgewacht. Das sind gute Gründe zu feiern." Mich beschleicht das Gefühl, dass das nicht alles ist, doch ich kann Natalya nicht verübeln das sie mir keine Rudelgeheimnisse verrät.
Die restliche Zeit über Schweigen wir, bis Natalya meine Haare komplett entwirrt hat. "Wir lange hat es eigentlich gedauert um so lange Haare zu bekommen?" "Zehn Jahre ungefähr." "Und du willst sie jetzt wirklich abschneiden?" Natalyas ruhige Frage lässt mich darüber noch einmal nachdenken. Eigentlich will ich sie behalten, doch sie sind in der Form einfach zu unpraktisch. "Schneid sie doch nur bis zur Taille ab.", kommt ein gemurmelter Vorschlag von der Tür. Erschrocken wende ich mich um. Lucien! Wer auch sonst?
"Später kannst du immer noch mehr abschneiden. Oder traust du dich nicht?" Das Funkeln in seinen Augen spricht Bände und am liebsten wäre ich ihn jetzt angegangen, doch vor Zeugen macht man einen Alpha nicht fertig. Das muss noch warten. "Mach es einfach so.", knurre ich und wende mich von Lucien ab. Nun ist auch Bastien aufgefallen, dass das Alphatier zurück ist und springt an ihm hoch. "Onkel Luc, Onkel Luc! Kann ich dir was Tolles erzählen?", ruft er freudig und beginnt sogleich eine Geschichte zu erzählen. Dieser kann ich jedoch nicht folgen, da meine Gedanken von der Tatsache abgelenkt werden, dass ich dem Alphatier Unrecht getan habe.
"Ein Glück hab ich in deiner Gegenwart noch nichts Böses über ihn gesagt.", murmel ich Natalya leise zu, als mir zum ersten Mal die Ähnlichkeit zwischen den beiden bewusst wird. Die Angesprochene zieht fragend eine Augenbraue nach oben. "Hast du denn schon so viel worüber du dich aufregen kannst?", fragt sie mit einem breiten Grinsen nach und sieht mich mit einer erhobenen Augenbraue an.
"Was nicht ist kann ja noch werden.", grummele ich zurück und lasse mir widerstandslos die Haare schneiden, auch wenn mir bei jedem Geräusch der Schere ein weiterer Schauer über den Rücken läuft. Mein Vertrauen in andere ist offenbar nicht besonders groß. Mein mulmiges Gefühl wird immer größer, bis Natalya einen Schritt zurück tritt. Wortlos zeigt sie zum Badezimmer, wo sich scheinbar ein Spiegel befindet, indem ich mich betrachten kann.
Ohne einen Blick auf Lucien zu werfen verschwinde ich hinter der angegebenen Tür. Neben einer Dusche, einer Toilette und einem Waschbecken befindet sich auch ein bodenlanger Spiegel im Raum. Vor diesen stelle ich mich und betrachte mich das erste Mal seit Jahren eingehend von Kopf bis Fuß.
In den letzten Jahren bin ich ganz schön gewachsen. Einen Meter siebzig bin ich inzwischen bestimmt. Zusätzlich bin ich unglaublich dünn. Durch meine letzten Erfahrungen habe ich einiges an Gewicht eingebüßt. Das Kleid hängt förmlich an mir runter, bemerke ich und muss unweigerlich die Stirn runzeln. Was meine Aufmerksamkeit auf mein Gesicht lenkt.
Offenbar habe ich in den letzten Jahren Sommersprossen dazu gewonnen. Und durch die vielen Stunden in der Sonne hat mein Körper eine gesunde Bräune bekommen, während meine Haare von einem furchtbaren fuchsrot in ein viel schöneres rotblond gewechselt haben. Am meisten stechen jedoch meine grünen Augen hervor. Die fand ich an mir auch immer am Schönsten. So dunkelgrün wie die Nadeln einer Tanne im Sommer, hat meine Mutter früher immer gesagt. Die einzig gute Erinnerung die ich an Sie habe. Ein Klopfen an der Badezimmertür reißt mich aus meinen Erinnerungen.
"Alles okay bei dir?", dringt Natalyas Stimme durch die geschlossene Tür. "Ja alles gut. Kann ich mir einen Haargummi von dir leihen?", rufe ich zurück und beschließe, dass wenn ich schon vorzeigbar sein soll, ich es dann auch gleich richtig mache. "Ja sicher. Bedien dich einfach!" Mit geschickten Handgriffen flechte ich mir auf der linken Seite die Haare bis in den Nacken, um sie dann auf der rechten Seite über meine Schulter nach unten zu flechten. Zufrieden mit dem Ergebnis verlasse ich schließlich das Bad.
Draußen warten schon Natalya, Bastien und Lucien ordentlich gekleidet. Offenbar sind Geburten wirklich ein großes Thema in diesem Rudel. Die Gestaltwandlerin drückt mir wortlos ein weiteres Kleid in die Hand und scheucht die anderen Beiden nach draußen, damit ich mich umziehen kann. Ein schwarzes Kleid ersetzt nun das grüne. Überraschender Weise passt es viel besser und schmiegt sich wunderbar an meine wenigen Kurven an Hintern und Brust an, die selbst meine unfreiwillige Diät nicht wegbekommen hat. Schuhe trage ich keine, aber das ist bei Gestaltwandlern sowieso unüblich. Zufrieden mit meinem Aussehen verlasse ich die Hütte. Wenn jetzt noch jemand etwas an mir auszusetzen hat, dann soll er woanders hinsehen!
Draußen empfängt mich Lucien, welcher mit seinem blauen Hemd und einer kurzen schwarzen Hose mal wieder verboten gut aussieht. Auch er trägt keine Schuhe, was mich mehr erleichtert als ich zugeben würde. "Die beiden sind schon vor gegangen. Bastien ist viel zu aufgeregt um noch warten zu können. Wir hatten in letzter Zeit nicht allzu viel zu feiern.", gibt der Alpha mir auf meine unausgesprochene Frage hin eine Erklärung. Still gehen wir nebeneinander her, bis wir am Rande der Hütten zu einer etwas größeren Feuerstelle kommen.
Hier haben sich schon einige Rudelmitglieder versammelt, da das Feuer bereits brennt und am Rande auf mehreren Tischen Essen bereit steht. Bei dem Anblick der verschiedenen Salate und des Fleisches, welches an Spießen über dem Feuer hängt, läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Da bereits einige am Essen sind lasse ich Lucien einfach stehen und schlendere zum Buffet, um dort zumindest einen Teil meines Hungers zu stillen. Bei den Salaten treffe ich den Arzt, von dem ich noch immer nicht den Namen kenne.
"Ich bin übrigens Izzy.", sage ich und strecke dem Gestaltwandler meine Hand hin, um diese zu schütteln. "James.", antwortet dieser Lachend und schlägt ein. "Dir scheint es wieder gut zu gehen. Es freut mich zu sehen, dass du hier bist." "Es scheinen sich alle gegen mich verschworen zu haben was das angeht.", gebe ich gespielt genervt zurück und zwinkere ihm zu. "Ja, ein schlechtes Gewissen können einem hier alle einreden. Lass dich nur nicht zu sehr einwickeln sonst hast du bald unglaublich viel zu tun hier."
Es ist zwar nicht die Absicht von James, aber am Rande spricht er genau das Thema an, mit welchem ich mich seit Stunden herum schlage. Bleibe ich hier oder gehe ich fort? Mein Panther hat sich auch seit Stunden nicht mehr gemeldet, um mich in dieser Frage zu unterstützen. Entweder sie ist vom Kampf noch erschöpft und ruht sich aus oder sie ist wegen irgendetwas sauer auf mich. Ich wüsste jedoch nicht warum.
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Gefährtin des Alphas
FantasyIsalie ist einst aus ihrem Rudel geflohen und lebt seitdem fernab jeglicher Zivilisation. Allein schlägt sie sich durchs Leben, bis ein schicksalhafter Tag alles verändert. Und die junge Gestaltwandlerin ihrer eigentlichen Bestimmung zuführt. Hallo...