Freitag, 08:21 Uhr
David war unruhig. Alles in ihm schrie danach sich umzudrehen, durch die Drehtür zu gehen, ins Auto zu steigen und so weit weg wie möglich zu fahren. Aber natürlich könnte auch das ihm keine Sicherheit mehr bieten. Nichts könnte das. „Kannst du mir bitte das Handtuch geben?" Kitties Stimme übertönte das monotone Rauschen der Dusche. Er wollte ihr das Handtuch über die Tür der Kabine reichen, aber sie öffnete sie und streckte die Hand danach aus. „Kittie..." schnell sah er zu Boden. Sie kicherte und schloss die Tür wieder. Kittie hatte darauf bestanden duschen zu gehen. Also waren sie zur nächsten Raststätte gefahren, nur etwa drei Kilometer von dem Waldstück entfernt. David hoffte dass sie die Straßensperren am Morgen wieder aufgelöst hatten, schließlich musste die Polizei davon ausgehen, dass er so schnell wie möglich weitergefahren war, nachdem sie das Hotel verlassen hatten. Dennoch war er keinesfalls entspannt. Er hatte in Windeseile geduscht und wartete nur noch auf Kittie. Die sich wie immer Zeit ließ. David versuchte sich zu beruhigen, strich sich fahrig die Haare aus der Stirn und sagte sich dass Kitties neues Aussehen ihnen einen kleinen Vorteil verschaffte. Die Frauen auf dem Parkplatz hatten sie ohne die Brille gesehen und wahrscheinlich mit ihrer Kapuze auf. Also suchten sie immer noch nach einem blonden Mädchen ohne Brille.
Kittie kletterte aus der Dusche, das Handtuch eng um ihren Körper geschlungen. Ihm wurde bewusst was für eine hübsche junge Frau sie war. Ihre schmale Hüfte zeichnete sich deutlich unter dem dunkelblauen Handtuch ab, Wassertropfen rannen ihre Unterschenkel hinab. Sie ging auf Zehenspitzen um nicht in die Pfützen auf dem Boden zu treten. Dabei bewegte sie sich mit einer Eleganz, die nicht zu dem schlichten Waschraum zu passen schien. David hatte Mühe seinen Blick wieder von ihr loszureißen.
Er sollte sie nicht so ansehen, nicht sie. Sie war seine kleine Kittie, wie eine Tochter für ihn. Sie begann ihre Haare zu bürsten, die sich widerspenstig in der Bürste verfingen. Dann nahm sie den Föhn aus der Reisetasche und drehte sich zu ihm um. „Föhnst du mich?" „Natürlich." Diese vertraute Geste beruhigte ihn sofort ein wenig. Hatte sie das gewollt? Hatte sie gemerkt dass er unsicher war, obwohl er es doch so gut hatte verbergen können? Sie gab ihm immer mehr Rätsel auf. Und er fragte sich warum sie tat was sie tat, warum sie dafür sorgen wollte, dass es ihm gut ging. War er ihr wirklich wichtig, war er der Vater für sie den sie sich wünschte? Oder war sie einfach nur auf ihn angewiesen und versuchte das Beste daraus zu machen? Kittie lächelte in den Spiegel, ihre Haare wehten um ihren Kopf wie ein seltsamer Heiligenschein. „Mein Geburtstag ist nächsten Montag." Er war so überrascht dass er beinahe die Haarbürste fallen ließ. „Warum hast du das nicht eher gesagt?" „Spielt doch keine Rolle... Ich will eh nichts..." murmelte sie.
Sie wollte ihm keine Umstände machen, natürlich. Kittie war es gewohnt nichts zu erwarten. Aber das konnte er so nicht hinnehmen. Als er in dem Alter gewesen war, war jeder seiner Geburtstage einer der wichtigsten, wenn nicht sogar der wichtigste Tag des Jahres für ihn gewesen und bei Emi war es genauso. „Warum nicht?" fragte er herausfordernd. „Naja, weil..." sie druckste herum. „Ich hätte schon gern was." meinte sie schließlich. Er lächelte sie auffordernd an. „Eine Torte wäre toll! Meine Freundin Hanna hatte eine Schokotorte zu ihrem 14. Geburtstag..." Eine Torte. Beinahe hätte er gelacht, das war einfach so typisch für sie. „Neue Kopfhörer wären auch super! Keine Ohrstöpsel, sondern richtige Kopfhörer, weißt du?"
Sie hatten alles wieder in die Reisetaschen gepackt und schleppten sie aus den Waschräumen hinaus. Um diese Zeit war es noch sehr ruhig in der Raststätte. „Ich gehe kurz für die Duschen bezahlen. Du bleibst am besten hier" er deutete auf den kleinen Aufenthaltsbereich mit zwei Sofas und einem Fernseher. „Möchtest du etwas von der Kasse? Etwas Süßes vielleicht?" War sie nicht vielleicht schon zu alt für Süßigkeiten? Vielleicht fand sie seinen Vorschlag kindisch? Auf einmal war er nicht mehr sicher wie er mit ihr umgehen sollte. Es war schon witzig. Dieses bekannte Terrain war so unbekannt geworden, nur weil sie älter wurde. Wahrscheinlich ging es allen Eltern irgendwann so. Aber Kittie freute sich und sagte sie wolle einen Schokoriegel. Es war also doch nicht ganz so dramatisch.
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Die Lügen in unseren Versprechen
General FictionKittie ist jung und verwickelt in illegale Geschäfte. David hat alles verloren und sucht verzweifelt etwas dass das Loch schließt, das der Tod seiner Tochter hinterlassen hat. Sie können sich genau das geben, was sie brauchen. Doch aus Freundschaft...