02. Oktober 2016

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There was nowhere to go, but everywhere

Jack Kerouac


Sonntag, 13:07 Uhr

„David?" Kittie war die gesamte Fahrt auffallend ruhig gewesen. Sie hatte das Radio hin und wieder lauter gedreht oder den Sender gewechselt, hatte ein wenig mitgesummt, aber sie hatte kaum gesprochen. „Hmm?" Jetzt saß sie auf der Wiese, im Schneidersitz, noch einen kleinen Rest ihres Salami-Brötchens in der Hand. Er hatte vorhin an einer Tankstelle gehalten und ihnen die Brötchen gekauft, sich aber nicht getraut länger mit Kittie dort zu bleiben. Er war nervös geworden. Es war erstaunlich, er, der sonst die Ruhe in Person war, hatte zum ersten Mal im Leben ein dauerhaftes Gefühl der Unruhe dass ihn geradezu verfolgte.

„Was wir machen ist eigentlich nicht so schlimm, oder?" fragte sie. Er wusste nicht recht wie er ihr antworten sollte. „Ich weiß nicht. Was denkst du?" Sie legte ihren Kopf schief, schien zu überlegen. „Ich denke nicht. Ich bin ja freiwillig hier. Entführung, so ein Quatsch. Die haben doch keine Ahnung." Sie presste die Lippen aufeinander. „Tut mir leid, Kittie. Es tut mir leid, dass du Angst hast, es tut mir leid dass..." Sie stand auf. „Ich habe keine Angst. Jetzt nicht mehr. Sollen die machen was sie wollen." Sie hob ihre Jacke vom Boden auf, die Jacke die er ihr gekauft hatte. „Ich bin nur sauer. Ich bin bei dir weil ich dich mag und jetzt wollen sie uns sagen dass es falsch ist. Diese Idioten!" sie schleuderte die Jacke in den Kofferraum. „Es ist fast so als dürfte ich nicht irgendwo glücklich sein. Als würden die mir wie immer alles wegnehmen wollen. Und ich will einfach einmal das behalten was mich glücklich macht..." ihre Stimme wurde leiser. David kannte sie gut genug um zu erkennen wie wütend sie wirklich war. Wütend und enttäuscht von der Welt, die ihr so überhaupt nichts zu bieten hatte, außer Kummer.

Er seufzte, gerne hätte er ihr einfach zugestimmt, aber er tat es nicht. Denn so einfach war das alles leider nicht. Es waren nicht einfach sie beide, die vor einer ungerechten Mentalität flohen. Sie waren keine Helden in dieser Geschichte und vielleicht hatte zumindest er auch kein Happy End verdient. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht wie das hier weitergehen soll, Kleines."

Kitties Blick änderte sich, wurde weicher. Und ein wenig hilfloser. Sie setzte sich neben ihn, in den Kofferraum. „Soll ich gehen?" Sie meinte es ernst, obwohl es absurd war. Sie waren hier, irgendwo an der Autobahn, kilometerweit von ihrem Zuhause entfernt. Sie war 14, sie hatte kein Auto und kein Geld, niemanden der sie nach Hause bringen würde. Aber scheinbar hatte er sie verunsichert, weil er selbst unsicher war. „Ich würde aber gern bei dir bleiben." Sie kuschelte sich an seine Schulter. „Wir könnten einfach noch ein bisschen weiter fahren, vielleicht irgendwo anders übernachten. Irgendwann interessiert es doch keinen mehr was mit mir ist. So war es immer. Ich könnte mit in deiner Wohnung wohnen. Oder wir suchen uns eine neue, in Berlin vielleicht? Ich wollte immer in Berlin leben. Da kann ich dann zur Schule gehen und du... Du machst eben dein Manager-Ding bei einer anderen Firma, oder? Klingt doch gut?" „Das klingt sehr gut."

„Ich könnte mir die Haare färben? Dann sehe ich bestimmt total anders aus. Evy meinte mal, dass mir dunkel sicher total stehen würde..." Sie brach plötzlich ab und starrte auf ihre Füße. Natürlich, sie hatte nicht beabsichtigt das anzusprechen. Sie sah so mitleiderregend aus. Er sollte sie beschützen, er sollte sein Versprechen halten, nicht so wie bei Emi. Er sollte nicht unsicher sein, er sollte jemand sein auf den sie sich verlassen konnte. Und das würde er sein. „Kittie, weißt du..." Sie sah auf, ihre Augen glänzten feucht, ihre Wangen waren gerötet. „...es ist nicht deine Schuld. Dass sie tot ist, ist nicht deine Schuld. Es ist die Schuld von diesem Kerl, der auch noch den Schneid besitzt, dir das in die Schuhe zu schieben. Aber sie kriegen dich nicht. Sie werden dich nicht finden, weder er noch die Polizei. Niemand wird dich finden, denn du bleibst bei mir. Vielleicht habe ich es nicht klar genug ausgedrückt..." er suchte nach den richtigen Worten „Ich habe dir versprochen bei dir zu bleiben. Sehe ich aus wie jemand der seine Versprechen nicht hält?" Sie schüttelte den Kopf.

Die Lügen in unseren VersprechenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt