She's been orbiting a dark star
for far too long,
caught in his deadly gravity.
But now she's finally free.
John M. Green
Montag, 19:54 Uhr
Kittie fror am ganzen Körper. Sie hätte sich bewegen müssen um warm zu bleiben, aber sie konnte ihr Versteck nicht verlassen. Sie konnte allerdings genauso wenig hierbleiben. Der Schmerz in ihrem Knöchel war dumpfer und drückender geworden, als würde jemand mit einem Hammer darauf schlagen. Immer und immer wieder. Aber bei der noch so kleinsten Bewegung war das Brennen zurück, das ihr die Tränen in die Augen trieb. Also öffnete sie den Rucksack und holte ihren Hoodie heraus. Vorsichtig zog sie die Jeansjacke aus, bloß das Bein nicht bewegen, und den Hoodie darunter an. Er roch nach dem Hotel, nach dem Waschmittel, das sie dort verwendeten. Sie setzte die Kapuze auf und wünschte jemand würde über ihren Kopf streicheln.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Feldes tauchte ein Hubschrauber auf. Kittie duckte sich tiefer ins Dickicht der Hecke, so dass die Zweige Striemen in ihrem Gesicht hinterließen. Die Angst vor der Polizei war irgendwie surreal. Seltsam, weil die sie doch nach Hause bringen konnten, das wusste sie. Und nichts wollte sie mehr als das. Aber trotzdem, sie machten ihr panische Angst. Was war mit David? Hatten sie einen Krankenwagen gerufen? Das mussten sie doch, oder? Oder nicht? Konnten sie ihn sterben lassen, ganz allein auf der Straße? Sie sollte bei ihm sein. Der Hubschrauber drehte über dem Wald ab und sie entspannte sich etwas.
Plötzlich schnitt ein gleißend heller Lichtstrahl durch die Büsche. Sie wollte aufspringen, aber der Schmerz hinderte sie daran. Also kauerte sie sich noch mehr zusammen und versuchte keinen Laut zu machen. Ihr Herz pochte, so laut, dass sie für einen Moment glaubte man könnte ihren Herzschlag hören. So ein Unsinn! Kittie hielt den Atem an. Geht weg, bitte, geht einfach weiter. Sie hörte das leise Rascheln hinter ihr, auf der anderen Seite der Hecke und wusste, dass sie sie entdeckt hatten. Das war die Polizei, die Suchtrupps und sie würden gleich direkt vor ihr stehen. ‚Die kriegen dich nicht.' Ihre Finger tasteten auf dem dunkeln Boden nach der Pistole. Gerade als sie sie aufhob tauchte die Frau auf.
Sie hielt eine riesige Taschenlampe in der Hand, eher eine Art Strahler und ihre Augen weiteten sich, als sie Kittie sah. Dann fiel ihr Blick auf die Pistole. Die blonde Frau ging einige Schritte rückwärts, ganz langsam und macht eine Handbewegung, die Kittie nicht deuten konnte. Waren da noch mehr? Gab sie ihnen ein Zeichen? „Gehen Sie weg!" schrie Kittie „Gehen Sie oder..." „Okay. Ich halte Abstand. Ganz ruhig, ja?" Ihre Stimme klang fast so aufgeregt wie Kitties eigene, nur nicht ganz so hysterisch. Irgendwie beruhigte sie das.
„Ich stelle mal die Lampe hier hin, ja? Dann blendet sie dich nicht." Kittie reagierte nicht, sie wusste nicht was sie tun sollte. Abdrücken? Sollte sie jetzt abdrücken? Ihre Finger zitterten, aber schlossen sich um den Abzug. Die Frau stellte den Strahler ins Gras und hob beide Hände. „Hallo, Katharina, ich bin Elisa." Wenn sie sie erschießen wollte, musste sie jetzt abdrücken! David hätte es getan. Aber sie war nicht David. Sie war Katharina.
David war vielleicht immer noch im Autowrack. Oder tot.
„Wo ist David? Er braucht einen Krankenwagen! Sie müssen einen Notarzt für ihn rufen!" „Das haben wir bereits, also meine Kollegen. Sie haben ihn von der Unfallstelle weggebracht und ein Arzt sollte inzwischen da sein. Er..." Kittie brach in Tränen aus. Vielleicht war es die Erleichterung, dass David noch lebte, dass die Polizei ihn nicht sterben ließ, vielleicht auch einfach die Gewissheit, dass es jetzt vorbei war, egal was sie tat. Selbst wenn sie die Polizistin erschießen würde, würden noch mehr kommen. Es lag nicht mehr in ihrer Macht. Es war vorbei.
„Es tut mir leid. Ehrlich, es tut mir leid was dir passiert ist, aber kannst du mir die Waffe geben?" Elisa kam ganz langsam wieder auf sie zu, wie um sie nicht zu verschrecken. Als wäre sie ein verängstigtes Tier. Kittie löste ihren eisernen Griff und ließ die Pistole fallen. Sofort schnellte die Hand der Polizistin nach vorn und Kittie schrie auf. Aber sie hatte nur nach der Pistole gegriffen und sie aus ihrer Reichweite befördert. Jetzt sah sie auch die anderen, sie tauchten hinter Elisa auf. Mindestens drei Männer in schwarzen Anzügen, mit Panzerungen. Und Waffen. „Katharina, wir würden dich gern mitnehmen, in Ordnung?" fragte sie sanft.
„Nein!" ihre Stimme war schrill und laut „Ich gehe nicht mit euch, ich gehe allein nach Hause, ich gehe mit David..." „Er ist sehr schwer verletzt! Und er hat ein schwerwiegendes Verbrechen begangen, bitte, Katharina. Wir bringen dich in Sicherheit." Elisa sah zu den Männern hinter ihr, die nun ihre verspiegelten Visiere nach oben schoben. Im Schein der Lampen erkannte Kittie ihre Gesichter. Echte, menschliche Gesichter. Aus irgendeinem Grund überraschte sie das. „Dein Vater wartet auf dich. Deine Mutter auch, denke ich zumindest, sie ist in einer Entzugsklinik, weißt du? Vielleicht kannst du sie aber dort besuchen."
Aber Kitties Gedanken kreisten nur immer in derselben Spirale. Um denselben Satz. Da war kein Platz für ihre Eltern, noch nicht. Nicht, bis sie dieses Missverständnis ausgeräumt hatte. „Ich habe niemanden umgebracht." murmelte sie zwischen den Tränen. „Oh, Gott" Elisa schüttelte den Kopf „das glaubt doch auch keiner."
Kittie schloss die Augen. Lügen, alles Lügen. David musste es gewusst haben. Er musste sie angelogen haben. Genauso wie die Sache mit Spanien. Sie hatte ihm geglaubt, nicht weil sie dumm war, sondern weil sie ihm glauben wollte. Und hier im nassen Gras, mit einem schmerzenden Knöchel und umringt von einer Sondereinheit der Polizei zog Kittie ihren Schlussstrich. Es gab kein Wir mehr. Es gab nur noch sie. Hatte sie nicht sowieso gehen wollen? Und jetzt wo er nicht mehr da war, schien es ihr auf einmal auch gar nicht mehr so schlimm. Die schönen Erinnerungen waren weit weg. Der Geruch nach Meerwasser war verschwunden, das Lachen mit David war nur noch eine vage Vorstellung. Etwas das mal da gewesen war, aber nie wieder da sein würde.
Alles was sie tun musste, war mit der Polizei mitzugehen. Niemand würde sie festhalten, wenn sie durch diese Tür gehen wollte. Kittie hatte Angst gehabt, aber jetzt hatte sie keine mehr. Sie würde sich von David verabschieden, für immer. Und dann würde sie auf den Balkon gehen können. Dann würde sie frei sein.
„Ich könnte dich nach Hause fahren? Also erstmal zur Polizeiwache, aber dann später nach Hause?" schlug Elisa noch einmal zaghaft vor. „Ja. Das sollten wir machen." antwortete Kittie.
Montag, 20:42 Uhr
Der Rückweg zum Hotel hatte ewig gedauert. Kittie konnte keinen Schritt allein gehen. Anfangs hatte sie sich auf Elisa gestützt, irgendwann hatte sie sich tatsächlich dazu überreden lassen, dass einer der Männer sie tragen durfte. Aber sie musste immer sehen wohin sie gingen. Immer die Kontrolle behalten. Elisa hatte die Pistole mitgenommen, besser so.
Als sie auf dem Parkplatz ankamen, begrüßte sie tatsächlich eine Horde an Polizisten, Hunden und Autos. Ein Krankenwagen war auch dort. Kittie fühlte sich wie betäubt. Sie bekam nur noch wenig von dem mit was um sie herum geschah. Jemand hatte ihren Fuß verbunden, ihr irgendeine Art Schmerzmittel gegeben und sie in eine orangene Decke gewickelt. Niemand sagte ihr wo David war. Sie konnte auch nicht fragen, sie war zu müde. Es begann zu nieseln. Sie saß in einem offenen Auto und sah zu wie der feine Sprühregen auf den Asphalt fiel. Sie suchte Elisa. Da war sie, der blonde Pferdeschwanz war leicht zu erkennen. Sie sah zu wie sie mit einigen ihrer Kollegen sprach, wie sie einem Hund über den Kopf strich.
Hatten die ihr vielleicht ein Betäubungsmittel gegeben? Im Krankenwagen? Ein Mann stieg vorn ins Auto, Elisa schloss die Tür und setzte sich neben sie. „Das ist mein Kollege Richard. Wir fahren jetzt mit dir nach Wederath zur Polizeistation." „Okay." flüsterte Kittie. Bis zur Autobahn konnte sie die Augen offenhalten. Sie beobachte jede Bewegung der beiden Polizisten, sah auf die Straße vor ihnen. Aber es passierte nichts. Nichts was ihr hätte Angst machen müssen. Dann überkam sie die Müdigkeit und sie schlief ein.

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Die Lügen in unseren Versprechen
Ficção GeralKittie ist jung und verwickelt in illegale Geschäfte. David hat alles verloren und sucht verzweifelt etwas dass das Loch schließt, das der Tod seiner Tochter hinterlassen hat. Sie können sich genau das geben, was sie brauchen. Doch aus Freundschaft...