Freitag, 18:20 Uhr
Kittie war kaum mehr zu beruhigen. Erst war sie panisch gewesen, hatte nach Luft geschnappt und sich die Hand auf die Brust gepresst. David wollte ihr zu trinken geben oder etwas zu essen, damit sie bloß nicht ohnmächtig wurde. Aber Kittie hatte alles abgelehnt und seine Hand weggestoßen. Alle Zuneigung und alle Versuche sie zu beruhigen, schienen sie nur noch panischer zu machen. Schließlich hatte David aufgegeben, in der Hoffnung sie würde von selbst wieder ruhiger werden.
Das war sie auch, zumindest ein wenig. Sie rang nicht mehr um Luft, aber es war trotzdem nicht ausgestanden. Sie hatte stattdessen mehr denn je geweint, mit den Fäusten auf den Sitz getrommelt, ihn angeschrien und dann wieder geweint. Sie hatte gesagt, dass er ein Idiot war, dass sie das nie gewollt hatte, dass sie nie wollte, dass er jemanden tötet. Er hatte versucht ihr zu versichern, dass der Mann noch lebte, dass er ihn nicht tödlich getroffen haben konnte, schließlich hatte er noch nie auf jemanden geschossen, aber er war sich selbst nicht mehr sicher. Und dementsprechend wenig überzeugend war er auch gewesen.
Dann hatte sie ihm vorgeworfen, ihr Angst gemacht zu haben. Sie hatte recht. Er hätte keine Waffe auf sie richten dürfen. Natürlich hatte sie Angst bekommen. Aber was hätte er denn sonst tun sollen? Darauf hatte sie keine Antwort gewusst, sie war aber trotzdem nicht einverstanden gewesen. Sie hätten sie mitgenommen, sie hätten sie ihm weggenommen. Und er würde sich Kittie nicht mehr wegnehmen lassen, von niemandem. Er brauchte sie, wie die Luft zum Atmen, sie war sein gesamter Lebensinhalt. Ohne sie wüsste er nicht mehr wofür er leben sollte.
Früher hatte David quasi für die Arbeit gelebt. Es war diese Einstellung, die Emi getötet hatte. Sein Egoismus, seine falschen Prioritäten. Aber jetzt war er sich sicher die richtigen Prioritäten zu setzen. Und Kittie war der unangefochtene Platz eins seiner Prioritätenliste.
Er hatte Kittie eine halbe Stunde lang versichert wie sehr er sie liebte, dass er sie immer beschützen würde. Dass sie das wichtigste für ihn war, dass sie eine Torte zum Geburtstag bekommen würde, koste es was es wolle. Aber sie hatte kaum richtig zugehört.
David sah unsicher zu Kittie auf dem Beifahrersitz hinüber. Nun hatte sie schon seit geraumer Zeit kein Wort gesprochen. Sie sprach nicht mehr über den Unfall mit der Polizei. Sie schien nicht mal mehr wütend, stattdessen sah es aus als wäre sie gar nicht mehr wirklich hier. Kittie starrte aus dem Fenster, sie war blass wie eine Leiche, ihre Augen glasig und rot vom Weinen. „Kittie?"David wünschte sich die freche, aufgedrehte Kittie neben ihm zurück. Die verlangte, dass man den Sender wechselte, sobald ihr ein Lied nicht gefiel, die ihn aufzog und Witze machte. Er hoffte inständig sie wiederzubekommen. Sie antwortete nicht, aber drehte den Kopf zu ihm. „Möchtest du noch einen Schokoriegel?" „Nein." „Du bist aber sehr blass." er holte die Packung aus dem Handschuhfach. „Etwas zu essen ist gut für deinen Kreislauf. Willst du den letzten mit Erdbeere?" Er hielt ihr den Riegel hin. „Mit meinem Kreislauf ist alles okay." Sie nahm ihn trotzdem. Langsam wickelte sie das Papier ab, knüllte es zusammen, öffnete den Mülleimer und warf es hinein. Noch vor ein paar Stunden hatte sie das Papier eines Erdbeerriegels vergnügt an die Decke geworfen, um ihn zu ärgern. Der Moment schien Jahre entfernt.
„Kannst du mir mal helfen?" Vielleicht half es, wenn er sie einbezog. Vielleicht würde eine Aufgabe ihr guttun. „Na gut." „Nimm mal das Handy und sieh nach wann ein Zug von Freiburg nach Zürich fährt." Jetzt hatte er ihr Interesse, zumindest etwas, geweckt. „Was ist mit dem Auto?" „Wir müssen das Auto irgendwo stehen lassen, fürchte ich. „In Ordnung." Kittie tat stumm was er ihr gesagt hatte und er fuhr genauso stumm weiter. „19:05 Uhr" sagte sie „Aber das schaffen wir nicht. Das sind nur noch 10 Minuten." „Fährt später noch einer?" Kittie scrollte den Bildschirm hinab. Sie benutzte sein Handy, als würde sie es schon immer tun. „20:40 Uhr" „In Ordnung."
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Die Lügen in unseren Versprechen
Ficción GeneralKittie ist jung und verwickelt in illegale Geschäfte. David hat alles verloren und sucht verzweifelt etwas dass das Loch schließt, das der Tod seiner Tochter hinterlassen hat. Sie können sich genau das geben, was sie brauchen. Doch aus Freundschaft...