Es war tatsächlich eine dieser typischen Wohnungen aus den Assi-Dokus im Fernsehen. 26. Stock, schäbiger Flur und ein kaputter Fahrstuhl, der einen zwang die nicht weniger schäbige Treppe zu benutzen. Als er die Wohnung betrat, schlug ihm sofort ein sehr unangenehmer Geruch entgegen. Es war ein Gestank nach verfaulten Abfällen, altem Essen und Alkohol. Sehr viel Alkohol. Außerdem kamen aus dem hinteren Teil der Wohnung laute Töne, wohl vom Fernseher. Die Tür war nur angelehnt gewesen, natürlich hatte er aber trotzdem geklingelt. Schließlich wollte er seine Ex ja nicht überfallen, sondern nur seine Tochter sehen. Seine Tochter. Katharina. Der Gedanke sie nun endlich einmal zu sehen, fühlte sich fremd und seltsam an, aber gleichzeitig willkommen. Wie das fehlende Stück eines Puzzles, von dem er nicht gewusst hatte dass es noch da war, bis er es fand.
Vorsichtig machte er einen Schritt in den zugemüllten Flur hinein. „Nadja?" fragte er, um zu sehen ob sie auch wirklich da war.
„Rik? Haste was zu trinken dabei?" antwortete eine Frauenstimme, gefolgt von einem rauen Lachen. Sie war sicherlich betrunken. Schon früher hatte sie manchmal getrunken, aber niemals hatte sie so geklungen. Er stand jetzt im Türrahmen und das Bild das sich ihm bot, war ein hässliches. Seine Ex-Freundin saß auf einem völlig kaputten Sofa, umgeben von leeren Bierflaschen. Der Fernseher lief und die Vorhänge waren zugezogen. Auf dem Boden lagen Haufen von Kleidung, die dringend mal gewaschen werden müssten, vermischt mit Chipsresten und ein Teller mit irgendetwas, das aussah als wären es mal Nudeln und Käse gewesen.
So eine Szenerie kannte er nur aus dem Fernsehen. Sie starrte ihn an, ihre Augen traten in den Höhlen hervor. „Was machst du denn hier?!" es klang aggressiv. „Ich wollte meine Tochter besuchen. Oh, Gott, Was ist das hier? Sag mir nicht dass ihr wirklich hier lebt! Schon als ich die Adresse gehört habe, dachte ich mir..." er stoppte und bereute augenblicklich ihr direkt Vorwürfe gemacht zu haben. Er hatte sich doch vorgenommen diplomatisch zu sein. Die Frau stand auf und wankte auf ihn zu. „Die will dich nicht sehen!" blaffte sie ihn an. Er musste sie beruhigen, sonst würde das hier nichts werden. Und dann musste er mit Katharina reden. Und sie hoffentlich hier rausholen, aus dieser vermüllten Bude. Das schlechte Gewissen stieg in ihm auf. Wie hatte er das zulassen können? Wie hatte er so ein schlechter Vater sein können? Dieses Mädchen war nun mal auch seine Tochter.
„Das kann sie doch selbst entscheiden, oder?" versuchte er sie beruhigen. Die Frau starrte jetzt auf den Boden und sagte nichts mehr. „Nadja, was ist los?" Als sie nicht antwortete, ging er zurück auf den Flur. Ein leerer Türrahmen begrenzte die Küche, die ebenfalls ziemlich vermüllt war und daneben gingen zwei Türen vom Flur ab. „Welches ist ihr Zimmer?". Sie würde sicherlich in ihrem Zimmer sein. Und vielleicht laut Musik hören? Das taten Teenager doch oder?
Nadja antwortete nicht, doch zeigte auf die linke Tür. Sie schien schon wieder mehr Interesse am Fernseher zu haben, als an etwas anderem. Er klopfte an die Tür. Als keine Antwort kam, öffnete er sie vorsichtig. Das Zimmer war sehr viel sauberer als der Rest der Wohnung. Relativ aufgeräumt, wenn auch alles alt und abgenutzt schien. Das Bettzeug lag aufgeschlagen auf und neben dem Bett, eine Schranktür stand offen. Auf dem Boden war ein Stapel Kleidung und daneben ein Rucksack, offenbar mit Schulsachen. In einer Ecke stand eine halbvertrocknete Pflanze auf dem Boden. Abgesehen davon war das Zimmer aber leer. Keine Katharina.
Aber es war 20:12 Uhr, wie ihm ein Blick auf seine Armbanduhr verriet. Sollte ein 14-jähriges Mädchen um diese Zeit nicht langsam zu Hause sein?
Nadja stand jetzt hinter ihm, eine Flasche Bier in der Hand. „Sie is nich da. Siehst du doch." sagte sie betreten. Er drehte sich zu ihr um. „Wo ist sie denn? Wann kommt sie wieder?" Sie zuckte die Achseln und nahm einen Schluck. Ihr Blick war merkwürdig verklärt und sie sah ihn nicht wirklich an, während sie mit ihm sprach. „Keine Ahnung. Irgendwann. Sie soll mal aufräumen, wenn sie wiederkommt. Guck mal, der Flur..." Langsam kam ihm die Situation mehr als seltsam vor.
Es war schon mal klar dass seine Tochter hier nicht länger bleiben konnte. Doch erstmal musste er sie überhaupt sehen. „Wann ist sie denn gegangen?" hakte er nach. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis Nadja antwortete. „Vor paar Tagen hab ich sie das gesehen. Zwei oder Drei." Bitte was? „Die Schule sagt sie war nich da. Ich hab gesagt sie schwänzt." „Nadja, das kann doch nicht dein Ernst sein? Willst du mir sagen sie ist verschwunden?" Er musste jetzt ruhig bleiben. Ruhig bleiben und sich etwas überlegen. Obwohl die Panik langsam aber sicher Besitz von ihm ergriff. Vielleicht war Katharina ja nur abgehauen, es wäre nicht verwunderlich bei der Mutter. Aber andererseits müsste sie doch daran gewöhnt sein. Es sah hier zumindest nicht so aus als wäre die Unordnung erst seit gestern da. Und Nadja trank wohl auch nicht erst seit gestern.
Sie lachte jetzt „Sonst war die immer in der Schule. Richtige Streberin deine Tochter! Wie du!" Er packte sie bei den Schultern. „Machst du dir denn keine Sorgen?" Sie lachte, nahm noch einen Schluck und zuckte wieder mit den Schultern. „Du hast doch sicher ihre Handynummer?" „Irgendwo im Flur ist so ein Zettel. Tut sie immer hin, sagt ich soll sie anrufen... Wenn was is... Is aber nie..."
Er durchsuchte den halben Flur nach der Nummer, während Nadja immer noch an der gleichen Stelle stand und ihm zusah. Vielleicht war das mehr als Alkohol dass sie so vernebelte? Irdendeine Droge? Aber darüber konnte er sich jetzt keine Gedanken machen. Man hörte doch ständig von Entführungen, was wenn es das war? Was wenn sie entführt worden war?! Schließlich fand er den Zettel unter einem Haufen Zeitungen. Doch die Ansage „Der gewünschte Teilnehmer ist zur Zeit leider nicht erreichbar" war alles andere als beruhigend. Und nachdem Nadja ihm nicht weiterhelfen konnte und auch keine Freunde von Katharina kannte, blieb ihm nichts mehr übrig. Er umklammerte sein Handy, ging hinaus in den Hausflur und rief die Polizei.
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Die Lügen in unseren Versprechen
Narrativa generaleKittie ist jung und verwickelt in illegale Geschäfte. David hat alles verloren und sucht verzweifelt etwas dass das Loch schließt, das der Tod seiner Tochter hinterlassen hat. Sie können sich genau das geben, was sie brauchen. Doch aus Freundschaft...