03. Oktober 2016

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Montag, 13.20 Uhr

Elisa hatte soeben ihre Mittagspause, inklusive einem nervigen Gespräch über Nordic Walking und die Freikirche, beendet. Sie würde weder das eine noch das andere ausprobieren. In Gedanken notierte sie sich, niemals wieder Rauchen zu gehen, wenn sich auch nur erahnen ließ dass Christoph das gerade ebenfalls tat. Durften Angehörige der evangelischen Freikirche überhaupt rauchen? Verstieß dass nicht gegen irgendein Gebot?

Sie ließ sich in ihren Bürostuhl sinken und stellte die Tasse Kaffee einfach irgendwo auf den Tisch. Den völlig überteuerten Untersetzter, ein altes Geschenk ihrer Mutter, konnte sie unter all dem Papierkram kaum noch erahnen. Als sie am Freitag die Vermisstenmeldung von Katharina aufgenommen hatten, hatten sie noch bis spät nachts alle nur erdenklichen Spuren ausgewertet. Elisa hatte kaum Zeit gehabt irgendetwas zu sortieren und das war das Ergebnis. „Zeit ein bisschen aufzuräumen." murmelte sie.

„Elisa!" jemand tippte ihr auf die Schulter. Richard stand hinter ihr und wedelte mit einem Notizzettel. „Wir sitzen gerade im kleinen Konferenzraum und haben ein Video gefunden, das du dir ansehen solltest. Wir haben nochmal die Aufzeichnungen aller Kameras rund um den Hafen ausgewertet. Du weißt doch, die Sache mit dem Leichenfund? Es herrscht noch Uneinigkeit, ob das überhaupt mit den Leichen zu tun hat, aber vermutlich..." er räusperte sich „ vermutlich ist auf einer Aufnahme Katharina Steuer zu sehen."

Sie legte die Ordner ab, die sie gerade hatte unter den Tisch räumen wollen. Damit war ihr Vorhaben wahrscheinlich erstmal auf unbestimmte Zeit verschoben. „Du weißt aber, dass ich eigentlich nur die Kommunikation nach außen für den Steuer-Fall habe, oder?" Er nickte. „Schon, aber Herr Strauss und Leah sind unterwegs, Hagen ist immer noch krank und Christoph ist ne Pfeife. Auf sein Urteil kann sich doch keiner verlassen. " Sie schmunzelte müde. Er hatte recht. „Ok, ich sehe es mir an."

Richard öffnete ihr die Tür zum mittleren Gang und sie schlüpfte hindurch. „Wir hatten gehofft du kannst uns einfach kurz sagen, ob es was ist oder nicht. Du kennst doch Herrn Strauss, den belästigt man lieber nicht, wenn man nichts Handfestes hat." Sie nickte abwesend. Elisa konnte nicht behaupten dass ihr all das hier wirklich so leichtfiel. Der Steuer-Fall war der erste dieser Art an dem sie arbeitete. Und der erste Fall überhaupt, der ihr zwei schlaflose Nächte bereitet hatte, wenn man die Nacht von Freitag auf Samstag nicht mitzählte, die sie beinahe komplett durchgearbeitet hatte. Ihr Tabakkonsum war auch deutlich gestiegen. Das war natürlich nichts was sie zugegeben hätte. So viel Stolz besaß sie doch noch.

Sie hatte Morde gehabt, Raubüberfälle und Unfälle mit Todesfolge, aber das hier war etwas anderes. Die Entführung einer Minderjährigen war sehr viel schlimmer. Der Horror aller Eltern und, zum vielleicht ersten Mal, war sie froh darüber keine Mutter zu sein, das hier ging ihr ohnehin schon viel zu nah. Vielleicht ein Sexualverbrechen, vielleicht noch schlimmeres. Ihr Tisch war voll mit Bildern von einem 14-jährigen Mädchen und mit jedem Tag schwand die Hoffnung dass man mehr von ihr finden würde als ihren toten Körper. Wenn man den überhaupt fand. Sie mussten alles geben. Alles für diesen Fall, alles für das unschuldige Mädchen, das wahrscheinlich gerade Höllenqualen litt.

Nicht zu vergessen die Presse. Sie hatten sich nach der Vermissten-Meldung wie Aasgeier auf den Fall gestürzt. Jeder ihrer Schritte würde, wenn er irgendwann an die Öffentlichkeit drang, bewertet, diskutiert und auf seine Tauglichkeit geprüft werden. Es war ein enormer Druck, der auf der Sonderkommission lastete. Elisa war erleichtert gewesen, als Herrn Strauss die Leitung übertragen worden war. Einem Experten, extra aus Berlin zu ihnen versetzt. Er war streng und er verlangte seinem Team alles ab, aber er hatte schon in so einigen großen Entführungsfällen gearbeitet. Natürlich war auch er bei weitem keine Garantie auf Erfolg, aber eine auf bestmögliche Arbeit. Vor allem allerdings strahlte er die Ruhe und Gelassenheit einer gewissen Routine aus, die, zumindest ein wenig, auf sie abfärbte.

Die Lügen in unseren VersprechenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt