02. Oktober 2016

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Sonntag, 06:11

Kittie schlief erstaunlich friedlich. Zumindest sah es so aus. Ihr linkes Bein ragte unter der weißen Bettdecke hervor, so dass ihr Fuß halb aus dem Bett hing. Die hellblonden Haare lagen wild um ihren Kopf herum, beinahe wie ein kleiner Heiligenschein. Auch wenn sie natürlich kein Engel war. Engel tranken sicher nicht und arbeiteten auch nicht in Nachtclubs, schon gar nicht mit süßen 14 Jahren. Er strich die Decke um sie herum glatt. Sie sah so sehr aus wie Emi. Er würde sie beschützen. Er würde schaffen was er bei Emi nicht geschafft hatte. Niemand würde ihr wehtun. Leise schloss er die Tür zu ihrem Schlafzimmer und setzte sich vor den Fernseher.

Es wurde höchste Zeit nachzusehen, wie mies die Lage tatsächlich war. Leider waren die spärlichen Informationen aus den Nachrichten die einzigen die sie hatten. Die Polizei würde garantiert nicht mal die Hälfte ihrer Ermittlungsergebnisse an die Presse herausgeben. Das bedeutete leider auch dass sie schon sehr viel dichter an ihnen, beziehungsweise an Kittie, dran sein konnten, als er wusste. Aber wenige Informationen waren besser als gar keine.

Bis zu den Nachrichten um 06:20 schaltete er die Programme durch. Eine Doku über den Amazonas, jede Menge Frühstücksfernsehen und die Wiederholung einer Talkshow. Nichts davon schaffte es wirklich seine Aufmerksamkeit zu erregen. Stattdessen sah er sich im Raum um. Sah aus dem Fenster und über die Minibar mit der weißgetünchten Badtür daneben. Es war ihm unbegreiflich, aber für Kittie schien dieses Zimmer ihr ganz eigener Rückzugsort zu sein. Sie war hier so entspannt. Es war als wäre eine unsichtbare Last von ihr abgefallen als sie hier ankamen. Und eine neue hinzugekommen, als sie erfahren hatte dass die Leichen gefunden worden waren. Er hätte gern die unbeschwerte Kittie behalten, die alberne Witze machte, kindisch war und so unfassbar liebenswert.

Der vertraute Jingle der Nachrichten ertönte und riss ihn aus seinen Gedanken.

Als erstes sprach die Moderatorin über einen erneuten Tsunami irgendwo in Asien. Er hatte nicht richtig zugehört. Das fing doch gut an, eine Meldung hatten sie überstanden. Vielleicht hatten sie Glück, vielleicht hatte die Polizei nichts Brauchbares bei den Leichen gefunden. Vielleicht hätte dir Presse nichts Neues zu berichten, was zweifelsohne positiv wäre. Er behielt recht. An diesem Morgen sprach niemand in den Nachrichten über die Leichen. Dafür sprach alle Welt über ein verschwundenes Mädchen.

Katharina Steuer.

Er hätte es wissen müssen. Wie hatte er nur so dumm sein können?! Wie hatte er nur glauben können, er würde hiermit tatsächlich durchkommen? Einfach irgendwohin zu fahren, mit einer Minderjährigen. Aber warum hatte er es denn dann überhaupt getan? Warum hatte er nicht einfach Kontakt mit ihrer Mutter aufgenommen, versucht ihr so zu helfen? Warum hatte er sich auf das hier eingelassen?

Weil Kittie zu ihm gehörte. Und zu niemandem anders.

Und warum hatte sie es getan? Sie hätte es genauso wissen müssen. Aber an dem Tag als sie beschlossen hatte, zu ihm ins Taxi zu steigen, hatte sie wohl noch etwas anderes beschlossen. Ihm mehr zu vertrauen als allen anderen. Und er musste jetzt dafür sorgen dass sie es nicht bereute.

David starrte das Bild von Kittie im Fernsehen an. Es musste ein älteres Bild sein, sie sah jünger aus als jetzt und ihre Haare waren ein Stück kürzer. Sie trug sie in einem Pferdeschwanz. Das Foto war seltsam. Kittie lächelte nicht, stattdessen sah es aus, als würde sie etwas sagen. Ihr Mund war halb geöffnet und sie hatte eine Hand etwa auf Brusthöhe erhoben. Auch war der Ort merkwürdig gewählt. Sie saß vor einem sehr alt aussehenden Sofa auf dem Boden. Ein Handy-Foto vielleicht? Sie blendeten unterhalb des Bildes eine direkte Durchwahl von der zuständigen Polizeiabteilung ein. Und zum ersten Mal seit langem spürte David richtige, echte Panik in ihm aufsteigen, als er realisierte was da gerade passierte. Der Anflug von Wut, den er gerade eben noch empfunden hatte, war verschwunden. Gegen wen hätte er diese Wut auch richten sollen? Geblieben war nur eine hohle Angst, die gegen seine Brust hämmerte. Denn wenn Kittie entführt worden war, dann war er ihr Entführer.

Die Lügen in unseren VersprechenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt