3 | Unperfekt perfekt

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(Spielt nach dem ersten Kapitel)

In den nächsten Wochen und Monaten mied Izuku Katsuki - zumindest hatte er sich das zum Ziel genommen. Dass es schier unmöglich war, bekam er zu spüren, als er sich selbst dabei erwischte, den blonden Jungen bei sämtlichen Gelegenheiten verträumt anzustarren und schnell verlegen wegzublicken, wenn Katsuki aufsah. Er wusste, dass es falsch war.

Izukus Gefühle aber verschwanden nicht. Je mehr er sie verdrängte, desto schwieriger konnte er sie einordnen. Es war Bewunderung, die er für seinen ehemaligen Freund empfand. Doch war es tatsächlich nur das? Er war sich nicht mehr sicher, aber er konnte auch mit keinem darüber reden.

"Deku-kun!", rief Ochako ihn an einem warmen Tag, als dieser in die neuste Ausgabe eines Magazins über Helden vertieft war. "Was ist denn, Uraraka-san?", fragte er das braunhaarige Mädchen. Sie erklärte die Situation- ihre Klassenkameraden wollten am Wochende das Festival an der nächstgelegten Küste besuchen. "Also", fragte sie, "willst du mitkommen?"

Izuku zögerte etwas. "Ein Festival?", fragte er neugierig nach. Er hatte in der Vergangenheit nie viele Freunde gehabt und so war es das erste Mal, dass er eingeladen wurde. Es könnte sicherlich amüsant werden und trotz seiner Schule stieg in dem Moment der Wunsch ihn ihm auf, ein völlig normaler Teenager zu sein und mit Freunden Spaß zu haben. "Ja, mit Feuerwerk!", erzählte Ochako begeistert. "Okay", sagte er darauf zögerlich, "Ich bin dabei!" Seine Freundin freute sich sichtlich darüber.

Wie es schien, würde die gesamte Klasse mitkommen. Ja, Eijirō hatte es sogar irgendwie geschafft, Katsuki zum Mitkommen zu bewegen, natürlich nicht ohne dabei unbeschadet zu bleiben, und auch Shōto hatte sich einen Ruck gegeben und wollte sich mit den anderen amüsieren. Scheinbar hatten alle Schüler der Klasse ihre eigene Last zu tragen, die sie während der gemeinsamen Stunden vergessen konnten.

Am Freitag vor der Abreise ließ Izuku ein Blick auf die Uhr wissen, dass er ziemlich spät dran war. Hastig verstaute er den Rest des Benötigten in seinem Rucksack und band die Schnürsenkel seiner roten Schuhe mehr schlecht als recht zur einer Schleife.

Als er die Tür zum Ausgang des Gebäudes aufstieß, nahm er eine  vertraute Stimme wahr. Vorsichtig machte Izuku einen Schritt zurück, kam dann aber zum Schluss, dass kein Grund zu Misstrauen bestehe.

"Diese Vollpfosten sind schon ohne mich abgedampft! Also, Deku, weißt du, wo der Bahnhof ist? Er war nicht erpicht darauf, mit Katsuki alleine zum Bahnhof zu laufen, doch da musste er durch. Izuku hoffte, danach behaupten zu können, seinen Peiniger zu hassen und dass er ihn am liebsten nie wieder sehen wollte, auch wenn er im Prinzip viel zu gutmütig war, um Hass gegenüber Katsuki zu empfinden. "Es ist schon ziemlich spät, also sollten wir uns beeilen", erklärte Izuku vorsichtig die Lage, wofür er Schimpfwörter an den Kopf geworfen bekam.

Eine Stunde später zog die Welt am Fenster des Schnellzuges vorbei. Nur die blaue Farbe des Himmels und die grünen Wälder ließen sich erahnen. Izuku versank in einer ewigen Schleife aus Sorgen und Gedanken - Was, wenn er den Erwartungen nicht gerecht werden würde und kläglich versagt? Er war schon so weit gekommen. Von nichts und niemand würde er sich jetzt brechen lassen und immer weiter Richtung Ziel jagen.

***

"Das sieht alles so toll aus!", Ochako zeigte mit ihrem Finger auf die Stände mit Essen und den anderen Gegenständen, die am Rand der abgesperrten Straßen aufgebaut worden waren. "Die Dekoration ist wirklich erstklassig", schwärmte Tenya. Tsuyu nahm Ochakos Hand und eilte mit ihr zu einer scheinbar beliebten Attraktion und auch der Rest der Gruppe löste sich allmählich auf als die rote Sonne am Horizont versank und die Straßen sich füllten. Der angehende Held beschloss, dass Spektakel des Feuerwerks vom Gasthaus aus zu bestaunen, in dem sie übernachten würden. Er mochte große Menschenmengen an diesem Tag nicht.


***

Von der Terrasse aus hatte man den perfekten Blickwinkel auf das Feuerwerk. Izuku lehnte sich gegen das Geländer und starrte mit leeren Augen in den so kalt wirkenden Nachthimmel, den nur die Sterne und der Mond erhellten. Wie sehnlich wünschte er sich, an einen anderen Ort in dieser endlosen Galaxie zu sein. Warum war er bloß so traurig? 

Er stieß einen tiefen Seufzer aus. Ohne eine Ankündigung war es plötzlich Katsuki, der einige Meter entfernt von ihm stand. Sein Herz machte einen Aussetzer, als er ihn erblickte. Die beiden schwiegen sich an, blickten nur in Richtung Horizont. Sie nahmen die Geräusche der Leute unter ihnen nur noch unterschwellig war. "Kacchan", durchbrach Izuku dann schließlich die Stille, "Warum möchtest du ein Held werden?"

Katsuki war auf diese Frage nicht vorbereitet gewesen. Diese eigentlich harmlose Worte machte ihn wütend. Dass er die Absicht der Frage nicht verstand, brachte ihn innerlich noch mehr zum Rasen. "Natürlich weil ich die Nummer Eins werden will", brummte er. Izuku nickte. Genauso natürlich war dies nicht der Grund.

Menschen, unschuldige Individuen, retten - das war doch die Prämisse des Heldendaseins, oder etwa nicht?

Eine sanfte Brise wehte. Man konnte das Rauschen der Wellen hören. Die Luft schmeckte salzig, ihre Lippen ebenso. Die Situation war nicht unangenehm, sondern fast schon friedlich, ja, sogar harmonisch, auch wenn beide nicht von ihren Fassaden abließen.

Abfällig musterte Katsuki den Grünhaarigen. Seine Locken spielten Fangen mit dem Wind; die breiten Ärmel seines Yukatas flatterten wild in der Luft. Er sollte nicht neben ihm stehen. Nicht auf dem gleichen Niveau sein. Er war nur der Kiesel am Wegesrand. Nein, er war nun mehr. Er war wie der Felsbrocken, der seinen Weg blockierte. Er glich einer Mauerblume. Einer Mauerblume, die, selbst wenn Katsuki es nicht zugeben wollte, etwas Einzigartiges an sich hatte und einen unglaublich starken Charakter besaß. So unglaublich unperfekt perfekt.

"Schau mal, Kacchan, wie schön!"
Begeistert zeigte Izuku auf das Feuerwerk, dessen Farbenpracht am Himmel erstrahlte. Izuku lächelte seinen ehemaligen Freund an. Endorphine durchströmten seine Blutbahn, das farbenfrohe Spiel am Himmel weckte so viele angenehme Gefühle. "Nerv nicht", raunte Katsuki sichtlich genervt. Der Grünhaarige zeigte sich davon wenig beeindruckt.
Ich wünschte, er würde nur ein einziges Mal ehrlich sein, resignierte er in Gedanken. Das würde ihn wirklich glücklich machen.

Nach Ende des Feuerwerks wandte er sich wortlos ab. Er wollte einen klaren Kopf bekommen, die kühle Luft in jener Nacht schien wie gemacht dafür. Schließlich streunte er wie ein Köter durch die Straßen, in einer Gegend, die er nicht kannte, doch das war für ihn nicht von Bedeutung. Seine Gefühlslage glich der einer Shojo-Protagonistin während des Klimax der Mangareihe. Er schüttelte leicht den Kopf. Er war angehender Superheld mit der Kraft von All Might, kein pubertierendes Teenie-Mädchen, welches sich Hals über Kopf in den beliebtesten Jungen der Schule verguckt hat. Das war nicht seine Welt.

Und dennoch...
Izuku erstarrte, das Blut wich aus seinem Gesicht. Die Sterne warfen einen matten Schein auf seine blasse Haut. Er fügte die Teile des Puzzle zusammen. Konnte es wirklich sein... dass es sowas wie Liebe war? Dieses Gefühlchaos, das eindeutig mit Katsuki in Verbindung stand. Der Blonde war viel für ihn: Freund. Feind. Verbündeter. Peiniger. Klassenkamerad. Warum nur konnte er nicht loslassen, obwohl ihm so viel Leid zugefügt wurde? Aus welchem Grund würde er das Wohlergehen Kacchans über das der anderen stellen? Weshalb nur... wollte er nichts mehr als seine Anerkennung?

Die Antwort war so verdammt simpel, dass er fast lachen musste.
Ja, er hatte sich wohl tatsächlich in einen Jungen verknallt. In den Jungen, der ihn auf der Welt am meisten verabscheute. Vielleicht begann ausgerechnet in diesem Moment seine Metamorphose. Seine Zuneigung wurde erneut nur mit Füßen getreten. Diese grausame Welt hat bereits als sie vier Jahre alt waren einen Keil zwischen die beiden getrieben. Und dennoch... ohne diese unperfekte perfekte Welt wären sie nie aufeinander getroffen.

"Da bist du ja, Deku-kun! Wir haben uns schon Sorgen gemacht!"

Ochakos Stimme holte ihn in die Realität zurück.

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