•▪■Kapitel 5■▪•

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Leyria erwachte von dem Gefühl einer warmen Hand auf ihrem Kopf.
Die dreifingrige Hand strich sanft über ihre Haare.
Eine männliche Stimme sang ein Lied auf einer Sprache, die nach Zandali klang.
Selbst der Dialekt schien von einem Troll zu kommen.

Die Kriegerin schnurrte leise, genussvoll den entspannten Moment auskostend.
Doch plötzlich verblassten die Berührungen und die Stimme verklang.
Winde umwehten sie, ließen das dünne Kleid wild um ihren Körper flattern. Erst dann begriff sie, dass sie stand.
Überrascht öffnete sie die Augen...und wich direkt ein paar Schritte zurück.

Direkt vor ihrem Gesicht schwebte der Kopf eines mit Gold, Juwelen und Federn geschmückten Pterrordax'.
Die goldenen Augen beäugten sie von oben bis unten, dann verzogen sich die Mundwinkel zu einem reptilischen, zufriedenen Lächeln.
Der Pterrordax trat zur Seite, einen riesigen Flügel ausbreitend, die Sicht auf eine Klippe freilegend.
Unter ihr flogen viele Pterrordaxe umher, ein kleiner, frisch geschlüpfter flatterte ihr in die Arme.

"Das haste dir verdient, Dienerin Pa'kus.", ertönte die männliche Stimme von vorher. "'S is 'n Zeich'n ihra Anerkennung. Du sollst 'n Winzling aufzieh'n - ich helf dir dabei, wenn du willst."

Verwirrt, doch irgendwie auch glücklich lächelte Leyria und drückte den Pterrordax an sich.

Doch mit einem Schlag verblasste das Bild und Leyria stand in Sturmwind...oder eher hing weit über dem Boden.
Irritiert und erleichtert, nicht verletzt auf dem Boden zu liegen, sah sie hoch.
Eine Wache Sturmwinds hatte ihr Handgelenk wohl noch im letzten Moment erwischt und zog sie wieder auf das Plateau, von dem sie wohl gefallen war.

"Geht es Euch gut?" Der Soldat, hinter seinem Helm deutlich blass. "Was ist geschehen?"
"Dasselbe könnte ich fragen..." Leyria schauderte.

Was war das eben?
Ein Tagtraum?
Und wer war Pa'ku?
Wer war der Troll?
Warum hatte sie sich im Traum nicht umgewandt?

"Ihr saht aus wie in einer Art Trance...erinnert Ihr Euch ein wenig?"
Leyria zögerte.
Würde man ihren Traum mit dem Troll in Verbindung setzen?
Würde man sie für eine Verräterin halten?
Besser, sie blieb vorerst still.
"Nein, leider nicht. Vielleicht schlafwandle ich auch nur.", scherzte sie stattdessen und grinste unbeholfen. "Vielen Dank für Euer Eingreifen."
Die Wache schmunzelte, verbeugte sich knapp und marschierte davon.

Leyria seufzte.
Ihr freier Tag würde sie wohl in Sturmwinds königliche Bibliothek führen.
Sie musste wissen, was der Traum bedeuten könnte...

•▪■▪•

Neben ihrem Ohr ertönte ein reptilisches Rasseln, gefolgt von etwas, das wie ein Knurren klang.
Sayana riss alarmiert die Augen auf und fand sich in einer von blauem Nebel bedeckten Umgebung wieder.
Sie lag auf einer Art Altar, neben ihr eine goldverzierte Gleve, die voller Blut war.
Verwirrt griff sie danach, als sie Schritte hörte, entschlossen.

Sie hörte und spürte es.
Das Wesen umkreiste sie, versteckt in den Nebeln, doch Sayana wusste, dass sie die Schnelligkeit des Wesens nicht zu unterschätzen hatte.
Tatsächlich schoss wie aus dem nichts ein gepanzerter Reptilienschwanz aus dem Nebel und riss ihr die Füße weg.
Im nächsten Moment stoppte ein weit aufgerissenes, mit messerscharfen Zähnen besetztes Maul vor ihrem Gesicht.

Sayana zitterte und umklammerte die Gleve wie einen Rettungsanker, als der riesige Raptor sich zurückzog und sie ausführlich musterte.
"Du musst noch üben.", kommentierte der Raptor und Sayana blinzelte verwirrt.
Der Raptor konnte sprechen...?
"Diese Jagdgleve gehört dir, Springstrider." Als der Raptor sich erneut zu ihr herunterbeugte, reagierte ihr Verstand überraschenderweise nicht mit dem lähmenden Gefühl der Furcht.
Trotz der Nähe zu dem Maul breitete sich ein heimeliges Gefühl in ihr aus.
"Hüte sie gut." Mit den Worten verschwand der Raptor wieder im Nebel.

Doch kaum war das letzte Anzeichen verschwunden, ertönten neue Schritte.
"Gonk!", brüllte die Stimme. "Ehrwürdiga Loa! Der König braucht Eure Hilfe! Rezan is hintagang'n word'n und -"

Mit einem Ruck landete Sayana wieder auf ihrem Bett.
Schweiß lief ihr in Strömen über den Körper und pappte sowohl Kleidung als auch Haare an ihr fest.

"Ein Glück, sie ist wach...", seufzte jemand und sie sah dorthin.
Ihr Mentor, Khadgar, und Kalec standen neben ihrem Bett, beide mit besorgten Ausdrücken in ihren Zügen.
"Was ist passiert?", fragte Sayana müde und lächelte dankbar, als Khadgar sich neben sie aufs Bett setzte und sie beruhigend umarmte, ihren Schweiß ignorierend.
"Ihr habt plötzlich angefangen, wie am Spieß zu schreien, als würde Euch jemand gerade abstechen.", erklärte ihr Kalec und wuschelte ihr einmal durch die Haare.
"Gewissermaßen wäre das ja auch quasi indirekt fast passiert..." Sayana lachte leise. "Da war so ein Raptor, der mich aus dem Nebel heraus angegriffen hat. Redete irgendwas von einer Gleve."
"War es vielleicht diese hier?", wollte Khadgar vorsichtig wissen und tippte auf ihr rechtes Handgelenk.

Sie hob eine Hand, um sie dieses zu betrachten, doch sie hielt inne.

In ihrer Hand befand sich tatsächlich die Jagdgleve des Loa Gonk.

Dear twin brother...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt