Eine angenehme Begleitung

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Das Zimmer war geräumig und überall hingen Bilder in goldenen Rahmen. Das größte Bild hing direkt neben einem breiten Bücherregal, in dem allerlei Bücher darauf warteten entstaubt zu werden. Das Bild zeigte eine Familie. Indara erkannte ihren Vater und ihre Mutter. Ihre Mutter sah jedoch anders aus. Sie sah fröhlicher aus, als Indara sie kannte und sie wirkte nicht so als hätte sie vor irgendetwas Angst. In den Armen hielt der König ein Kind, allem Anschein nach musste es erst wenige Wochen alt gewesen sein. ‚Das bin ich.' dachte Indara bei sich und sie spürte ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit, das sogleich von einem Anflug aus Trauer und Frustration zunichte gemacht wurde. Sie beide waren tot. Das einzige aus diesem Bild, was geblieben ist, ist das Baby und mit großer Wahrscheinlichkeit der schöne Garten in dem das Foto geschossen wurde. Indara wendete sich vom Fanilienfoto ab und schritt durch das Zimmer. Nachdem Indara einige Minuten, unfähig irgendeine Art von Emotionen oder Reaktionen zu zeigen, vor Sindan auf dem Stuhl gesessen hatte brachte er sie in das Zimmer. Sie sollte zur Ruhe kommen und die Geschehnisse verarbeiten. Es war sein Zimmer. Naja, sie alle gehörten ihm, er war schließlich der König dieses Palastes gewesen und Indara nahm an, dass es unzählige von Zimmern hier gab. Aber dieses hier war das Zimmer, in dem ihr Vater die meiste Zeit wohnte. Es war gemütlich eingerichtet und personalisiert. Sie setzte sich auf das Himmelbett und dachte an ihre Mutter. Dachte an ihren Vater. Ihr Leben hatte sich innerhalb von einem Tag von Grund auf verändert und immer noch hatte sie Fragen. Wie würde das alles jetzt weitergehen? Würde sie ab jetzt in diesen eindrucksvollen Bau leben? Es klopfte an und Indara antwortete mit einem gedankenversunkenen „Herein." Durch die Tür kam Sindan, in Begleitung von dem Wächter, der sie am Stadttor begrüßt hatte. „Konntest du ein wenig zur Ruhe kommen?" er lächelte. Sindan behandelte sie nicht wie eine Prinzessin. Er behandelte sie stets freundlich und liebevoll, wie seine eigene Tochter. „Ja, ein wenig. Ich habe mir das Bild an der Wand angesehen." Indara deutete mit dem Zeigefinger in Richtung Bücherregal. Sindan blickte zu Boden, dann trat er einen Schritt in das Zimmer herein. „Ein schönes Foto. Dieses Foto habe ich von euch geschossen, einige Wochen nach deiner Geburt, als deine Mutter und du uns hier in Mandalay besuchten. An diesem Tag habe ich dich zum ersten Mal gesehen." Indara musste nun auch lächeln. Es ist doch mehr geblieben, als das Baby und der Garten. „Das ist Caliv, Ihr seit euch sicherlich am Tor schon begegnet." Caliv nickte ihr höflich zu. „Ich halte es für sicherer, wenn er dich begleitet, sobald du den Palast verlässt. Zwar ist Aras verschwunden, jedoch glaube ich nicht an seinen Tod. Ich denke, falls er noch am Leben ist, hat er seinen Traum vom Königsein nicht aufgegeben. Caliv wird dir aber zunächst einmal einmal den Palast zeigen." „Sehr gerne." Indara war froh ihn wiederzusehen, er war der erste gewesen dem sie in dieser Stadt begegnet war und der erste der sie angelächelt hatte. Ihr war es recht, nicht alleine sein zu müssen in dieser riesigen Stadt, mit diesen riesigen Veränderungen die sie erwarteten. „Folgt mir, Prinzessin." Er bedeutete ihr durch die Tür zu gehen und zog sie dann hinter ihnen zu. „Caliv?" „Jawohl, Prinzessin?" „Nennen sie mich bitte Indara. Ich bin nicht daran gewöhnt, mit einem adligen Namen angesprochen zu werden. Ich weiß ja gerade erst seit einer knappen Stunde, dass ich die Tochter des Königs bin." Indara wollte nicht unhöflich Caliv gegenüber sein aber sie hoffte, es würde ihm nichts ausmachen sie Indara zu nennen. „Wie sie wünschen. Was möchten sie zuerst sehen Indara?" „Zeigen sie mir den Ort, der ihnen hier am besten gefällt ." Caliv hatte immer noch die farbenfrohe Uniform an und sie stand ihm ausgesprochen gut. Caliv war groß gewachsen, vielleicht Mitte zwanzig und in seinem Gesicht stand ein Bart, der erst vor wenigen Tagen geschnitten worden sein muss. Erst jetzt fiel Indara auf, dass er grüne Augen hatte. Wie konnten sie ihr am Tor nicht aufgefallen sein? Caliv führte Indara über einen langen und breiten, mamorierten Flur, an dessen Ende sie eine Glastür mit goldenem Knauf erwartete. An den Wänden hingen Gemälde von Landschaften, von Menschen die Indara nicht kannte und Gemälde von ihrem Vater. Caliv schob die Glastür auf und die beiden traten ins Freie. Vor ihnen lag eine Landschaft aus Goldbirnenbäumen und Pflanzen, Brunnen und Blüten. Direkt von der Glasür ging ein schmaler, weißer Kiesweg ab. „Als dein Vater noch hier lebte, waren ständig Leute hier im Palastgarten. Dein Vater ordnete an, jeder der Ruhe brauche oder sich besinnen möchte, sollte herzlich eingeladen sein, das in diesem Garten zu tun. Seitdem dein Vater nicht mehr hier ist, war auch niemand sonst mehr hier, außer Sindan und die Bediensteten, die den Garten pflegen." Caliv wirkte auf einmal bedrückt. „Ich stimme Sindan zu, dein Vater ist nicht einfach so verschwunden. Aras steckt dahinter." Er sah zu Boden. „Ich glaube eine Stelle hier wird Dir besonders gut gefallen." Caliv schritt an ihr vorbei, in großen Schritten. Indara mühte sich mit ihm Schritt zu halten, bis sie an einem großen Steinbrunnen angekommen waren. Ein Löwe spuckte Wasser in ein steinernes, ovalförmiges Becken. Sein Schädel war massiv, die Mähne sah aus als würde sie im Wind wehen. Aussen herum blühte alles und Bienen surrten. Indara war schon einmal hier gewesen, vor 20 Jahren. Hier wurde das Bild neben dem Bücherregal geschossen, vor diesem Brunnen. „Es ist wunderschön hier." brachte Indara hervor und setzte sich auf die Mauer des Beckens. Hinter ihr plätscherte das Wasser, das aus dem Magen des Löwen herausgepumpt wurde und Caliv setzte sich zu ihr.
„Als ich vor einigen Jahren hierher kam, lief ich oft durch diesen Garten. Ich konnte stundenlang die Wege entlanggehen und den Blumen beim Wachsen zusehen. Dieser Garten befreite mich von Trauer und Angst." Caliv beobachtete einen Vogel mit rotem Gefieder, der gerade vor ihnen auf dem Boden gelandet war und jeden Moment wieder los fliegen würde. „Du bist nicht hier in Lilinea geboren?" fragte Indara ihn. Caliv lachte verbittert und Indara befürchtete sie hatte etwas falsches gesagt. „Nein. Ich wurde in Gabnu geboren. Das ist ein kleines Dorf fernab jeglichen Lebens. Ich war das einzige Kind, meine Eltern arm. Sie waren einfache Arbeiter und dienten den wohlhabenderen Familien. Wir wohnten in einer kleinen Hütte aus Holz und hatten selten genug zu essen. Als ich 7 war beschlossen meine Eltern mich fortzuschicken." Caliv machte eine Pause, atmete theatralisch aus und setzte erneut zum Sprechen an. „Ich sollte es besser haben als sie in Gabnu. Ich sollte jeden Abend einen vollen Magen und ein warmes Bett haben. Ich sollte eine ordentliche, gut bezahlte Arbeit finden, wenn ich alt genug dazu wäre. Ich hasste meine Eltern dafür, dass sie mich fortschickten, bis zu dem Tag, an dem ich verstand, dass sie das nicht aus böser Absicht getan hatten. Und dass es ihnen genau so das Herz zerbrach wie mir. Meine Eltern schickten mich nach Süden, ich sollte so lange laufen bis ich eine Stadt finden würde, in der es reelle Chancen auf ein gutes Leben gab. Ich tat was sie sagten und fand mich nach 6 tägigem Fußmarsch vor dem Stadttor Lilineas wieder. Chito, mein Kollege am Tor, hatte damals noch alleine über das Tor gewacht. Ich trug ihm mein Anliegen vor und er schickte mich zum Palast des Königs. Ihr Vater, Indara, war wirklich ein äußerst großzügiger Mann. Er bot mir an, erst einmal im Palast zu wohnen aber ich lehnte ab. Meine Eltern lehrten mich, nie einem Erwachsnen auf den Geist zu gehen. Und der kleine Caliv wollte keinem Erwachsenen zur Last fallen oder gar auf den Geist gehen, schon gar nicht einem König. Also ließ er mich ein Haus am Rande der Stadt beziehen, das einer kürzlich verstorbenen alten Dame gehört hatte. Tagsüber war eine Frau bei mir im Haus. Der König schickte sie, ich war schließlich 7 Jahre alt, und zu klein um alleine zu wohnen. Jedoch merkte auch der König, dass ich früh lernte selbstständig auszukommen, und so schickte er sie nie länger als einen halben Tag zu mir. Er ließ mich seinen Garten bewundern. 3 Jahre später verschwand dein Vater. Auch Aras verschwand und ich verdächtigte ihn sofort. Er hatte niemals verstanden, wieso dein Vater mich so liebevoll behandelte und mich hier wohnen ließ. Aras hatte ihm stets eingeredet, er solle mich doch wieder fortschicken. ‚Er kommt aus einer dreckigen Familie, er passt nicht zu uns.' hatte Aras oft zum König gesagt, als er sich unbeobachtet fühlte. Aber das war er nicht. Ich hörte seine Worte, wenn ich meine Wäsche im Palast holte oder auf dem Weg in den Garten war. Mit mit 16 Jahren gab Sindan mir die Aufgabe mit Chito über das Stadttor zu wachen. Das war der Wunsch deines Vaters gewesen." Indara wusste nicht recht was sie sagen sollte, sie fühlte Schmerz tief in ihrem Innern. Aber sie freute sich für Caliv. Sie freute sich aufrichtig, dass es ihm heute gut ging und dass er mit Sicherheit keinen Abend mehr hungrig ins Bett ging. Indara lächelte „Es ist schön dass sie nun hier sind und mir mein neues Leben zeigen können." Caliv lächelte ebenfalls und Indara fielen erneut seine auffällig weißen und strahlenden Zähne auf. Es gefiel ihr wenn er lachte, er übertrug ihr eine gewisse Sicherheit, die sie gerade sehr gut gebrauchen konnte. „Kommen sie, ich zeig ihnen den Rest des Palasts." Caliv stand auf und strich seine Arbeitsuniform glatt. Sie wirkte imposant und Indara konnte sich Caliv nicht in einem kleinen Dorf mit schmutzigen, zerschlissenen Klamotten vorstellen und das wollte sie auch nicht.

Die Prinzessin von LilineaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt