Indara klammerte sich an ihre kleine, schmutzige Umhängetasche, weil ihre Hände vor Aufregung zitterten. In ihrem Dorf erzählte man sich Geschichten, Geschichten über genau diese Stadt. Geschichten, die, wie Indara jetzt feststellte, sehr weit hergeholt waren. Eher Lügengeschichten als Legenden. Indara wusste nicht wieso sie eigentlich hier war. Sie lief auf einem Weg der mitten durch die Stadt führte. Er war breit und auch er war voller wundervoll verspielter Malereien.
Es wimmelte von Menschen, dunkelhäutige, hellhäutige, Menschen mit bunten Gewändern und ausgefallenem Kopfschmuck, Menschen die rote und gelbe Augefarben hatten, Menschen die winzige Tiere hinter sich herschleiften, die Aussahen wie Hunde mit Drachenkopf. Allerdings waren die Köpfe von echten Drachen um einiges anmutiger und hübscher. Dieser Kopf hier, wäre auch als der einer Eidechse durchgegangen. Was waren das denn für Dinger?
Indara hatte derartiges noch nie zuvor gesehen, geschweige denn an die Existenz einer solchen Stadt, mit solch besonderen Einwohnern geglaubt. Ein Hund mit Drachen oder Echsenkopf kam in keiner Geschichte ihrer Mutter vor.
Einige Leute links und rechts des Weges starrten sie mit neugierigen Blicken an, grüßten sogar gelegentlich. Andere bemerkten sie nicht, und gingen geschäftig ihren Arbeiten nach.
Er wusste meinen Namen, dachte Indara. Der Mann am Tor. Er hatte gewusst, wie ihr Nachname lautete. Wenn er ihren Nachnamen kannte, kannte er dann auch den Vornamen?Und woher wusste er von ihrer Ankunft? Indara trug den Nachnamen ihres Vaters. Sie selbst hat ihren Vater nie kennengelernt. Ihre Mutter beantwortete Fragen, die Indara stellte mit einem leichten Kopfschütteln und Tränen in den Augen. Anfangs wusste Indara nicht, wieso ihre Mutter so oft weinte, doch bald schon kam sie darauf, dass es die Fragen und Gespräche über Indaras Vater waren, die ihrer Mutter die Tränen in die Augen trieb. Indara hasste es, wenn ihre Mutter weinte, also unterließ sie bald jegliche Fragen über ihren Vater, die ihre Mutter zum Weinen bringen könnten. Das einzige das Indara wusste, ist dass er Egon Erasa hieß und bei einem Arbeitsunfall tödlich verunglückt war, als sie 1 Jahr alt war. Wo ihr Vater denn arbeitete, verriet ihre Mutter nicht. Einmal hatte sie ein Bild von ihm gesehen, dass ihre Mutter ihr zeigte. Es war darauf ein junger Mann zu sehen, mit blondbraunem Haar und einem schönen Gesicht. Der Mann stand aufrecht und trug eine helle, mit Gold bestickte Uniform. Sofort vermutete Indara, dass ihr Vater ein Soldat gewesen war, und in einem schrecklichen Krieg gefallen war.
Sie selbst hatte genau die selbe Haarfarbe und ein weiches, ebenmäßiges Gesicht.
Viel mehr als das Gesicht und die Schultern sah man auf dem Foto nicht, jedoch sah man diesem Mann die Freundlichkeit an. Seine Augen funkelten in hellem blau, das Lächeln auf seinen Lippen war ehrlich und echt.Und nun hielt sie diesen verdammten Brief in den Händen. Diesen verdammten, mit krakeliger Handschrift geschriebenen, nichtsaussagenden Bief.
„Dort führt ein breiter Weg geradewegs durch die Stadt bis hin zum Palast" las sie sich selbst murmelnd vor. Und dort sollte sie jetzt also hin? Zu einem Palast? Und was sollte sie dort tun? Doch nicht etwa nach dem König dieses Palastes fragen? Was sollte sie dem König sagen? Sie wusste es nicht und der Brief verriet es ihr zu ihrem Ärgernis auch nicht. Hätte er denn nicht etwas mehr in den Brief schreiben können? Eine ungewollte Wut auf ihren Vater und diesen Brief kamen in ihr auf. Sofort fühlte sie sich schrecklich, sie wollte nicht wütend auf ihren toten Vater sein. Es kam ihr vor, als dürfe man nicht wütend auf verstorbene Menschen sein, vorallem, wenn man sie eigentlich gar nicht kannte.
Eine Frage jedoch wurde Indara direkt beantwortet: Das mit dem Gold war definitiv keine Metapher. Wo sie hinsah, sah sie Gold. Gold an den Häusern, Gold in den Gärten, Gold auf den Straßen, Gold in der Kleidung. Sogar einige Schornsteine bestanden ganz aus Gold.
Indara lief also immerzu gerade aus, vorbei an riesigen, mit Gold und Silber gezierten Häusern. Häuser mit gepflegten Vorgärten, in denen Bäume standen, die goldene Äpfel und Birnen trugen. Indara wusste nicht recht ob ein Mensch Äpfel die aus Gold bestünden essen könnte. Einer dieser Drachenhunde konnte so ein Ding mit Sicherheit verschlingen, aber ein Mensch? Je länger sie lief desto mehr Blicke fing sie sich ein. Sie spürte die Blicke in ihrem Rücken, von der Seite, sie schienen von überall her zu kommen.
Was zum Teufel ging hier vor sich? In Gedanken fluchend hastete sie weiter und erschrak, als sich vor ihr plötzlich ein riesiges Gebäude auftat. Der Palast, dort thronte er in der Sonne und glitzerte in allen Farben des Regenbogens. Er war imposant, mächtig, eindrucksvoll und vorallem aber majestätisch. Wer dort lebte musste ein Mann sein, der vor Anmut nur so strotzte. Große und kleine Türme zierten den Palast, Säulen ragten aus dem Boden und verschlangen sich miteinander, drehten sich ineinander ein und es schien als würden Türme und Säulen miteinander tanzen. Der Palast war irgendwas zwischen weiß und gelb, die genaue Farbe konnte Indara einfach nicht ausmachen, so sehr sie sich anstrengte.
Der Palast prahlte mit einer übergroßen Kuppel, die wie ein schützender Schild über der Mitte des Palastes lag. Die Kuppel war mit zahlreichen Mustern verziert, alles schien in mühevoller Arbeit gemeißelt zu sein. Indara war wie erschlagen und sie fühlte sich klein und unbedeutend im Schatten dieses prächtigen Bauwerks. Indara wusste immer noch keine Antwort auf all ihre Fragen, und so entschloss sie sich, einfach anzuklopfen und demjenigen, der ihr öffnen würde den Brief zu zeigen, selbst wenn der König persönlich öffnen würde . Entschlossen stieg sie die 6 langen und breiten Stufen vor dem Eingang des Palastes empor. Die Treppen waren aus Mamor. Marmor, der Gold und Silber gesprenkelt war. Jetzt erkannte sie die Farbe des Palastes. Er war weiß, ebenso wie die große Flügeltür vor der sie nun stand. Sie nahm allen Mut zusammen und nahm den großen goldenen Türring in die Hand. In den Ring war ein prächtiger Löwenschädel eingegossen worden. Zum Glück war keines der Drachenviecher in den Ring gegossen worden. Diese Dinger gingen Indara nicht aus dem Kopf, sie waren außerordentlich seltsam und Indara konnte sich keinen Grund erdenken, so etwas sein Haustier nennen zu wollen. Vielleicht konnten diese Viecher ja sogar Feuer speien, wie richtige Drachen. Oder zumindest Funken spucken, denn sie waren ja keine richtigen Drachen. Indara wusste nicht genau was sie waren. Wie konnte es sein, dass alles an diesem Ort so wundervoll und schön war, bis auf diese Tiere? Sie sahen wirklich grässlich aus, fand Indara, und wollten einfach nicht in diese hübsche Stadt passen.
Der Ring fühlte sich trotz der Wärme in der Luft kalt an, fast schon unangenehm kalt. Dieser Türgriff war wohl das wertvollste, das Indara jemals in den Händen gehalten hatte. Die Türgriff zu ihrem Haus in Talitan, war ein stinknormaler Griff, an einer stinknormalen Tür, die in ein stinknormales Haus führte. Ohne Gold, ohne Löwenschädel, kein Ring, sondern einfach nur ein Türgriff. Ein Türgriff aus Eisen.
Sie schlug den edlen Knauf dreimal gegen die weiße Flügeltür und wartete auf irgendeine Reaktion, den Brief fest in der Hand.
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Die Prinzessin von Lilinea
FantasyWas ist zu tun, wenn man als armes Mädchen in die wohl schönste und reichste Stadt der Welt bestellt wird? Indara wird aufgrund eines Briefs, von ihrem verstorbenen Vater in die goldene Stadt geschickt. Als sie im Palast Sindan, dem besten Freund i...