Ein Toter im Fluss

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Die Sonne stand schon seit einer ganzen Weile hoch am Himmel, einzelne Strahlen fielen in die Höhle herein und verbesserten den Blick auf das raue Gestein. Indara schätzte, dass es wohl schon seit drei oder vier, vielleicht auch schon fünf Stunden Tag sein musste. So genau vermochte sie die Zeit nicht einzuschätzen, in der Höhle vergingen Minuten wie Stunden, Stunden wie Tage. Jedoch hörte sie schon seit einer gefühlten Ewigkeit den Vögeln beim Singen zu.
Aras saß vor der Höhle und schliff erneut die Klinge von Calivs Dolch. Sie sah nur sein rechtes Bein, an dem er sich ab und zu kratzte, der Rest seines Körpers war von den dicken Steinwänden verdeckt.
Nachdem Indara sein teuflisches Vorhaben begriffen hatte, hatte sie wild an den Fesseln rüttelnd nach Hilfe geschrien. Aras war mit erhobenem Messer gefährlich auf sie zugegangen und Indara kniff die Augen zusammen, da sie befürchtete, Aras würde sogleich zustechen um sie zum Schweigen zu bringen. Doch Aras entschied sich nach einem grollenden „Halt's Maul!" für einen kräftigen Hieb in ihr Gesicht. Indara verfiel für einen kurzen Moment der Ohnmacht.
Seitdem sie wieder aufgewacht war, saß sie ruhig in der Höhle und überlegte, dachte dies und das und betete zu den Göttern, sie mögen ihr doch einen Plan geben, einen Plan der sie hier herausbrachte. Ihre Wange fühlte sich an, als wäre sie geschwollen.
Indaras Blick fiel auf den scharfkantigen Stein, mit dem sie ihre Fesseln an der Hand durchgeschnitten hatte. Sie reckte sich und versuchte an den Stein zu gelangen, der einige Meter entfernt auf dem Boden lag. Es war aussichtslos. Ihre Handgelenke waren von Aras erneut zusammengebunden worden, diesmal mit noch weniger Spielraum als zuvor und nicht hinter dem Rücken, sondern vor dem Bauch. Mit den Füßen erreichte sie den Stein auch auf keinen Fall. Sie musste auf ein echtes Wunder hoffen.
Ob Sindan und Caliv schon bemerkt hatten, dass Indara verschwunden war? Suchten sie womöglich schon nach ihr? Bis jetzt hatte Indara noch keine Geräusche von hastenden Soldaten draußen im Wald vernommen.
Plötzlich war Indara elend zumute. Wieso war sie nicht im Palast geblieben? Sie wäre jetzt in ihrem Zimmer und würde in ein paar Stunden mit Caliv und Sindan zu Abend essen. Stattdessen saß sie in einer dreckigen Höhle und Aras würde ihr weder etwas zu essen noch etwas zu trinken bringen. Hoffentlich ging es Sindan gut. Er war wegen des unauffindbaren Diebes ohnehin schon schwach und mutlos geworden. Wahrscheinlich ahnte er noch nicht, dass Indara den Dieb gefunden hatte. Er würde es erst herausfinden, wenn Indaras Leiche gefunden wurde. In der Calivs Dolch steckte. Nein!
„Sie werden mich finden! Sie werden nach mir suchen und dann wirst du eingekerkert!" schrie Indara nach draußen.
Aras drehte sich nicht um, allerdings verstummte das Geräusch der Klinge, die über etwas gerieben wurde.
„Niemand wird dich finden, dreckiges Gör." Aras spuckte aus „Über die Jahre habe ich mir die Magie selbst beigebracht. Diese Höhle ist für niemanden sichtbar, dafür sorgt der Zauber."
Aras hatte die Höhle unsichtbar gezaubert? Die Hoffnung auf eine Rettung durch Caliv und Sindan, die nach ihr suchten erstarb augenblicklich. Sindan hatte ihr einmal erzählt, dass sich gelegentlich Menschen die Magie selbst beibrachten. Jedoch war diese Magie dunkel, und konnte nur dazu genutzt werden Unheil bringen.
Irgendwie musste Indara es selbst hier herausschaffen. Sie musste an Calivs Dolch gelangen, das war die einzige Möglichkeit. Indara zog und riss an den Handfesseln und bemerkte, dass sie zwar weniger Spielraum besaßen und enger zusammengebunden waren, allerdings waren die Seile nach einigem Rütteln nicht mehr stramm, die Knoten leicht gelockert.

Mit neuer Hoffnung, jedoch ohne einen genauen Plan zu haben, schrie Indara nach Aras. Der rappelte sich auf, doch ehe er in die Höhle eintrat, bellte er zurück: „Was ist?!"
„Du wirst niemals König werden. Du bist zu schwach und zu dämlich. In deinen Adern fließt schlammiges Blut." Indara wusste nicht, ob es ein guter Plan war, Aras mit Beleidigungen zu beschmeißen, doch es war der beste er ihr einfiel. Sie musste ihn irgendwie dazu bringen, sich ihr mit dem Dolch in der Hand zu nähern. Und das klappte wohl am besten, indem sie ihn wütend machte. Indara versuchte weiter, die Fesseln der Handgelenke noch etwas zu lockern. Die Fussfesseln saßen fest und stramm auf den Knöcheln.
„Wie war das?" brummte er und trat nun doch in die Höhle.
„Du hast recht gehört. Du kommst aus einer dreckigen Familie. Mein Vater hätte dich sofort und auf der Stelle entlassen sollen!" mit Mühen verbarg Indara das Zittern in ihrer Stimme. Er musste ihr so nah kommen, dass sie auch mit gefesselten Händen nach ihm packen konnte, denn vollständig entkam sie den Seilen nicht. Noch stand Aras einige Meter entfernt und zückte den schimmernden Dolch.
„Was erlaubst du fauliges Miststück dir?!" seine Stimme überschlug sich. „Das wirst du büßen."
„Sindan wird dich hängen lassen für das, was du meinem Vater und mir angetan hast!" schrie Indara und merkte, wie die Fesseln noch ein wenig lockerer wurden. Aras war wirklich nachlässig gewesen, als er den Knoten zugezogen hatte.
Aras kam einen Schritt auf Indara zu und sie  spuckte ihm vor die Füße.
Mit flammender Wut in den Augen stürmte Aras auf Indara zu und stoppte kurz vor ihrem Gesicht.
Perfekt! Er war so nah und die Fesseln so locker, dass sie nach ihm greifen konnte.
„Ich bring dich um, Miststück." die Messerspitze war auf Indaras Herz gerichtet und Sindan holte aus.
„Dein schwarzer Bastard wird hängen, nicht..."
Aras kam nicht dazu seinen Satz zuende zu bringen. Indara griff blitzschnell nach dem Dolch, verfehlte erst und schnitt sich die Handflächen auf. Doch dann bekam sie den Griff des Dolchs zu fassen und drehte ihn Aras geschickt aus der Hand.
Viel zu überrumpelt saß  Aras in der Hocke vor Indara und war wie erstarrt. Als er gerade vor Indara zurückweichen wollte, rammte sie ihm die Klinge mitten in das Unterleib und zog sie sofort wieder heraus. Aras stöhnte, schrie und fauchte, wollte etwas sagen doch seine Worte verwandelten sich in jämmerliches Winseln. Schnell breitete sich ein dunkelroter Fleck auf seinem Hemd aus, dass er unter dem Hemd trug, das an ein Kettenhemd erinnerte. Aras fiel taumelnd zu Boden und hielt sich die Wunde mit den Händen, sie sich sogleich im selben rot färbten, wie das Hemd. Der Dolch in Indaras Hand war ebenfalls blutbeschmiert und auch Indaras Hände bluteten. Später würde sie ihre Wunden versorgen, jetzt musste sie erst einmal hier heraus. Mit schnellen Bewegungen schnitt Indara die Seile an Armen und Beinen mit der blutigen Klinge durch. Aras lag inzwischen reglos auf dem Boden, er atmete flach und das Gesicht hatte er vor Schmerzen verzogen. Die Blutlache hatte sich auch auf dem steinigen Boden der Höhle ausgebreitet. Wahrscheinlich würde es nicht lange dauern, bis Aras verblutet war.

Die Prinzessin von LilineaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt