Prolog

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Ich sah meinen Vater nicht oft. Aber präsent war er immer. Wollte ich raus spielen, hieß es stets ich müsste ihn erst fragen. Wollte ich meine Freunde einladen, brauchte ich seine Erlaubnis. Alles was ich im Unterricht lernte, wurde ihm berichtet. Jedes Buch das ich las, wurde ihm gebracht. Ich bemerkte das alles natürlich erst viel später. Ich hatte meine Mutter einmal gefragt, warum er das tat. Sie meinte er könne nicht anders. Er kontrollierte alles. Deshalb würde er sich auch stets für mich verantwortlich fühlen. Es klang verständlich. Immerhin war er der König. Ich redete mir ein, dass er mich liebte und er mich nur beschützen wollte. Als zehnjähriges Kind konnte ich mir nicht vorstellen, dass es einen anderen Grund geben könnte. Ich sehnte mich danach ihn stolz zu machen. Eines Tages schlich ich mich sogar in seine Gemächer. Die Geheimgänge kannte nur die königliche Familie und einige Wachen der Leibgarde. Ich hockte in dem Schrank, der die Verbindung zum Tunnel war und öffnete die Tür einen Spalt breit. Mein Vater stand mit dem Rücken zu mir. Als er ein Stück zur Seite trat, sah ich meine Mutter aufrecht auf einem Stuhl sitzen. Ihre dunklen Haare waren hochgesteckt. Ihre Lippen dunkelrot bemalt. Ihr Kleid war weinrot mit Gold durchstickt. Mein Kindermädchen sagte immer sie sei die schönste Frau der Welt. Ich gab ihr recht.

"Sie möchte mehr Zeit mit dir verbringen", sagte meine Mutter gerade.

Sie sprach ruhig und beherrscht. Ich hatte noch nie erlebt, dass sie laut wurde. Mein Vater trat wieder vor meine Mutter. Er hielt ein Glas mit dunkler Flüssigkeit in der Hand.

"Es ist nicht meine Aufgabe sie zur Frau zu erziehen", erwiederte er ärgerlich.

Im Gegensatz zu der Stimme meiner Mutter, hallte sie laut durch den Raum.

"Ich kann ihr schlecht ein Schwert in die Hand drücken, um ihr das Kämpfen beizubringen als wäre sie ein Junge."

Er kippte das Glas herunter als würde er sich über diesen Umstand ärgern. Er trat zur Seite und stellte das Glas ab. Meine Mutter presste die Lippen zusammen.

"Sie ließt gerne. Rede mit ihr über die Bücher die sie gelesen hat. Oder frag sie was sie gerade im Unterricht gelernt hat."

Mein Vater machte eine harsche Handbewegung.

"Damit sie mir Kindergeschichten vorlesen kann? Denkst du dafür hab ich Zeit?"

Meine Mutter schwieg.

"Sie wird älter werden und klüger", meint sie dann.

"Es reicht!"

Mein Vater holte aus und schlug meine Mutter auf die Wange. Ich zuckte zusammen. Der Kopf meiner Mutter wurde herumgeschleudert. Eine Locke löste sich aus ihrer Hochsteckfrisur. Sie gab keinen Ton von sich hielt aber ihr Gesicht abgewandt.

"Sie ist ein Mädchen. Frauen verstehen nichts davon wie man ein Reich regiert. Ich werde meine Zeit nicht für sie verschwenden. Hast du verstanden?"

Die Stimme meiner Mutter zitterte nicht als sie bejahte. Mein Vater musterte sie noch kurz.

"Lass dir etwas gegen die Schwellung geben. Bis zum Bankett heute abend muss das wieder in Ordnung sein."

Dann ging er und ließ die Tür hinter sich laut ins Schloss fallen. Ich zuckte zusammen. Langsam richtete sich meine Mutter auf. Ich gab einen erschrockenen Laut von mir als sie ich die gerötete Wange sah. Ihr Kopf fuhr herum.

"Wer ist da?", fragte sie scharf.

Ich stieß zögerlich die Tür auf und kletterte vorsichtig aus dem Schrank. Meine dicken Röcke behinderten mich dabei.

"Samira,  was machst du da?"

Sie stand auf und ich lief zu ihr.

"Es tut mir leid, ich wollte nicht lauschen", stammelte ich.

Sie hockte sich  vor mich.

"Ist schon gut."

Sie strich mir eine Strähne hinters Ohr. 

"Warum hat Vater dir wehgetan?", fragte ich.

Zornig ballte ich die Hände.

"Das darf er nicht. Du tust ihm schließlich auch nicht weh."

"Samira", fuhr mich meine Mutter an.

Ich sah sie verblüfft an. So hatte sie noch nie mit mir gesprochen.

"Es ist sein gutes Recht. Ich hab an seiner Entscheidung gezweifelt. Eine gute Ehefrau sollte ihren Mann immer unterstützen. Merk dir das."

Sie richtete sich auf.

"Warum denkt er, dass ich nicht lernen könnte wie man ein Land regiert?", fragte ich leise.

"Ich zweifel nicht daran, dass du das könntest. Aber es macht die Männer wütend, wenn Frauen so viel wissen wie sie."

"Warum?", fragte ich wieder.

Meine Mutter hob die Schultern.

"Ich weiß es nicht, Samira. Ich weiß es nicht."

Sie schickte mich fort und ich ging zurück auf mein Zimmer. Ich hatte den ganzen Weg über Angst meinem Vater zu begegnen. Wollte ich vorher noch von ihm bemerkt werden, so hoffte ich nun unsichtbar zu sein. Ich wurde erwischt. Aber zum Glück nicht von meinem Vater, sondern von meinem Kindermädchen. Sie schleifte mich zum Benimmunterricht den ich verpasst hatte. Meine Lehrerin war eine alte Dame, die mich missbilligend anschaute. Unter ihren Blick schrumpfte ich zusammen.

"Pünktlichkeit ist eine Tugend, verstanden junge Dame?"

Ich nickte eingeschüchtert.

"Du wirst die zukünftige Königin. Alle Augen sind auf euch gerichtet. Ihr müsst ein Vorbild für die jungen Mädchen sein, ein Ideal an Höflichkeit, Eleganz und Schönheit."

"Auch Klugheit?", warf ich fragend ein.

Sie schnalzte mit der Zunge.

"Unterbrich mich nicht. Natürlich müsst ihr auch die Kunst der Konversation beherrschen. Aber deswegen bin ich ja hier."

Ich wusste nicht ob die Kunst der Konversation dasselbe war wie Klugheit. Aber ich nahm mir vor das herauszufinden. Denn ich wollte meine Lehrerin nicht schon wieder unterbrechen. Der Unterricht ging quälend langsam vorbei. Ich lernte richtig Tee zu trinken, richtig zu laufen, zu sitzen, zu reden, zu tanzen, einfach alles. Es war anstrengend und ich machte das schon seit Jahren. Doch ich bemühte mich. Dabei vergaß ich sogar fast, was ich heute gesehen hatte. Bis es abend wurde und ich mich fertig machen musste. Um perfekt auszusehen, wenn ich beim Bankett neben dem König sitzen würde. Ich zitterte bei dem Gedanken daran. Ob er mir ansehen würde, dass ich gelauscht hatte? Würde er dann auch so wütend werden wie bei meiner Mutter? Ich krallte meine Finger in mein Kleid und schritt die letzten Schritte zur Empore. Ich hörte die Menschen unten im Saal reden und lachen. Dann trat ich ans Geländer.

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