Kapitel 12

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Ein Klopfen an der Tür weckte mich.

"Herrin? Ist alles in Ordnung? Könnt ihr mich herein lassen?"

Eigentlich wollte ich niemanden sehen. Ich fühlte mich wie zerschlagen und ein Blick in den Spiegel sagte mir, dass ich auch so aussah. Mein Auge war blau, lila angeschwollen. Mein Gesicht vom Weinen gerötete, meine Haare durch den Schlaf verknotet und zerzaust. Trotzdem stand ich auf und schlürfte zur Tür, denn wenn ich nicht aufmachte, würde Djana sich Sorgen machen. Ich öffnete die Tür. Djana riss entsetzt die Augen auf als sie mich sah.

"Prinzessin, was...was ist den mit euch passiert?", stammelte sie.

"Kommst du rein?", fragte ich und zog die Tür ein Stück weiter auf.

Ich wollte ihr nicht auf dem Flur erzählen, was passiert war. Eigentlich wollte ich gar nichts sagen. Zu groß war der Schmerz und die Beschämung. Djana schlüpfte in den Raum und blieb abrupt stehen.

"Samira, wart ihr das?"

Ich sah mich in dem zerstörten Raum um.

"Ja", seufzte ich erschöpft.

"Was ist passiert?", wiederholte Djana und sah mich mitfühlend an.

Ich wich ihrem Blick aus.

"Ich will nicht darüber reden."

"In Ordnung", murmelte Djana, "dann mache ich dich nun fertig für das Abendmahl."

"Nein", widersprach ich scharf.

Djana zuckte zusammen. Es war mir egal.

"Lass dem König ausrichten, ich fühl mich nicht wohl und will mich schon hinlegen."

Ich wollte meine Eltern zumindest heute nicht mehr sehen müssen.

"Wie du meinst", murmelte Djana und drehte sich um.

Sie ging aus dem Zimmer und ließ mich für einen Moment allein. Ich rieb mir erschöpft die Stirn. Es war nicht richtig gewesen, Djana so anzufahren. Sie konnte nichts für meine Situation. Ich sah mich im Zimmer um. Das Chaos war ein Zeichen meiner hilflosen Wut gewesen. Ich spürte, dass sie immer noch in mir brodelte. Aber fürs Erste war sie ruhiger geworden. Ich besann mich auf die Situation und begann aufzuräumen. Bald darauf kam Djana herein und brachte einen Besen, einen Lappen und einen Leinensack mit. Zusammen kehrten wir die Scherben und Federn auf. Anschließend wischten wir noch den Boden, um jeden noch so kleinen Splitter zu entfernen. Djana würde alles unbemerkt entfernen.

"Danke", sagte ich und meinte es auch so.

Djana schüttelte den Kopf.

"Das ist meine Aufgabe."

"Deine Freundlichkeit ist nicht selbstverständlich", erwiderte ich.

"Hilfst du mir", fragte ich, "und zupfte an den Schnüren, die mein Kleid hielten, "ich würde gerne ein Bad nehmen."

Sofort kam Djana zu mir und befreite mich aus dem engen Kleid. Dann ging sie ins Nebenzimmer, um alles vorzubereiten. Ich folgte ihr und saß bald darauf im warm dampfendem Wasser.

"Ich werde etwas brauchen, um den Bluterguss zu verdecken", murmelte ich und sprach eher zu mir als zu Djana.

Viele adlige Frauen nutzen ein Puder, um sich blasser zu machen. Auch meine Mutter. Ich hatte mich gegen diese Art von unnatürlicher Verschönerung gewehrt. Aber jetzt würde es notwendig sein.

"Ich kümmere mich darum", versprach Djana und ich nickte dankbar.

Dann half sie mir aus dem Wasser und machte mich für die Nacht bereit. Sie rieb mir auch noch mal etwas Salbe auf die Handflächen. Ich bemerkte sehr wohl, dass sie noch etwas länger blieb und mir die Haare kämmte bis sie glänzten. Als ich dann im Bett lag stand sie unschlüssig daneben.

"Es geht mir gut, Djana", versicherte ich ihr.

Eine Lüge.

"Geh und schlaf auch ein wenig. Du hast es dir verdient."

Seufzend nickte sie und drehte die kleine Lampe, in der eine Gasflamme brannte, aus.

"Bis morgen", verabschiedete sie sich und verließ das Zimmer.

Ich lag ruhig da und lauschte meinen Atemzügen. Mein Körper fühlte sich immer noch leicht zerschlagen an. Aber meine Gedanken waren hellwach und ließen mich nicht zur Ruhe kommen. Ich schloss die Augen und riss sie gleich darauf wieder auf, weil die komplette Dunkelheit Bilder hervor beschwor, die ich lieber vergessen wollte. Ich drehte mich erst auf die eine Seite und dann auf die andere. Aber der Schlaf holte mich nicht ein. Ich setzte mich auf und starrte zur Balkontür. Die Vorhänge waren zugezogen, trotzdem fiel etwas Mondlicht in den Raum. Ich rutschte vom Bett und ging zur Balkontür. Sacht zog ich die Vorhänge zurück und öffnete die Tür. Ich trat ohne Schuhe an den Füßen nach draußen. Das Nachtgewand war lang genug und konnte schon fast als Kleid durchgehen, sodass ich keine Angst hatte gesehen zu werden, sollte sich jemand im Palastgarten aufhalten. Was ich um die späte Stunde bezweifelte. Ein leiser Wind strich über meine Schulter. Die Blätter unter mir raschelten. Ich hörte das Plätschern einiger Springbrunnen, die Tag und Nacht betrieben wurden.

Mich packte der Drang nach draußen zu gehen und meine Füße im weichen Gras zu vergraben. Da der Garten innerhalb der Schlossmauern lag, wurde er auch nicht von Wachen bewacht. Ich trat wieder in mein Zimmer und schloss die Tür. Dann schlüpfte ich in Sadalen und warf mir eine dünne Jacke über. So leise wie möglich öffnete ich die Zimmertür und schlich auf den Flur. Die Tür zum Schlossgarten lag nur eine Etage tiefer. Ich schlich die Treppe hinunter und lauschte die ganze Zeit auf verräterische Geräusche. Unten angekommen wandte ich mich zur Tür die in den Garten führte. Nur Angehörigen des Königshaus war es gestattet ihn zu betreten. Und natürlich wurde er für Feste geöffnet. Ich drückte die Tür auf und betrat den Garten. Sobald ich drinnen war, zog ich meine Schuhe aus und vergrub meine Füße im weichen Gras. Tief atmete ich die frische Luft ein und schlenderte los. Hier würde ich ungestört sein. Ich gelangte zur Mitte des Gartens. Brücken führten über einen künstlich angelegten Fluss zur Mitte, wo eine Statue meinen Vater darstellte. Stolz stand er da und hielt den Blick hoch erhoben. Eine Hand hielt er ausgestreckt. Dort hielt er ein Zepter. Ich wollte mich gerade abwenden als ein dunkler Schatten über mich hinweg flog. Ich duckte mich unwillkürlich. Ein kurzer Flügelschlag dann landete der Vogel auf dem Arm der Statue. Atemlos sah ich auf. Ein Falke hatte sich hier her verirrt. Sein Gefieder war samten braun. Er starrte mich an. Ich starrte zurück und sah ihn genauer an. Er hatte etwas an seinen Fuß gebunden. Ich wollte gerade näher heran treten als ein Rascheln im Gebüsch mich aufschrecken ließ.

Royal Goldene MauernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt