Kapitel 20

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Ich erwachte und fühlte mich als hätte ich mein halbes Leben lang geschlafen. Wenn ich mich richtig erinnerte, hatte meine Mutter mir zwischendurch immer mal wieder Wasser und Suppe eingeflöst. Ich fühlte mich definitiv besser. Eine Decke war über mir ausgebreitet worden. Ich schlug sie zurück. Oh je, mein Kleid, welches eigentlich einer Zofe gehörte, war total verdreckt. Ich glaubte nicht, dass man es nochmal retten könnte. Schritte ertönten. Der Diener meiner Mutter erschien aus einem Nebenzimmer. Er war schon älter. Seine Haare waren grau, sein Gesicht runzelig. Aber er hielt sich gerade  und war auch noch kräftig, wenn ich an gestern dachte. Falls es gestern gewesen war. Er trug ein Tablett mit einer Kanne, aus der Dampf stieg. Erst als er näher kam, bemerkte er, dass ich mich aufgerichtet hatte.

"Oh, ihr seid wach, Prinzessin. Das ist gut. Die Königin hat befohlen, dass ihr sofort ein Bad nehmen sollt, wenn ihr aufgestanden seid. Ich werde gleich die Zofen rufen."

Ich nickte.

"In Ordnung."

Tatsächlich konnte ich ein Bad gerade ganz gut vertragen. Der Diener, Salim, stellte das Tablett auf den Tisch neben mir ab und verschwand wieder. Neben der Kanne samt Tasse stand auch noch eine Schüssel mit Suppe und ein Stück Brot. Vorsichtig aß ich die Suppe und verschlang auch gleich noch das Brot als mein Magen damit einverstanden war. Ich roch Kamillentee in der Kanne und goss mir einen Schluck ein. Dabei überlegte ich, warum mir die Stimme von Salim so bekannt vorkam. Gesehen hatte ich ihn noch nie, da war ich mir sicher. Plötzlich fiel mir ein, woher ich die Stimme kannte. Er war im Palastgarten gewesen und hatte die Nachricht von dem Falken entgegen genommen. Ich setzte die Tasse ab. Ich war mir ziemlich sicher, dass er mich nicht gesehen hatte. Es war nicht ungewöhnlich Vögel mit Nachrichten zu verschicken. Das taten höchstens die Adligen und selbst bei ihnen war es ungewöhnlich, weil nur kurze Nachrichten verschickt werden konnten. Die meisten entschieden sich per Kurier ihre Post zu verschicken. Was für eine Nachricht sollte der Diener der Königin bekommen? Meine Mutter würde Briefe über die Post verschicken. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie so einen Auftrag nicht gegeben hätte. Oder vielleicht doch? Aber warum sollte sie das tun? Ich setzte eine unbeteiligte Miene auf als Mutters Diener zurück kam.

"Euer Bad ist fertig und die Zofen sind bereit, Prinzessin."

Ich stand auf und folgte ihm. Er führte mich zum Baderaum und überließ mich dann der Obhut der Zofen von meiner Mutter. Sie rümpften die Nase über meinen Gestank, zogen mir das Kleid aus, halfen mir in den Badezuber und begannen meine Haare zu waschen.

"Hoffentlich werden wir noch rechtzeitig fertig", jammerte eine von ihnen.

"Bei den verfilzten Haaren könnte das noch einige Zeit dauern", prophezeite jene, welche sich an meinen Haaren zu schaffen machte.

"Warum müssen wir uns denn beeilen?", fragte ich verwirrt.

"Aber Prinzessin, ihr werdet doch wohl nicht euren eigenen Geburtstag vergessen und den großen Ball, welcher euch zu Ehren gegeben wird."

"Oh", sagte ich nur, denn ich hatte es tatsächlich vergessen.

Vor einem Moment hatte ich ja noch nicht einmal gewusst, welcher Tag heute war. Die Zofe hinter mir hatte meine Haare gründlich genug eingeseift und begann sie nun auszuwaschen. Als sie fertig war, stieg ich aus dem Wasser und fühlte mich schon fast wieder wie ein Mensch. Ich trocknete mich alleine ab, obwohl die Zofen protestierten. Dann wurde mir schon das Unterkleid für mein Ballkleid später übergezogen. Aber bevor ich das anziehen konnte, mussten noch meine Nägel geschliffen und mein Gesicht dezent geschminkt werden. Ich ließ es über mich ergehen. Und obwohl ich sie vor allem bei meinem Gesicht bat sich zurück zu halten, dauerte es ewig.

Dann war ich soweit mein Ballkleid zu sehen. Ich hoffte, dass es nicht zu übertrieben war. Ich trat ins Ankleidezimmer. Mir blieb die Luft weg als ich mein Ballkleid sah. Es war in den Farben des Sonnenuntergangs gehalten. An meiner Schulter war es golden, die Ärmel gingen knapp über den Ellenbogen, dann öffneten sie sich weit und fielen bis zur Mitte des Rockes. Zum Glück waren meine Hände wieder verheilt, denn Handschuhe waren für dieses Kleid nicht vorgesehen. An den Ärmeln waren aufwendige Stickereien angebracht. Das Kleid verdeckte meine Schultern nur knapp, es hatte einen Tropfenausschnitt. An meiner Hüfte ging das Gold kurz in ein tiefes Orange über und wurde zu einem unglaublichen Rot. Ganz unten am Saum waren die Stickereien von den Ärmeln noch einmal aufgenommen worden und brachten in den einfachen Farbverlauf Bewegung. Ich mochte dieses Kleid, obwohl es nicht gerade dezent war. Die vielen Lagen von leichtem Stoff würden zwar beim Tanzen wunderbar umher wirbeln, aber ich würde auch aufpassen müssen nicht zu stolpern.

Die Zofen halfen mir mit erfürchtigem Staunen ins Kleid. Dann musste ich noch einmal still halten, weil mir die Haare gelockt und nach oben gesteckt wurden. Nur einzelne Locken umspielten mein Gesicht und eine größere legte sich aus der Hochsteckfrisur über meine Schulter. Das Ergebnis konnte sich eideutig sehen lassen. Trotzdem wollte ich nicht zu diesem Ball. Erstens würde ich dort gezwungenermaßen meinen Vater wieder sehen. Zweitens müsste ich mit fast allen adligen Söhnen tanzen und natürlich mit dem Prinzen des östlichen Königreiches, unseren Verbündeten. Egal, nichts was ich dachte, würde daran etwas ändern.

Meine Mutter trat ins Zimmer. Sie war schon vollständig fertig gemacht. Mir stockte der Atem bei ihrer Schönheit. Ihr dunkles Haar war zu einem Dutt zurück gebunden. Das betonte ihr schmales Gesicht und ihre hohen Wangenknochen. Ihre Augen waren wie meine schwarz umrandet. Der Rotton auf ihren Lippen passte perfekt zu ihrem Kleid. Es war bis oben geschlossen. Ihr Kragen war aufgestellt. Mir fiel auf, dass es das gleiche Rot war, welches auch mein Kleid in sich trug. Ein goldener Gürtel schlang sich um ihre Taille. Sie trug über ihren engen Ärmeln noch schwarze Handschuhe. Sie passten perfekt zu ihrem dunklen Haaren.

"Du siehst wunderschön aus", sagte ich.

Sie sah viel jünger aus als ihr Alter vermuten ließ, trotz der kleinen Sorgenfalten um ihren Augen. Sie schenkte mir ein ehrliches Lächeln.

"Alles Gute zum Geburtstag, Schatz. Ich hoffe das wird eine unvergessliche Nacht für dich."

Ich zwang mir ebenfalls ein Lächeln auf die Lippen. Unvergesslich würde diese Nacht bestimmt werden, allerdings wahrscheinlich nicht so wie ich mir einen Geburtstag vorstellte. Ich hätte nie gedacht, dass meine Befürchtungen sich als so wahr erweisen würden.

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