Kapitel 23

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Ich erreichte den Tisch. Das eine Mädchen hatte mich den ganzen Weg über beobachtet.

"Könnt ihr mir folgen?", fragte ich sie immer noch flüsternd.

Sie brauchte ein wenig um zu antworten. Offensichtlich saß ihr der Schock immer noch in den Knochen.

"Leynas Bein wurde vom Kronleuchter verletzt. Ich habe sie darunter hervorgezogen, aber sie kann nicht laufen."

Ein Schluchzen ließ ihre Stimme erbeben.

"Kann sie krabbeln?"

Bei meiner Frage zuckte sie hilflos mit den Schultern und wandte sich zu dem anderen Mädchen um. Diese reagierte erst gar nicht als sie angesprochen wurde, sondern starrte stumpf auf ihr Bein. Als ich meinen Blick darauf richtete, musste ich ein Würgen unterdrücken. Es war nicht mehr als Bein erkennbar. Ihr Kleid war ab dem Knie zerissen. Die kläglichen Reste konnten das Grauen nicht verdecken. Das Bein war seltsam deformiert, fast zerquetscht. In ihm steckten abertausende Scherben und winzige Splitter. Das Licht ließ sie funkeln als wäre ihr Bein selbst aus Glas. Blut sammelte sich in einer Pfütze unter ihrem Bein. Es färbte die Scherben rot.

"Sie muss es wenigstens versuchen. Ich kann euch hier raus bringen."

Ich hoffte sie hörte die Dringlichkeit in meiner Stimme. Ich hörte wie eine Wache rief, dass die Menschen langsam und ohne Panik den Saal verlassen sollten. Sie würden die Leute in Sicherheit bringen. Aber das galt nicht für die Bediensteten. An sie würde keiner einen Gedanken verschwenden. Ich kroch unter dem Tisch an dem ersten Mädchen vorbei zu dem mit dem zertrümmerten Bein. Ich schob meine Schulter unter die des Mädchens und versuchte sie zu bewegen. Sobald ich das tat, schrie sie auf. Erschrocken ließ ich sie wieder los und ließ eine Hand auf ihren Mund fallen. Im Moment wusste keiner so genau wo der Feind war. Sie verstummte wieder. Ich drehte mich wieder zu dem anderen Mädchen um und sah ihr fest in die Augen.

"Wir können Leyna nicht bewegen ohne sie weiter zu verletzen. Wir bringen zuerst dich in Sicherheit."

Verhemmt schüttelte sie den Kopf.

"Ich werde Leyna nicht im Stich lassen."

"Das musst du nicht. Die Wachen bringen gerade die Menschen raus. Ich werde einen von ihnen bitten Leyna rauszutragen."

"Dann möchte ich trotzdem bei ihr bleiben."

Da ich sah, dass ich sie nicht umstimmen würde, gab ich nach. Ich kroch unter dem Tisch hervor und richtete mich auf.

"Bleibt hier", murmelte ich und lief dann los.

Der Saal war verwüstet. Ich bahnte mir meinen Weg bis zur Treppe. Die nächste Wache stand am Fuß der Treppe und schaute, dass die Menge sich nicht über den Haufen rannte. Er drehte sich ein wenig.

"Faris", rief ich als ich ih  erkannte.

Verwundert sah er sich um. Sein Blick fiel auf mich. Erkennen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Ich hastete zu ihm.

"Faris, ihr müsst mir helfen."

"Prinzessin, was tut ihr noch hier?", fragte er fassungslos.

Sofort sah er sich nach Gefahren um. Dann packte er mich am Arm.

"Kommt, ich bringe euch in Sicherheit."

"Nein", sagte ich und riss mich los.

"Meine Freundin ist schwer verletzt. Ihr müsst mir helfen sie hier rauszutragen."

Sie als Freundin zu bezeichnen würde ihn hoffentlich schneller überzeugen. Ich drehte mich um und rannte los bevor er protestieren konnte. Ich hörte ihn etwas murmeln, was wie "sturres Frauenpack" klang. Aber er folgte mir. Ich führte ihm zum Banketttisch und hob das Tischtuch. Das Dienstmädchen zuckte zurück und entspannte sich als es mich sah.

"Ihr seid zurück gekommen", murmelte es und klang so erleichtert als hätte sie es nicht geglaubt.

Es krabbelte unter dem Tisch hervor. Ich nickte nur und wandte mich zu Faris um.

"Könnt ihr das zweite Mädchen hochheben?"

Faris bückte sich und schaute sich das zweite Mädchen an. Er hohlte scharf Luft als er die Verletzung sah. Dann griff er furchtbar sanft nach ihr. Sie lag inzwischen, fast bewusstlos und stöhnte nur leidvoll als Faris sie hervor holte. Ohne Mühe nahm er sie auf den Arm.

"Bleibt dicht bei mir, Prinzessin", befahl er und ging dann los.

Ich folgte ihm. Plötzlich brach Panik auf der Treppe aus. Erneut ertönten Schüsse. Diesmal oberhalb der Treppe. Dunkle Gestalten stürmten in die Menge. Eine Massenpanik entstand erneut. Die Menge drehte um und rannte auf die offenen Türen des Palastgartens zu.

"Lasst euch nicht weg drängen", brüllte Faris mir zu.

Zu spät. Eine Frau rannte gegen mich und warf mich zurück. Ich fing mich und wollte mich wieder nach vorne zu Faris drängen. Keine Chance. Die Massen verschluckten mich. Ein Mann stieß mich zu Boden. Jemand trat mir in die Rippen. Schnell kam ich wieder auf die Füße bevor ich einfach zertrampelt werden konnte. Adrenalin schoss durch meine Adern. Die Angst der Menge griff auf mich über. Ich rannte mit ihnen und schaffte es kurz vor der offenen Tür zum Garten hinter einer Säule Schutz zu suchen. Keuchend versuchte ich Luft zu holen. Die Menschen strömten an mir vorbei. Aber im Palastgarten würde es keinen Ausweg geben. Hier im Saal gab es Türen zu Geheimgängen. Ich musste nur die Wand erreichen. Ich holte einmal tief Luft und warf mich dann wieder in die herausströmenden Menschen. Als Einzige in die entgegengesetzte Richtung zu laufen, war unglaublich mühevoll. Menschen rissen an meinen Haaren und meiner Kleidung in dem Versuch mich aus dem Weg zu bekommen.

Eine Hand schloss sich um mein Handgelenk und riss mich zur Seite. Erschrocken taumelte ich aus der Masse heraus. Eine Hand andere Hand legte sich über meinen Mund, um meinen erschrockenen Schrei zu ersticken. Ich wurde weiter gezerrt. Die Hand um mein Handgelenk löste sich, nur dass sich dann ein Arm um meine Kehle schlang. Ich wand mich, strampelte und versuchte sogar zu beißen, um von meinem Entführer loszukommen. Es konnte nur einer von den Attentätern sein. Warum entführte er mich, anstatt mich gleich umzubringen? Er strebte auf die Wand zu, genau wie ich es vorgehabt hatte. Fassungslos sah ich zu wie sich seine Hand von meinem Mund löste und zielsicher die versteckten Tasten hinter dem Wandteppich fand. Die Tür öffnete sich. Der Angreifer stieß mich hinein, folgte mir  und schloss die Tür hinter dem Wandteppich zu fallen. Ich wich zurück als die Gestalt sich zu mir umdrehte. Er hatte einen schwarzen Mantel um. Die Kapuze war tief ins Gesicht gezogen. Seine untere Gesichtshälfte wurde von einem Tuch verdeckt. Dunkle Augen schienen mich zu durch bohren. Er schlug die Kapuze zurück und löste das Tuch von seinem Gesicht. Mein Mund klappte auf und ich konnte ihn nur anstarren.

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