Kapitel 4

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Die Leute drehten sich zu mir um.

"Aufhören", wiederholte ich als der Mann den Jungen näher zu sich zog.

"Misch dich nicht ein. Der Junge hat mir das Brot gestohlen. Bevor ich ihn der Palastwache übergebe werde ich ihn mir selbst vornehmen."

Er spuckte vor mir auf den Boden. Ich kniff die Lippen zusammen. Mein Blick landete auf den Jungen. Seine zerissene Kleidung schlackerte um den mageren Körper. Seine Hände und sein Gesicht waren mit Dreck verschmiert.

"Wie teuer war das Brot?", verlangte ich zu wissen.

"Was geht es euch an?"

"Ich werde euch das Brot bezahlen."

Er musterte mich misstrauisch.

"Zwei Silberlinge", sagte er dann.

Die Gier nach dem Geld überwog dem Wunsch nach Bestrafung. Ich hatte kein Geld dabei, aber ich hatte nicht den ganzen Schmuck abgelegt als ich mich umgezogen hatte. Jetzt zog ich den glodenen Ring vom Finger und hielt ihn in die Luft, sodass er glänzte. Die Menge raunte.

"Ich geb dir diesen Ring aus Echtgold, wenn du dem Jungen das Brot überlässt und noch ein neues gibst. Außerdem lässt du ihn unbehelligt gehen."

"Woher soll ich wissen, dass das keine Täuschung ist?", rief er grrimmig.

Mir rutschte das Herz in die Hose. Ich wandte mich zu der kaffenden Menge.

"Gibt es unter euch einen Goldschmied der meine Ehrlichkeit bezeugen kann?"

Ich wartete mit angehaltenen Atem. Schließlich trat ein alter Mann hervor. Er kam zu mir und ich legte den Ring in seine faltigen Hände. Die Menge fing an zu flüstern als der Mann den Ring begutachtete und hin und her drehte. Seine Augen wurden groß und er drehte ihn nochmal. Dann gab er ihn mir zurück. Die Menge verstummte.

"Er ist echt", krächzte er dann und schlürfte zurück.

Ich drehte mich zum Händler um.

"Nimmst du mein Angebot an?"

Er nickte eifrig. Er ließ den Jungen los und gab mir das neue Brot. Ich drehte mich zu dem Jungen um, der das alte Brot gerade vom Boden aufhob und losrannte.

"Warte", rief ich und raffte meinen Rock, um ihm hinterherzulaufen.

Die Menge zerstreute sich nur langsam und machte die Verfolgung schwierig. Mein Kopftuch rutschte von meinem Haar, aber ich blieb nicht stehen, um es wieder überzuziehen. Immer wenn ich dachte ich hätte den Jungen bald eingeholt verschwand er in einer Seitengasse. Ich spornte meine Beine an schneller zu laufen. Doch schon bald musste ich aufgeben. Im Palast hatte ich nicht viele Möglichkeiten meine Ausdauer zu verbessern. Und so hielt ich schnaufend an und lehnte mich keuchend an eine dreckige Mauer. Für einen Moment schloss ich die Augen und atmete tief durch. Nach ein paar Minuten hatte ich mich soweit beruhigt, dass ich mir die Gasse in der ich gelandet war, näher anschauen konnte. Ich runzelte die Stirn. Der Putz blätterte von den Häusern. Die Dächer waren zum Teil eingestürzt. Ich sah auch keine Leute mehr. Ich ging vorsichtig weiter. Aber in jeder Straße bot sich das gleiche Bild. Abfall lag am Rand. Scheiben waren zersplittert. Plötzlich bewegte sich ein Haufen neben mir. Erschrocken sprang ich zur Seite. Verfilzte Haare umrahmten ein ausgezertes Gesicht. Es war ein Mensch. Ich konnte nicht sagen ob Frau oder Mann. Ich wich weiter zurück, aber die Person bemerkte mich nicht mal richtig. Sein Blick irrte verwirrt umher und konnte sich auf nichts fokussieren. Schnell hastete ich weiter. Nachdem ich um einige Ecken gebogen war, begegneten mir ähnliche Gestalten, die am Wegesrand hockten. Sie sahen nicht ganz so schlimm aus, waren aber nahe dran. Ich drückte mein Brot einer Frau in die Hand, dessen Augen sich vor Überraschung mit Tränen füllten. Ich ging schnell weiter. Ich verdiente ihre Dankbarkeit nicht. Ich hatte ein schönes Leben im Palast und hatte mir bis heute nicht mal Gedanken gemacht, wie es den Menschen in der Stadt gehen könnte. Ich war entsetzt. Und das schlimmste war, dass ich immer weiter gehen konnte, es wurde nicht besser. Jeder leblose Blick traf mich. Es waren auch viele Kinder, die betroffen waren. Den Jungen sah ich nicht mehr, aber dafür andere Kinder, die sich um die Abfälle prügelten. Ich war regelrecht froh als ich in eine leere Gasse stolperte. Bis ich Schritte hinter mir hörte. Ich drehte mich mit klopfenden Herzen um. Zwei Gestalten waren hinter mir. Beide hatten sich Tücher ums Haupt geschlungen, sodass ich ihre Gesichter nicht erkennen konnte. Aber ihre Schritte waren fest. Der eine hob den Kopf und ich sah in seine dunklen Augen.

"Hey Mädchen, bleib doch mal stehen."

Seine Stimme war eindeutig männlich. Ich hatte nicht die Absicht seinen Worten zu folgen, sondern drehte mich um und rannte los. Flüche folgten mir und dann hörte ich Schritte wie sie mir folgten.

"Wir wollen dir doch nichts tun."

Ich glaubte ihnen kein Wort und beschleunigte meine Schritte. Mein Herz wummerte in meiner Brust. Ich war immer noch im Armenviertel. Und ich kannte mich hier nicht auf. Jedes Mal, wenn ich in eine Gasse einbog hatte ich Angst in einer Sackgasse gelandet zu sein. Mein Atem ging keuchend und ich verfluchte meine mangelnde Ausdauer. Mein Kopf malte sich Bilder aus was sie machen würden, wenn sie mich schnappten. Meine Beine brannten. Und dann wurde mein Albtraum war. Ich bog in die nächste Gasse und stand vor einer Mauer. Sie war nicht hoch, aber ich bezweifelte, dass ich darüber kommen würde. Entsetzen machte sich in mir breit und ich wirbelte herum. Doch die zwei Männer bogen gerade in die Gasse ein.

"Was wollt ihr?", rief ich und wich näher zur Mauer.

"Du hast auf dem Markt einen schönen Ring verschenkt. Gib uns auch ein goldenes Schmuckstück und wir lassen dich gehen."

Sie kamen näher und ich ballte die Hände. Ich hatte keinen Schmuck mehr. Anscheinend erriet der eine meine Gedanken.

"Wenn du keinen Schmuck mehr hast, nehmen wir uns halt was anderes."

Sein Blick glitt über meinen Körper und ich hob flehend die Hände. Angst durchflutete mich und lähmte mich. Mein Blick flog durch die Gassen nach einen Ausweg und fand einige maroden Kisten, die gestapelt an der Mauer lehnten. Ich überlegte nicht lange und rannte los. Ich sprang auf die erste Kiste und hielt mich mit den Händen an der nächsten fest. Splitter bohrten sich in meine Handflächen, aber ich ließ nicht los, sondern zog mich auf die zweite Kiste. Mein Fuß brach ein und ich stolperte. Der Stapel wackelte bedenklich und ich konnte einen Schrei nicht unterdrücken.

Royal Goldene MauernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt