Kapitel 6

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Er zuckte mit den Schultern.

"Altes Kunststück."

Ich richtete mich auf und räusperte mich.

"Vielen Dank für eure Hilfe. Ich werde mich natürlich erkenntlich zeigen..."

Ich stockte. Ich hatte weder Geld dabei noch wusste ich ob ich wiederkommen würde. Geschweige denn wie ich ihn finden konnte.

"Ich nehme keine Bezahlung", wehrte er ab.
"Versprecht mir lieber nicht mehr mit kostbarem Schmuck zu prallen. Besonders nicht, wenn ihr ohne Begleitschutz unterwegs seid und euch in die Armenviertel wagt."

Ich spürte wie ich rot wurde. Er musste mich auf dem Markt gesehen haben.

"Glaubt mir, ich habe meine Lektion gelernt. Auch wenn es mir das wert war."

Er sah mich interessiert an.

"Kanntet ihr den Jungen?", fragte er.

Ich schüttelte den Kopf.

"Warum habt ihr ihm dann geholfen?"

Ich sah ihn verwirrt an.

"Der Junge schien mir halb verhungert. Sollte man ihm da nicht helfen?"

"Ihr seid wohl nicht oft auf dem Markt", stellte er fest nachdem er kurz geschwiegen hatte.

Ich zuckte zusammen.

"Woher wisst ihr das?"

Er sah mich an als müsste ich das wissen.

"Es gibt fast jeden Tag so eine Situation in der Stadt. Niemand kümmert sich mehr darum."

Ich starrte ihn an. Das würde bedeuten, dass die Armut größer war als angenommen.

"Kümmert ihr euch auch nicht mehr darum?", fragte ich ihn.

Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er mir geholfen hatte, aber die Kinder, welche Hilfe brauchten, ignorierte.

"Ich tue was ich kann", erwiederte er unbestimmt.

Ich nahm ihn näher in Augenschein. Seine Kleidung war schlicht gehalten, aber edel genug, dass man erkennen konnte, dass er nicht zur Unterschicht gehörte. Seine Arme, seine Hände und sein Gesicht hingegen waren gebräunt als würde er viel Zeit im Freien verbringen. Ich fragte nicht weiter nach und begann stattdessen meine Kleidung zu richten. Sobald meine Hände den Stoff berührten zuckte ich zusammen. Sie waren sehr empfindlich. Ich biss die Zähne zusammen, strich meinen Rock glatt und streifte das Tuch wieder ordentlich über meine Haare. Ein paar Strähnen hatten sich aus dem Zopf gelöst. Aber dagegen konnte ich auf die Schnelle nichts machen.

"Zeigt mal her", sagte er plötzlich.

Erschrocken sah ich auf. Er war näher getreten und deutete auf meine Hände. Zörgerlich streckte ich ihm meine Handflächen entgegen. Schon alleine das Ausstrecken meiner Finger jagte einen rasenden Schmerz durch meine Nervenbahnen. Die Haut war stark gerötet. An einigen Stellen würden sich Blasen bilden.

"Nicht übel, komm mit. Harun soll sich das mal ansehen."

Er drehte sich um und ging los. Verblüfft starrte ich auf seinen Rücken und schloss dann schnell zu ihm auf.

"Wer ist Harun?"

Er warf mir einen kurzen Seitenblick zu.

"Für mich ist er ein Vater. Aber um dir ein paar allgemeine Informationen zu geben, er ist Adliger und war früher Kommandant vom Heer des Königs."

Ich erstarrte. Was meinte er mit früher? Konnte dieser Harun mein Gesicht erkennen.

"Und was macht er jetzt?", fragte ich.

"Er ist vor zwanzig Jahren aus dem Heer ausgetreten. Offiziel genießt er seinen Ruhestand. Aber ich möchte nur mal einen Tag erleben an dem er nichts tut", antwortete mir der Mann bereitwillig.

Ich atmete erleichtert auf. Wir gingen die Treppe herunter und  traten wir nach draußen in die Sonne.

"Wohnt hier eigentlich jemand?", fragte ich und deutete zurück zum Haus.

"Es ist zu verfallen, um bewohnt zu werden."

Noch etwas, dass auf Armut hindeutete.

"Wie viele solcher Häuser gibt es?"

Er warf mir einen seltsamen Blick zu und schalte mich innerlich so viele Fragen zu stellen.

"Ich habe sie noch nicht gezählt. Aber für viele Häuser des Armenviertels besteht die Gefahr einzustürzen."

Er ließ sie nicht anmerken, ob er meine Fragen lästig fand. Trotzdem schwieg ich den Rest des Weges. Vielleicht war es naiv einfach so mit ihm mitzugehen. Aber ich hatte nicht das Gefühl, dass er mir schaden wollte. Es dauerte noch eine ganze Weile bis die Häuser nicht mehr so heruntergekommen aussahen. Wir kamen auch an nicht mehr so vielen Leuten vorbei, welche am Wegesrand saßen. Der Mann führte mich etwas außerhalb der Stadt. Das Anwesen war mit einer Mauer abgeschirmt. Aber das Tor war geöffnet und Dienstboten strömten raus und rein. Zögerlich trat ich hinter dem Mann durch das Tor. Das Anwesen war größer als ich erwartet hatte und ich wurde nervös. Wenn Harun ein Adliger war, konnte er mich wohlmöglich auf Festen schon mal im Palast gesehen haben. Aber jetzt zu gehen, würde noch verdächtiger aussehen. Wir umrundeten das Haupthaus und gelangten zu einem Sandplatz auf dem etliche Jünglinge sich gegenüberstanden.

"Mehr Haltung", brüllte eine Stimme über den Platz.

Sie gehörte einem Mann, dessen Haar ergraut war aber dessen Augen den ganzen Platz scharf im Blick zu haben schienen. Ich begriff, dass diese jungen Männer Nahkampf übten. Und der Mann, der ihnen das beibrachte, musste Harun sein. Er bemerkte uns und winkte dem Mann neben mir kurz zu. Dieser hob zum Gruß auch kurz die Hand. Für eine Weile rief der Mann noch einige Befehle zu einzelnen Männern. Ich verstand nur die Hälfte von ihnen. Dann war der Unterricht anscheinend vorbei, denn er klatschte in die Hände und entließ die Männer, die sich verschwitzt aber zufrieden auf den Rücken klopften. Einige wollten noch mit Harun reden und so dauerte es noch kurz bis wir zu ihm gehen konnten.

"Na, wen bringt mir mein Ziehsohn da mit nach Hause?", rief der Mann uns schon von Weitem zu.

Ich räusperte mich.

"Ich bin Mira, Sir", stellte ich mich vor und knickste leicht.

Diese Verkürzung meines Namens würde hoffentlich nicht in Verbindung mit dem Namen der Prinzessin gebracht werden.

"Und so gute Manieren, schneid dir ein Stück davon ab, Zafer", sagte der Mann trocken.

Der Mann neben mir, Zafer, lächelte nur.

"Schau dir mal bitte ihre Hände an, Harun."

Dieser blickte besorgt zu mir. Verlegen zeigte ich ihm die misshandelten Handflächen. Er nahm sie in seine Hände und schaute sie fachkundig an.

"Wie ist das passiert?"

Ich trat von einem Fuß auf den anderen.

"Ich äh bin ein Seil damit runtergerutscht."

Scharf sah er mich an. Dann sah er zu Zafer.

"Sie hat ein bisschen zu offen ihren Schmuck gezeigt. Zwei Männer sind dann wohl zu gierig geworden. Ich schätze, ich hätte einen leichteren Fluchtweg nehmen sollen."

Er klang wirklich reumütig.

"Also ich weiß, was ich wählen würde, müsste ich mich zwischen den zwei Männern und aufgeschürften Händen entscheiden. Ihr Ziehsohn hat mir geholfen, dafür sollte er sich nicht entschuldigen müssen", sagte ich entschlossen.

Royal Goldene MauernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt