11. Nächtlicher Spaziergang

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Ha! Jetzt hat's schon wieder über einen Monat gedauert. Ich mach mir am Besten gar keine Vorsätze mehr. Dabei dachte ich, ausgerechnet in den Ferien müsste ich doch mehr Zeit haben. Aber man findet doch immer einen Grund, was anderes zu tun - selbst, wenn man rückblickend dann gar nichts getan hat. Jetzt jedenfalls erstmal: Viel Spaß beim Lesen und auch wenn mal ein, zwei Monate nix kommt: Ich höre nicht auf, keine Angst! Bin nur faul.

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Ich legte mein Buch zur Seite und knipste das Licht aus. Die Dunkelheit umschloss mich und ich kroch unter meine Decke. Jetzt hieß es warten.

Seit drei Tagen wohnte ich bei Sonoko und es gefiel mir zwar ganz gut, aber ich fühlte mich nicht richtig wohl. In zwei Tagen würde ich zu Inspektor Sato umziehen und dort bleiben, bis jemand aufgetrieben war, der mich aufnehmen konnte und immer so weiter bis ich nicht mehr in Gefahr war. Doch bis dahin würde ich mich kaum mehr frei bewegen können. Ich war eingesperrt in einem Schloss von Haus, umsorgt und verhätschelt von der Familie Suzuki. Aber trotzdem eingesperrt. Und vollkommen machtlos. All meine Gedanken in diesen Tagen galten Josh. Er wurde von niemandem beschützt, wusste wahrscheinlich nicht einmal, dass unsere Eltern nicht mehr lebten. Wenigstens warnen könnte man ihn doch. Bei Yukiko und den anderen war ich bisher immer abgeblitzt, wenn ich mit dem Thema angekommen war, deshalb hatte ich nun beschlossen, es selbst in die Hand zu nehmen. Ich hatte die Überwachung des Hauses genau unter die Lupe genommen und herausgefunden, dass man durch den Hintereingang im Keller zwar nicht ohne weiteres herein, aber vollkommen unbehelligt raus kam. Als mir das klar geworden war, hatte ich nur noch auf den richtigen Tag warten müssen und nun war er endlich gekommen. Sonoko und ihre Familie waren für den Abend außer Haus und die meisten Bediensteten hatten frei. Das hieß freie Bahn für mich.

Ich lauschte nach Schritten auf dem Flur und zog mich, möglichst lautlos, an. Zunächst hatte ich mir schwarze Kleidung herausgesucht, wie sie Leute in Filmen trugen, wenn sie sich nachts herumschlichen, doch als ich die schwarze Hose nun in den Hand hielt, wurde mir klar, dass es in einer hell erleuchteten Stadt wie Tokio wohl vollkommen belanglos war, welche Farbe meine Kleider hatten. Ich würde höchstens leichter überfahren werden. Also änderte ich kurzerhand die Kleiderwahl und beschloss, mehr darauf zu achten, dass es gemütlich war.

Vorsichtig öffnete ich die Tür und sah hinaus. Es war stockdunkel auf dem Flur, keine Spur von irgendwem. Wegen der hohen Gefahr, liefen nachts ein bis zwei Wachleute durch die Flure, doch das Haus war groß, weshalb ich ihnen gut ausweichen konnte. Da ich die letzten Tage nur drinnen verbracht hatte, kannte ich mich mittlerweile gut aus und huschte leise zur nächsten Treppe.

Im Erdgeschoss stand ich plötzlich einem ernst drein schauenden Mann mit Schnauzer gegenüber. Er trug eine Taschenlampe, die er mir so entgegen hielt, dass ich die Augen zusammen kneifen musste.

"Ich, äh, wollte bloß ein Buch aus der Bibliothek holen. Zum Lesen, Sie wissen schon", stammelte ich und lächelte den Mann an.

Er starrte zurück, schien nachzudenken und nickte dann. Er trat zur Seite und ich huschte an ihm vorbei. Mein Herz pochte wie wild. Hoffentlich hatte er keinen Verdacht geschöpft. Zur Sicherheit ging ich noch mal in der Bibliothek vorbei und dann in einem großen Umweg zur Kellertür. Das ganze Gelaufe war ein wenig ermüdend, aber ich wollte auf keinen Fall auffliegen.

Unten war niemand und der Schlüssel zur Hintertür hing direkt neben dem Gartenschlauch, wie immer. Ich griff danach und verließ das Anwesen. Der Kellerausgang befand sich nicht mehr im Garten, weshalb ich auch den hohen Zaun nicht überwinden musste. Es war eigentlich ziemlich leichtsinnig, diesen Ausgang nicht zu überwachen. Sobald ich den Schlüssel hatte, war auch hinein kommen kein großes Problem.

Die Luft war angenehm kühl und es roch noch nach dem Regen vom Abend. Jetzt musste ich nur den Weg zu Joshs Wohnung wiederfinden. Doch das durfte ja nicht so schwer sein.

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Eine Stunde später hatte ich mich hoffnungslos verlaufen. Alle Häuser sahen gleich aus und die japanischen Schriftzeichen auf den Schildern waren mir ein einziges Rätsel. Ich hatte irgendwie zwar die Bahnstation, an der ich mit den Kindern ausgestiegen war, gefunden, doch von da aus war mir nichts mehr bekannt vorgekommen und bei Nacht sah sowieso alles anders aus. Ich irrte an Läden vorbei, die ich noch nie zuvor gesehen zu hatte und bog mehrfach in die gleichen Straßen ein, obwohl ich mir sicher war, diesmal einen anderen Weg genommen zu haben. Ich konnte auch niemanden nach dem Weg fragen, denn die Straßen waren vollkommen verlassen. Jedesmal, wenn ein Schatten an den Wänden entlang huschte, zuckte ich unwillkürlich zusammen und so langsam zweifelte ich an der Genialität meines Plans. Zumal ich die Chancen, Joshs Wohnung in der nächsten Zeit zu finden, für sehr gering hielt. Zur Bahnstation fände ich mit viel Glück noch, doch ansonsten sah es sehr hoffnungslos für mich aus.

Schweren Herzens und mit einem lang gezogenen Gähnen beschloss ich, aufzugeben und versuchte, mich anhand bekannter Schilder und Häuser zurück zur großen Straße zu navigieren.

Plötzlich schepperte es hinter mir und im Augenwinkel sah ich einen Schatten. Blitzschnell und mit klopfendem Herzen fuhr ich herum und starrte eine weiße Katze an, die neben einer Mülltonne saß und sich die Pfoten leckte. Sie schien sich an einer Scherbe verletzt zu haben und ich beugte mich zu ihr herunter, um zu sehen, wie schlimm es war.

In diesem Moment packte mich eine Hand an der Schulter und eine andere legte sich auf meinen Mund. Ich schrie gedämpft auf und versuchte, mich umzudrehen, doch, wer immer mich hielt, war zu stark und riss mich nun nach oben. Die Katze humpelte schnell davon.

Ich zappelte wie wild und versuchte, zu schreien, doch der Griff um mein Gesicht verstärkte sich nur, sodass ich schwer Luft bekam. Eine Stimme fluchte leise und ich bekam einen Tritt in die Seite, die mir endgültig die Luft nahm.

Dann -ich war mir sicher, jetzt verloren zu sein und entschuldigte mich im Stillen bei den anderen, die sich so große Mühe gemacht hatten, damit ich sicher war- lockerte sich der Griff mit einem Mal wieder und ich taumelte vorwärts, nur um im nächsten Moment auf dem Boden zu landen.

Hinter mir keuchte jemand und ich drehte mich um. Eine Gestalt beförderte gerade einen großen Mann zu Boden und zückte ihr Handy. Sie wählte und trat dabei ins Licht der flackernden Straßenlaterne.

Ich betrachtete den jungen Mann, der nun telefonierte und den Blick dabei nicht von dem am Boden liegenden abwandte. Er kam mir irgendwie bekannt vor, doch ich wusste nicht, woher. Gleichzeitig wirkte er in seinem Anzug und mit den kurzen, schwarzen Haaren wie jeder dritte Passant, dem ich hier auf der Straße begegnete.

"Alles okay?", fragte er und bot mir seine Hand an.

Ich nickte und zog mich hoch. "Danke" Ich war plötzlich unglaublich müde.

"Vorne an der Straße wartet ein Auto auf dich. Damit kannst du wieder zurück fahren."

Ich nickte wieder und wandelte wie in Trance die Straße entlang bis zu einem dunklen Auto, in dem eine junge Frau und ein ernst drein schauender Mann saßen und aussahen, als hätten sie mich erwartet. In diesem Moment kümmerte es mich nicht, dass ich sie nicht kannte und selbst, wenn dies nun auch irgendwelche Entführer gewesen wären, so konnte ich in diesem Moment nur an einen Ort zum Schlafen denken. Meine Müdigkeit glich einer Naturgewalt und ich brauchte drei Anläufe, um die Autotür zu öffnen.

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Ich erwachte in meinem Bett bei den Suzukis, ohne mich daran zu erinnern, wie ich darin gelandet war. Während ich den Abend in meinem Kopf durchging, erschien mir das alles so absurd, dass ich fester Überzeugung war, geträumt zu haben. Doch dann blieb das Gesicht meines Retters in meinem Kopf hängen und ich wusste plötzlich wieder, woher ich ihn kannte. Ich hatte ihn nur kurz gesehen, doch es war mit Sicherheit der Mann, den ich einige Zeit zuvor auf der Suche nach Josh getroffen hatte. Er war vor mir in der Telefonzelle gewesen. Aber warum war er da gewesen? Und vor allem, was war das für eine seltsame Nummer mit dem Auto gewesen? Wurde ich beobachtet?

Seufzend drehte ich mich um und schloss meine Augen wieder. Ich wollte für immer schlafen.

Wie dick darf Blut sein? (Detektiv Conan Ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt