29 - Erste Hilfe

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Die Nacht verlief (entgegen aller Erwartungen) relativ ereignislos. Das stetige Prasseln des Regens verdeckte irgendwann die erstickten Laute der keuchenden, röchelnden Untoten im unteren Stockwerk und Ellie erwischte sich mehrmals dabei, wie ihr die Augen zufielen und sie rückwärts gegen die Wand sackte, gegen die sie sich gelehnt hatte. Es fühlte sich an, als bestünde der Wachzustand nur mehr aus kleinen Gewichten, die sie mit ihren Augenlidern stemmen musste und nach einem verbissenen Kampf verlor sie die Schlacht. Irgendwann hatten ihre Beine nämlich so sehr zu schmerzen begonnen, dass sie sich nicht mehr gegen den übermächtigen Wunsch, sich endlich hinzusetzen, hatte wehren können. Negan hatte nicht einmal aufgeblickt, als ein dumpfer Aufprall und das wehleidige Knarzen von morschem Holz verraten hatten, dass Ellie ihren Instinkten schlussendlich doch noch unterlegen war.

In den frühen Morgenstunden schreckte sie schließlich aus einem vernebelten Dämmerschlaf auf, der nicht länger als eine halbe Stunde angedauert haben konnte, der jedoch bis zum Rand mit merkwürdigen Träumen gefüllt gewesen war, die ihr zu entfliehen begannen, sobald sie versuchte, die Augen zu öffnen. Die Betonung lag hierbei auf 'versuchen', denn ihre Lider waren verklebt, hinter ihren Schläfen pochte es und ihr Mund war so trocken, dass ihre Zunge geschwollen und pelzig am Gaumen klebte. Ihr war eiskalt und doch bedeckte ein feiner Schweißfilm ihr Gesicht. Warum mussten Gewitter in den Südstaaten auch immer so dampfig sein...?

So leise wie möglich langte sich nach ihrem Rucksack und wühlte sich vorsichtig durch die Schichten an Ausstattungsstücken - von denen sie geglaubt hatte, sie in den nächsten Tagen nicht zu benötigen und die sich nun doch als äußerst nützlich erwiesen. In einem der obersten Fächer fand sie schließlich das, wonach sie gesucht hatte und beinahe hätte sie einen Seufzer der Erleichterung ausgestoßen: eine randvoll gefüllte Wasserflasche.

Das Wasser schmeckte abgestanden und warm (vermutlich, weil sie die halbe Nacht darauf gelegen hatte), doch trotzdem kam ihr die Flüssigkeit in jenem Moment wie der Nektar der Götter vor, der stetig ihre Kehle hinab tröpfelte. Sie ließ Negan keine Sekunde aus den Augen, während sie trank.

Er hatte ihr das schlafende Profil zugedreht und das regelmäßige Heben und Senken seines Brustkorbs verriet ihr, dass er wohl tatsächlich schlief. Er schnarchte ein wenig - nicht so stark, wie er es am letzten Abend zum Spaß vorgeschützt hatte, doch trotzdem laut genug, dass es den Regen draußen übertönte - und ab und an bewegte er stumm die Lippen im Schlaf. Schon einige Male hatte sie geglaubt, das leise Wispern wäre an sie gerichtet und es hatte sie stets in Alarmbereitschaft befördert, doch jedes Mal, wenn sie zu ihm herumgewirbelt war, hatte er tief und fest geschlafen. Nur manchmal flatterten seine Augenlider und seine Stirn schlug tiefe Falten, als wäre er gerade in einem Alptraum gefangen.

Ein merkwürdiges Gefühl überkam Ellie jedes Mal bei diesem Anblick und sie konnte nicht ganz Einschätzen, ob es unterdrücktes Mitleid oder erzwungene Genugtuung war, die ihr das Herz so schwer machte.

Als Negan eine Schnarchpause einlegte und offensichtlich nicht mehr von schlimmen Träumen geplagt wurde, genoss Ellie für einige Momente bewusst die herrschende Stille. Die Ruhe vor dem Sturm, die Verschnaufpause, bevor der General zum Krieg blies. Blassrosa Sonnenstrahlen brachen an manchen Stellen durch die dichte, dunkle Wolkendecke am Himmel und fielen durch die schmutzigen Fenster ihres Gefängnisses, malten hübsche Schattenspiele auf den fleckigen Holzboden und erinnerte sie daran, dass nach jeder Nacht wieder ein Tag graute, egal wie düster die vorhergehenden Stunden auch gewesen sein mochten.

Dann setzte sie sich langsam auf und packte mit vorsichtigen Fingern ihre Sachen zurück in den Rucksack. Sie wusste zwar, dass die Mission, auf die sie sich nun begeben würde, aussichtslos war, doch sie würde jede Gelegenheit am Schopfe packen, sich so weit wie möglich von Negan zu entfernen. Es war mehr als unwahrscheinlich, auf eigene Faust einen Weg nach unten zu finden, doch notfalls würde sie sich von einem der kaputten Fenster aus über die Dachrinne nach unten hangeln, wie sie es in den Filmen früher gesehen hatte - auch, wenn sie sich dabei vermutlich erst recht den blassen Hals brechen würde...

SAVED - Der letzte Tag auf Erden // Eine The Walking Dead FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt