10 - Wo ist Ellie?

39 3 0
                                    

„Eleanor!"

Elijahs fröhliche Stimme verhallte ungehört in der leeren, düsteren Eingangshalle der Anstalt. Seine einzige Antwort das Echo, welches sich jedoch ebenfalls nach einigen Sekunden wieder verlor und ihn in undurchdringlicher, erdrückender Stille zurückließ.

Ein unbehagliches Gefühl breitete sich in der Magengegend des Anführers der Auferstandenen aus, auch wenn er dessen Ursprung noch nicht genau feststellen konnte und er runzelte in einem plötzlichen Anflug von Misstrauen die Stirn. Seine Mundwinkel wanderten langsam nach unten und er ließ den schweren Rucksack achtlos von seiner Schulter gleiten.

Dumpfes Rascheln und Poltern identifizierte die unsichtbaren Objekte in seinem Inneren als Bücher, die er seiner kleinen Schwester von der Versorgungstour mitgebracht hatte. Er war für den zerlesenen Gedichtband mit dem schönen, mit filigranen goldenen Schleifen verzierten, roten Umschlag durch die Trümmer eines zerfallenen kleinen Hauses am Stadtrand gewatet, in dem es unangenehm nach feuchten Wänden und Schimmel gerochen hatte, nur um dann unter einem Wasserfall morscher Bretter begraben zu werden, als eine weitere, unachtsame Auferstandene, ohne Elijah vorher konsultiert zu haben, die oberen Etagen durchsucht hatte.

Niemand hatte sich bei dem Unfall nennenswerte Verletzungen zugezogen, doch einige Kratzer und Schrammen zeugten trotzdem noch von dem unglücklichen Ereignis. Elijah hatte besagte Wunden jedoch in weiser Voraussicht schon bandagiert und unter dem langen, zerschlissenen Ärmel seines Hemdes versteckt, um seiner Schwester keine unnötige Angst einzujagen. Ihre Freude über die schönen neuen Bücher sollte durch nichts gedämpft werden.

Es war ein erfolgreicher Ausflug gewesen. Neben Benzin und Öl hatte der Trupp sogar ein wenig Munition in einer durchwühlten Sockenschublade und einige gefütterte Jacken für den Winter in dem dazugehörigen Kleiderschrank entdeckt. Leider hatten sie es nicht bis zur großen Mall am anderen Ende der Stadt geschafft, denn die Dunkelheit hatte sich bereits früher als erwartet als sanfte, blickdichte Daunendecke über die ruhige Frühlingslandschaft gelegt und schien durch ihre Stille jedes noch so kleine Geräusch um ein Vielfaches zu verstärken. Elijah und Owen waren sich einig gewesen, nur für einen Tag ausziehen zu wollen, um kein unnötiges Risiko für sich und ihre Gruppenmitglieder einzugehen. Die beiden Männer erwarteten in besagtem Einkaufszentrum aber ohnehin nicht mehr als einige geplünderte Geschäfte und sabbernde Horden von verfaulten Einkäufern.

All die Euphorie und der Stolz über den errungenen Erfolg verflogen allerdings langsam, als Elijah nach ausgiebiger Suche in den Essräumen, Küchen, Stallungen und weiteren von Ellies Lieblingsverstecken schlussendlich in ihrem Zimmer ankam. Die Kissen auf dem schmalen Bett waren unberührt und die Bettdecke glattgestrichen. Ellie hatte mit Sicherheit die vergangene Nacht nicht in diesem Bett verbracht. Gesprächsfetzen und eine schmollend beim Frühstück sitzende Ellie begannen bei diesem Anblick durch Elijahs Kopf zu spuken und er musste mit Entsetzen feststellen, dass die Taschenlampe, die seine Schwester stets neben ihrem Bett deponiert hatte, falls sie einmal mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen werden sollte und die große Landkarte, die normalerweise mit dutzenden Nadeln und Klebestreifen an der löchrigen Tapete der Zimmerwand befestigt war, beide fehlten. Genauso wie ihr Rucksack und der breite Hut, den sie so sehr verabscheute.

Auf seinem hektischen Weg, die Treppe hinunter, nahm Elijah kaum Kenntnis von den Menschen, die er anrempelte, obwohl die ganze Anstalt von dem aufgekratzten Summen der Erzählungen, die die heimgekehrten Abenteurer ihren Freunden und Familien freudig darlegten, wie ein Bienenstock zu brummen begonnen hatte.

Verzweifelt hielt ihr Anführer nach einem weißblonden Haarschopf in der geschäftigen Menge Ausschau, doch Ellie tauchte nicht plötzlich zwischen einige Auferstandenen auf, schlich sich nicht von hinten an ihn heran, um ihn lachend mit einer Umarmung zu erschrecken, saß nicht schmollend auf einer Bank im Garten. Sie war verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt. Wie treffend diese Metapher jedoch wirklich war, würde sich ihm in kurzer Zeit eröffnen.

SAVED - Der letzte Tag auf Erden // Eine The Walking Dead FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt